MAGAZIN AMNESTY Kambodscha Erzwungene Massenhochzeiten

Dreissig Jahre nach Ende des Terrorregimes haben vor dem Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha die Prozesse gegen ehemalige Führungsleute der Roten Khmer begonnen. Rechtsanwältin Silke Studzinsky fordert für 28 NebenklägerInnen Ermittlungen zu Verbrechen aufgrund der Geschlechteridentität (Gender-Based Crimes).

Silke Studzinsky © Michael Lenz Silke Studzinsky © Michael Lenz

«amnesty»: Wie sind Sie den Verbrechen aufgrund der Geschlechtsidentität (Gender-Based Crimes) der Roten Khmer auf die Spur gekommen?
Silke Studzinsky: Die sind durch Dokumente, Zeugenaussagen sowie wissenschaftliche Studien aus den letzten Jahren schon lange bekannt.
Hinweise auf diese Verbrechen gab es schon während des Prozesses der Vietnamesen gegen einige Führer der Roten Khmer im August 1979. Die Bandbreite von Gender-Based Crimes ist vielfältig: Angeblichen Prostituierten wurden die Brüste mit Chemikalien verstümmelt; Menschen, die nahe am Verhungern waren, wurden zu Sex gegen Nahrungsmittel gezwungen; Kader hielten sich Jungen zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse.
Ich habe eine transsexuelle Mandantin, die wurde vergewaltigt und gezwungen, sich männlich zu verhalten und zu kleiden. Schätzungsweise 400000 Frauen und Männer wurden zwangsverheiratet.
Das alles war den Ermittlern bekannt, wurde aber ignoriert. Ich habe jetzt die Aufmerksamkeit darauf gelenkt und beim Tribunal die Aufnahme von Ermittlungen dieser Verbrechen beantragt.

Warum wurde diese Verbrechenskategorie bislang ignoriert?
Zum einen ist die Staatsanwaltschaft (des ECCC) hauptsächlich mit Männern besetzt. Zum andern aber auch, weil die Morde, Massenmorde und Folterungen als schwerwiegender eingeschätzt wurden. Das war schon bei dem 1979er-Tribunal wenige Monate nach dem Sturz der Roten Khmer durch die Vietnamesen der Fall, und derselbe Fehler wird jetzt wieder begangen.

Eine Frau im Fall gegen «Duch» ist in Tuol Sleng von einem Gefängnisaufseher vergewaltigt worden. Den Angeklagten, wie jetzt «Duch», muss aber eine individuelle Schuld nachgewiesen werden. Sei es, dass sie selbst konkrete Taten begangen haben, oder sei es, dass sie solche angeordnet haben …
… oder wenn sie etwas hätten wissen können und keine geeigneten Vorkehrungen getroffen haben, um solche Verbrechen abzuwenden oder die Täter zu bestrafen. Es muss also nicht um konkrete Befehle gehen, wie das Ruanda-Tribunal gezeigt hat. Das war das erste internationale Tribunal, in dem Gender-Based Crimes zur Anklage gekommen und Angeklagte wegen Vergewaltigung von Tutsi-Frauen verurteilt worden sind, obwohl es keinen direkten Befehl der Hutu-Führung zur Vergewaltigung gegeben hat. Aber die Radiopropaganda der Hutu-Mehrheit, in der Tutsi-Frauen als «der letzte Dreck» und «nichts wert» diffamiert wurden, hatte die Grundlage für die Vergewaltigungen geliefert.

Warum stellen Sie diese Massenhochzeiten in den Mittelpunkt Ihrer Bemühung, Gender-Based Crimes als Verbrechenskategorie in das Tribunal einzuführen?

Zwangsmassenhochzeiten haben selbst im kleinsten Winkel des Landes stattgefunden, was den Schluss zulässt, dass es einen Befehl von oben gab. Durch Missernten und die Zwangsarbeit in den Reisfeldern waren die KambodschanerInnen geschwächt. Zudem mussten die Geschlechter voneinander getrennt leben. Das führte zu einem Kindermangel, der offenbar durch die erzwungenen Massenhochzeiten beseitigt werden sollte.
Das Regime bestimmte, wer wen heiratete und hatte so eine weitere Kontrolle sowohl über die Menschen als auch über den Nachwuchs, der von klein auf zu guten Revolutionären geformt werden sollte. Die Machthaber wollten wohl durch die Zerstörung der traditionellen Familienform zur Formung einer «neuen Gesellschaft» beitragen. Eine Studie belegt, dass in 80 Prozent der Fälle Männern die ausdrückliche Anordnung zum Geschlechtsverkehr erteilt worden ist. Den Paaren wurden Hütten zugewiesen, in denen sie durchschnittlich drei Tage und Nächte miteinander verbringen mussten, bevor sie wieder getrennt wurden. Unter den Hütten – die hier traditionell auf Pfählen stehen – überwachten «Chlobs», Spione von Angkar (Anm.: der Parteiorganisation der Roten Khmer), den Vollzug der Anweisung zum Geschlechtsverkehr.

Wie ist am Tribunal Ihr Bemühen, Gender Based Crimes als zusätzliche Verbrechenskategorie einzuführen, aufgenommen worden?

Das wird schon mit einiger Skepsis beäugt. Der Vorstoss, Gender-Based Crimes jetzt noch im Fall 1 von «Duch» unterzubringen, wird als störend empfunden. Dabei würden die zusätzlichen Ermittlungen den Prozess nicht verzögern. Aus der Bevölkerung bekomme ich jedoch viele positive Reaktionen. Betroffene der Zwangshochzeiten und anderer Gender-Based Crimes rufen bei diesen Talk-Back-Radios an und sprechen erstmals öffentlich über ihre Erlebnisse.
Das ist schon ein Erfolg. Viele haben sich bisher nicht als Opfer anerkannt gefühlt. Sie sagen: «Ich habe mich doch gefügt», oder: «Ich habe nicht widersprochen und bin zudem immer noch mit dem damaligen Zwangspartner verheiratet». Das macht aber das Verbrechen nicht ungeschehen.     

Rote-Khmer-Tribunal

Dreissig Jahre nach Ende des Terrorregimes der Roten Khmer haben vor dem Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha die Prozesse gegen ehemalige Führungsleute der Roten Khmer begonnen. Als Erster von derzeit fünf Angeklagten muss sich Kang Kek Eav, genannt «Duch», vor dem Tribunal aus internationalen und kambodschanischen Richtern verantworten. Der frühere Mathematiklehrer leitete das berüchtigte Gefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh, in dem 15000 Männer, Frauen und Kinder gefoltert und ermordet wurden. Das Rote-Khmer-Tribunal betritt juristisches Neuland: Zum ersten Mal in der Geschichte internationaler Gerichte seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen können Betroffene und Opfer als Nebenkläger und Nebenklägerinnen auftreten. Insgesamt haben während der Herrschaft der Roten Khmer zwischen April 1975 und Januar 1979 etwa zwei Millionen Menschen ihr Leben verloren. ml.

Silke Studzinsky

Die Berliner Rechtsanwältin Silke Studzinsky, 47, die 28 Nebenkläger und Nebenklägerinnen vor dem Tribunal vertritt, hat Ermittlungen in einer bisher ignorierten Verbrechenskategorie beantragt: Verbrechen aufgrund der Geschlechtsidentität (Gender-Based Crimes): Erzwungene Massenhochzeiten, Vergewaltigungen, Eliminierungskampagnen gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle waren Alltag im «Demokratischen Kampuchea» der Roten Khmer. Zum Beginn des Prozesses gegen «Duch» am 30. März 2009 hatte das Rote-Khmer-Tribunal noch nicht über den Antrag von Silke Studzinsky auf Einführung der Verbrechenskategorie «Gender-Based Crimes» entschieden. ml.

Von Michael Lenz aus Phnom Penh. Er ist freier Journalist in Südostasien.

Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» vom Mai 2009
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion