Mit einer schwungvollen Unterschrift setzte Barack Obama am 22. Januar 2009, noch während der Euphorie nach seiner Amtseinführung, die Executive Order mit der Laufnummer 13492 in Kraft. Mit dem präsidialen Dekret, das die Schliessung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay auf Kuba innerhalb von zwölf Monaten anordnete, distanzierte sich der neue Präsident in aller Deutlichkeit von seinem Vorgänger. Seht her, schien Obama seiner Gefolgschaft zu sagen, ich bin nicht George W. Bush. Und ich werde alles tun, um der verfehlten Anti-Terror-Politik meines republikanischen Amtsvorgängers ein Ende zu bereiten, welche die USA seit den Anschlägen vom 11. September 2001 geprägt hatte. So ordnete Obama an seinem zweiten Tag im Amt auch die Schliessung von Geheimgefängnissen an und verbot dem Auslandsgeheimdienst CIA die Anwendung von umstrittenen Verhörmethoden. Angesichts der heftigen Debatte um Methoden wie «Waterboarding», dem simulierten Ertränken, war dies ein zweiter höchst wichtiger Schritt. Im August schliesslich gab sein Justizminister bekannt, dass Teile der umstrittenen CIA-Verhörmethoden durch einen unabhängigen Ermittler untersucht würden.
Ein Jahr nach dem Amtsantritt sind nicht nur republikanische Kreise, sondern auch ParteifreundInnen des Präsidenten unzufrieden über dessen bisherige Bilanz auf dem Gebiet der Menschenrechte. Letzteren gehen die von Obama eingeleiteten Schritte nicht weit genug. Linke DemokratInnen werfen dem Präsidenten vor, er biedere sich der konservativ gesinnten Bevölkerungsmehrheit in den USA an. So schlug Obama häufig geradezu kriegerische Töne an, obwohl der Demokrat doch auch gewählt wurde, weil er eine Distanzierung vom ständigen Säbelrasseln der Republikaner versprach. Auch äussern BürgerrechtlerInnen hinter vorgehaltener Hand Vorbehalte gegenüber der Strategie des Präsidenten. Er ignoriere äusserst umstrittene Themen weitgehend, wie zum Beispiel den vorherrschenden Rassismus des amerikanischen Justizsystems oder die Todesstrafe (2009 wurden in 13 US-Bundesstaaten insgesamt 52 Gefangene hingerichtet).
Keine Rechtsstaatlichkeit
Als Blitzableiter dient kritischen Geistern aber primär das Dekret 13492, auch weil es für eine Ankündigung steht, die der Friedensnobelpreisträger Obama nicht einlösen konnte. Bereits im Herbst 2009 räumte der Präsident ein, dass er die Frist von zwölf Monaten für die Schliessung von Guantánamo nicht einhalten werde. «Ich wusste, dass es schwierig wird», sagte der Präsident in einem Fernsehinterview. Das war eine leichte Untertreibung, denn insbesondere die Frage, was mit den verbleibenden rund 200 Insassen des Gefangenenlagers geschehen solle, erwies sich als weit komplexer als gedacht.
Das Weisse Haus will rund einen Drittel der Gefangenen zurück in ihre Heimatländer oder in Drittstaaten wie die Schweiz senden und einen Drittel vor Gericht stellen. Die grössten Schwierigkeiten bereitet dabei der letzte Drittel: Denn auch Obama ist der Meinung, dass ein Teil der Guantánamo-Insassen zu gefährlich sei, um in die Freiheit entlassen zu werden. Andererseits fehlen den Behörden die Beweismittel, um den mutmasslichen Terroristen vor einem militärischen oder einem zivilen Gericht erfolgreich den Prozess zu machen – auch weil die CIA während den Verhören folterte oder folterähnliche Methoden anwendete. Diese Gefangenen müssen deshalb auch in Zukunft ohne formelle Anklageerhebung eingesperrt bleiben, heisst es aus dem Weissen Haus.
Die Ankündigung der US-Regierung, dass rund 100 mutmassliche Terroristen künftig in einem neu vom Verteidigungsdepartement geführten Hochsicherheitsgefängnis im Bundesstaat Illinois festgehalten werden sollen, stösst in Menschenrechtskreisen auf scharfen Widerspruch. Tom Parker, Vertreter von Amnesty International USA, sagt: «Mit seiner Ankündigung ändert der Präsident allein die Postleitzahl von Guantánamo.» Obama werde vielleicht das Symbol los, aber dem Rechtsstaat werde weiterhin nicht Genüge getan.
Ähnlich kritisch gehen Menschenrechtsorganisationen mit einer weiteren Säule der Anti-Terrorpolitik der demokratischen Regierung um. Die Militärtribunale, zuständig für die Aburteilung von mutmasslichen Terroristen, genügten «den höchsten Ansprüchen», sagte Justizminister Eric Holder. «Ich glaube, er wird enttäuscht sein», lautet dagegen der trockene Kommentar einer Vertreterin von Human Rights Watch nach einem Besuch im Gefangenenlager.
Mehr erwartet
Und so geht die spitze Kritik munter weiter. Die Eskalation des Afghanistan-Kriegs, die von Obama mit dem Hinweis auf die wiedererstarkten Taliban begründet wird? Nicht nur der einflussreiche Abgeordnete David Obey, ein Parteikollege des Präsidenten, zieht Parallelen zwischen dem amerikanischen Debakel in Vietnam und dem Sumpf in Afghanistan. Obey spricht von einem «unpopulären Krieg» und «hohen Kosten». Die Festhaltung von 600 angeblichen Taliban in einem Gefängnis im afghanischen Bagram? «Wir haben von Obama mehr erwartet», sagt die Rechtsanwältin Tina Monshipour Foster, die einen Afghanen vertritt, der ohne formelle Anklageerhebung festgehalten wird. Die Drohnen-Attacken auf angebliche Stellungen von Terroristen im afghanisch-pakistanischen Grenzland, ausgeführt von der CIA und der Söldner-Firma Blackwater, die nun den Namen Xe Services trägt? «Das sind Mordanschläge, verübt durch staatliche Institutionen», sagt Hina Shamsi von der Amerikanischen Bürgerrechtsunion. Das Schweigen der amerikanischen Regierung zu Menschenrechtsverstössen in anderen Ländern? «Instinktiv distanzieren sich die Regierungsmitglieder von allem, wofür Präsident Bush stand», sagt Jennifer Windsor von der regierungsunabhängigen Gruppierung Freedom House. «Damit haben sie den Menschenrechten einen Bärendienst erwiesen.»
Zurückhaltender ist die Kritik der linken Verbündeten an den innenpolitischen Errungenschaften Obamas – wohl auch, weil hier der Fokus im ersten Jahr fast vollständig auf der Reform des Gesundheitswesens und der Wirtschaftspolitik lag. Hinter den Kulissen aber beanstanden einflussreiche Kreise in der Demokratischen Partei die Passivität des Präsidenten. So sind grosse Teile der aus Lateinamerika stammenden Bevölkerung verstimmt darüber, dass sich die Regierung erst in diesem Jahr dem Schicksal der geschätzten zwölf Millionen illegal Eingewanderten annehmen will. «Es gibt Frustration und Enttäuschung», sagt der demokratische Abgeordnete Raul Grijalva. Und unter Homosexuellen herrscht Unmut darüber, dass Obama bisher keine Schritte unternahm, die Diskriminierung von Schwulen und Lesben in den Streitkräften zu stoppen – obwohl Obama im Wahlkampf 2008 eine Aufhebung der sogenannten «Don’t ask, don’t tell»-Politik versprochen hatte und auch zusicherte, gegen das Verbot der Schwulen-Ehe auf nationaler Ebene zu kämpfen.
Kongress blockiert
Selbst Verbündete des Präsidenten sagen deshalb, dass seine Bilanz auf dem Gebiet der Menschenrechte mager sei. Sie entschuldigen es aber damit, dass der amerikanische Staats- und Regierungschef auf dem Papier zwar eine ausserordentlich grosse Machtfülle besitze, in der Praxis aber für fast jeden politischen Vorstoss auf die Kooperation des Parlaments angewiesen sei. Dessen Mitglieder haben zuweilen andere politische Prioritäten, obwohl sie vielleicht in derselben Partei politisieren und blockieren zahlreiche Anliegen des Präsidenten. Für «Change», das Schlagwort des Wahlkampfes 2008, braucht es deshalb viel Zeit – Euphorie nach der Amtseinführung von Barack Obama im Januar 2009 hin oder her.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Februar 2010
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion