1999 erstickte der Palästinenser Khaled Abuzarifa ebenfalls in Kloten und 2001 starb der Nigerianer Samson Chukwu im Wallis einen lagebedingten Erstickungstod. Laut Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf sollen nach dem Vorliegen der Untersuchungsergebnisse die derzeit ausgesetzten Rückschaffungsflüge nach Nigeria unvermindert fortgesetzt werden, möglicherweise schon vorher.
Der traurige Fall hat einmal mehr eine Debatte über die Verhältnismässigkeit von polizeilichen Massnahmen bei der Rückschaffung von abgewiesenen Asylsuchenden ausgelöst. In der NZZ am Sonntag setzte Alard du Bois-Reymond, seit Januar neuer BfM-Direktor, noch einen drauf, indem er speziell Asylsuchende aus Nigeria (2009 = 1786 Anträge; eine Person wurde aufgenommen) pauschal als Kriminelle bezeichnete: «Sie kommen nicht als Flüchtlinge hierher, sondern um illegale Geschäfte zu machen.» 99,5 Prozent von ihnen hätten nicht die geringste Chance, in der Schweiz bleiben zu können. Du Bois-Reymond hat eine Task-Force gegen nigerianische Asylsuchende eingesetzt und will das Rückübernahmeverfahren beschleunigen.
Das verschärfte Vorgehen der Schweizer Behörden steht in klarem Gegensatz zu den Verhältnissen in Nigeria, von wo regelmässig Horrormeldungen eintreffen. Seit der Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa für die indigenen Ogoni im ölverseuchten Nigerdelta gegen den Ölmulti Shell kämpfte und 1995 trotz weltweiter Proteste hingerichtet wurde, ist Nigeria kaum mehr im Bewusstsein. In Afrikas bevölkerungsreichstem Staat (jedeR fünfte AfrikanerIn stammt aus Nigeria) sind Korruption und Misswirtschaft an der Tagesordnung, das Justizsystem eine Farce und weite Teile der Bevölkerung bleiben trotz hoher Erdölgewinne arm. Die Mächtigen setzen jederzeit bewaffnete Gewalt gegen Oppositionelle ein. Aussergerichtliche Hinrichtungen, Folter und Misshandlungen sowie Verschwindenlassen gehören zum Alltag. So wurde zum Beispiel im April der Menschenrechtsaktivist Celestine Akpo Bari zusammen mit zwei Mitarbeitern beim Verlassen ihres Büros in Port Harcourt von der nigerianischen Polizei festgenommen und ohne Angabe von Gründen zusammengeschlagen.
In den letzten zehn Jahren kamen bei interkommunalen, politischen und sektiererischen Konflikten 13500 Menschen ums Leben. Es gibt im Land Hunderte von bewaffneten Gruppen, kriminelle Banden, Beschützer von Gemeinschaften oder von Politikern angeheuerte Gangs, welche die innere Sicherheit destabilisieren. Von rund 46000 in Gefängnissen Inhaftierten warten 30000 auf ihre Verhandlung. 870 von ihnen sind zum Tod verurteilt, darunter viele Jugendliche und Frauen. Anstatt die Justiz zu reformieren, sollen offenbar die Hinrichtungen beschleunigt werden, um in den überfüllten Gefängnissen Platz zu schaffen, wie nach einem Gouverneurstreffen in der Hauptstadt Abuja bekannt wurde.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Mai 2010
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion