«Wir tun die Arbeit, die der Staat nicht macht», sagt Guido Stirnimann. Der Biobauer ist Mitgründer des Vereins Miteinander Valzeina, der sich seit drei Jahren für die BewohnerInnen des «Flüeli», oberhalb des Bergdorfes Valzeina in einem Seitental des Prättigaus, einsetzt. Die Bündner Behörden haben das auf über 1100 Metern gelegene ehemalige Ferienlagerhaus in ein Nothilfezentrum (amtlich korrekt: «Ausreisezentrum für abgewiesene Asylsuchende») umfunktioniert. Der Verein organisiert regelmässige Kaffeetreffs, einen Suppentisch, Filmabende, bietet Fahrdienste, organisiert Deutschkurse und Gefängnisbesuche. Doch das engagierte Treiben des Vereins ist der zuständigen Behörde in Chur, dem Amt für Polizeiwesen und Zivilrecht (APZ), gar nicht willkommen. Denn die Isolation der Papierlosen ist gewollt. «Die Behörden haben klar kommuniziert, dass wir mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müssten», sagt Stirnimann. Konkret laufen die HelferInnen Gefahr, sich durch ihre Unterstützung wegen «Förderung illegalen Aufenthalts» strafbar zu machen, ein Tatbestand, der normalerweise auf Schlepper und Menschenhändler angewendet werde, ergänzt Stirnimann. Den Vereinsmitgliedern ist deshalb auch das Betreten des Vorplatzes des «Flüeli» von Amtes wegen verboten. Viel mehr kann die Behörde jedoch nicht unternehmen. Beda Egger, Abteilungsleiter Asyl und Massnahmenvollzug des APZ, bezeichnet die aus behördlicher Sicht unerwünschte Hilfe als «Schattenbetreuung», die grundsätzlich einen Straftatbestand darstelle. Doch der Aufwand, Leute wegen Fahrdiensten oder Kaffeetrinkens mit abgewiesenen Asylsuchenden zu verzeigen, wäre zu gross und unverhältnismässig. «Das führt zu nichts», sagt Egger. Einschreiten will er, wenn Private Papierlosen Unterschlupf gewähren. Für den zivilen Ungehorsam der Helfenden hat er kein Verständnis. «Man macht den Abgewiesenen falsche Hoffnungen, die sich niemals erfüllen können, weil sie über keinerlei Voraussetzungen für eine Aufnahme verfügen.»
Ziviler Ungehorsam
Die prekären Umstände, unter denen Papierlose in den zahlreichen Not-hilfe-unterkünften unter striktem Arbeitsverbot zur Untätigkeit verdammt sind (mit nachgewiesenen Folgen für ihre Gesundheit,) weckt die natürliche Neigung zur Hilfsbereitschaft praktisch von selbst. Es gibt schweizweit eine Reihe von Netzwerken und Organisationen, die versuchen, den Papierlosen eine minimale Tagesstruktur, Tickets für den öffentlichen Verkehr, zusätzliche Nahrungsmittel und Kleidung sowie Treffpunkte und kostenlose Weiterbildungskurse anzubieten.
Im vergangenen Sommer sagte die vormalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf in einem Zeitungsinterview, private Hilfe dieser Art unterhöhle die staatliche Ordnung. Vor diesem Hintergrund arbeiten Organisationen wie das Solinetz Zürich, das Solinetz Ostschweiz oder das Bleiberecht-Kollektiv in Bern, Zürich und Lausanne sowie zahlreiche Beratungsstellen für Papierlose in einer Grauzone. «Konkrete Repressionen seitens der Behörden gibt es zwar nicht», sagt Simone Marti vom Bleiberecht-Kollektiv Bern. Hingegen könne der Zugang zu den Nothilfezentren schwieriger werden oder sich die Auseinandersetzung auf politischer Ebene verschärfen.
Zwischen Ende November und Anfang Dezember kontrollierte und verhaftete die Zürcher Polizei mehrmals Papierlose vor der Autonomen Schule. «Die Schule wird von den Behörden eben nicht gern gesehen», sagt Saidou Bah aus Guinea. Als Papierloser und Mitglied des Bleiberecht-Kollektivs gibt er selber Deutschunterricht in der Autonomen Schule Zürich. Die Verhaftungen, welche die Ordnungskräfte in Ausübung ihrer Dienstpflicht vornahmen, wertet das Kollektiv indessen als direkte Repression gegen seine Institution. Der zivile Ungehorsam der Engagierten für Menschen im Nothilfesystem zeigt jedoch Wirkung. Zu diesem Schluss kommen auch die beiden Autoren einer vom Bundesamt für Migration in Auftrag gegebenen Studie «Langzeitbezug von Nothilfe durch weggewiesene Asylsuchende»: Besonders in der Waadt seien «politische, juristische und zivilgesellschaftliche Kreise sehr effizient miteinander verknüpft» und würden Druck auf die Regierung ausüben. «Auch in Zürich sehen sich die Behörden unter einer permanenten Beobachtung», was dazu führe, dass der Handlungsspielraum im Wegweisungsvollzug schwinde.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Februar 2011
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion