13 Millionen Unterschriften für die Menschenrechte: Amnesty-Generalsekretär Pierre Sané (links) und Uno-Generalsekretär Kofi Annan 1998. © AI
13 Millionen Unterschriften für die Menschenrechte: Amnesty-Generalsekretär Pierre Sané (links) und Uno-Generalsekretär Kofi Annan 1998. © AI

MAGAZIN AMNESTY Amnesty International Mehr Gewicht für die Menschenrechte

Der Zerfall der Sowjetunion, Globalisierung und der «Kampf gegen den Terror» – die Zeit ab 1990 hielt vielfältige Herausforderungen bereit und brachte neue Aufgaben.

Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 brachte für Tausende von politischen Gefangenen die Freiheit und für zahlreiche Staaten das Ende der staatlichen Repression. Das Ende des Kalten Krieges hatte auch einen grossen Einfluss auf die künftige Arbeit von AI. In den Jahren nach 1989 entstanden in Mittel- und Osteuropa mehr als 40 neue AI-Gruppen, viele wurden von ehemaligen Gewissensgefangen initiiert.

Eines der Ziele von Ian Martin, seit 1986 AI-Generalsekretär, war es, Amnesty weltweit zu verankern und Menschen aus der ganzen Welt bei AI zu engagieren. Am Ende seiner Amtszeit arbeiteten in London mehr als 300 Personen aus beinahe 40 Ländern. Eine Folge dieser Öffnung war, dass mit seinem Nachfolger Pierre Sané aus dem Senegal 1992 zum ersten Mal ein Generalsekretär von ausserhalb Europas ernannt wurde. Im gleichen Jahr überstieg die Anzahl der Mitglieder das erste Mal die Millionengrenze.

Neue Aufgabenbereiche

Auf die veränderte Weltlage reagierte AI mit einer Neudefinition ihres Aufgabenbereichs: Die Organisation konzentriert sich seit Anfang der 1990er-Jahre nicht mehr nur auf den Schutz von Individuen, sondern setzt sich für die Förderung aller in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) definierten Rechte ein. Zudem setzte sich AI neu auch aktiv gegen Menschenrechtsverletzungen durch nichtstaatliche Akteure ein und anerkannte Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert wurden, als Gewissensgefangene. Kampagnen zum Beispiel gegen politischen Mord, Verschwindenlassen und extralegale Hinrichtungen, aber auch gegen Landminen, zu Kindersoldaten und zum Handel mit Kleinwaffen zeugen von der Neuausrichtung.

Im Vorfeld der 4. Uno-Weltfrauenkonferenz lancierte AI eine grosse Kampagne zur Förderung der Frauenrechte. In Peking wurde 1994 denn auch in einer Deklaration bekräftigt, dass «Frauenrechte Menschenrechte sind». Ab dem folgenden Jahr, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Völkermordes in Ruanda, erhielt die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes für AI höchste Priorität. Mit Erfolg: 1998 verabschiedete eine Uno-Bevollmächtigtenkonferenz das Römer Statut für den Internationalen Strafgerichtshof, das am 1. Juli 2002 in Kraft trat (vgl. S 28).

1998 überreichte Pierre Sané dem damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan am Internationalen Tag der Menschenrechte zum 50-Jahr-Jubiläum der AEMR 13 Millionen Unterschriften von Menschen, die sich im Rahmen der «Get up – Sign up»-Kampagne verpflichtet hatten, die Durchsetzung der Menschenrechte zu unterstützen. Erstunterzeichnerin war die burmesische Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die in Myanmar während Jahren unter Hausarrest stand.

Erste Frau an der Spitze

An der Internationalen Ratstagung in Dakar (Senegal) 2001 gab sich AI ein neues Mandat und setzte die Unteilbarkeit der Menschenrechte ins Zentrum ihrer 
Arbeit. Damit gehörte die aktive Bekämpfung von Verletzungen der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Men-schen-rechte neu zu den Aufgaben von AI. Diese Mandatserweiterung war bei einzelnen Sektionen umstritten.

2001 wurde die aus Bangladesch stammende Irene Khan als erste Frau an die Spitze von AI gewählt. Sie trat ihr Amt am Tag nach dem 11. September 2001 an. Die Verteidigung der Menschenrechte im Zusammenhang mit dem «Krieg gegen Terror», den die USA nach den «9/11»-Anschlägen ausgerufen hatten, prägte Khans Amtszeit.

Gemeinsam mit Oxfam und IANSA startete AI 2003 die weltweite Kampagne «Control Arms – Waffen unter Kontrolle». Mit der grössten Fotopetition der Welt, «One Million Faces – Eine Million Gesichter», forderten über eine Million Menschen aus 160 Ländern eine verbindliche Kontrolle des Waffenhandels. Im Dezember 2006 wurde eine Resolution zur Schaffung eines Abkommens über den Waffenhandel verabschiedet (vgl. 
S. 32). Am 8. März 2004 folgte eine weitere weltweite Kampagne von AI, «Stoppt Gewalt gegen Frauen», die sich gegen Gewalt an Frauen in bewaffneten Konflikten und gegen häusliche Gewalt richtete (vgl. S. 37). 2006 kritisierte AI in einem Bericht «Extraordinary Renditions» (aussergewöhnliche Überstellungen) durch US-Sicherheitskräfte und die Missstände im Gefangenenlager Guantánamo.

Für ein Leben in Würde

Seit 2003 zeichnet AI jedes Jahr einen «Botschafter oder eine Botschafterin des Gewissens» aus. Erster Preisträger war der ehemalige Gewissensgefangene Vaclav Havel. Unter den Preisträgern sind auch Mary Robinson, Peter Gabriel und Nelson Mandela.

Die jüngste AI-Kampagne, «Für ein Leben in Würde», hat sich die Bekämpfung und Überwindung der Armut zum Ziel gesetzt (vgl. S. 34). Salil Shetty, der seit Mitte 2010 amtierende AI-Generalsekretär, ist als ehemaliger Chef der Uno-Millenniumskampagne ein Spezialist auf diesem Gebiet. Im Fokus der 2009 gestarteten Kampagne stehen unter anderem Müttersterblichkeit, Slums und Unternehmensverantwortung. Für Mandela die richtige Wahl: «Solange Armut weiter besteht, gibt es keine wirkliche Freiheit. Amnesty International tut das Richtige, wenn sie den Schwerpunkt ihrer Arbeit in den nächsten Jahren auf die Bekämpfung der Armut legt.»

 

Stars für Menschenrechte

Peter Gabriel, Tracey Chapman, Youssou N’Dour und Kassav (von links) traten 1998 in Paris zum 50-Jahr-Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) auf. Schon 1988 tourten Rockstars wie Bruce Springsteen und Sting unter dem Motto Human Rights Now! Für die Menschenrechte um die Welt. Sie gaben innerhalb von sechs Wochen 19 Konzerte in 15 Ländern, von den USA über Frankreich und die Elfenbeinküste bis Brasilien. Damit wurde ein jüngeres Publikum für die Menschenrechte sensibilisiert: Mehr als eine Million Menschen besuchten die Konzerte, knapp eine Milliarde verfolgten die Übertragungen am Fernsehen.

Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Mai 2011
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion