AMNESTY: Was genau macht eigentlich ein Slam-Poet?
Ein Slam-Poet trägt innerhalb einer vorgegebenen Zeit einen Text vor, den er selber geschrieben hat. An den Poetry-Slams gibt es keine Requisiten und keine Musik. Alles, was der Slam-Poet hat, ist sein Text. Mittlerweile existieren aber auch weitere Formen, etwa Slam-Poeten, die mit einem eigenen Programm auf Tour gehen.
Machen Sie das auch?
Ich nehme nach wie vor an vielen Poetry- Slams teil, weil es mir Spass macht. Aber ich habe auch abendfüllende Programme oder nehme an Projekten wie «Stille Kracht» teil. Daran reizt mich, das ganz verschiedene Arten von Künstlern aufeinandertreffen. Daneben mache ich gemeinsam mit dem Musiker Sascha F. Musik. Und ich spiele im Jungen Theater Basel mit. Theater ist sozusagen meine zweite Leidenschaft.
In Ihre Slam-Poetry sprechen Sie oft davon, dass Ihre Generation, also die etwa Zwanzigjährigen, orientierungslos sei. Ist das so?
Ich glaube nicht, dass wir die erste Generation sind, die orientierungslos ist. Das geht jeder Generation so. Aber ein krasser Unterschied ist, dass sich frühere Generationen gegen die Älteren auflehnten. Bei uns ist das anders: Wir finden uns selber Kacke. Wir checken, dass wir extrem viele Möglichkeiten haben, aber wir können uns keinen Überblick verschaffen. Unsere Art der Orientierungslosigkeit ist aus zu vielen Informationen entstanden. Damit müssen wir erst einen Umgang finden.
Einer Ihrer Texte thematisiert, ob es sich lohnt, sich für «eine bessere Welt einzusetzen». Was denken Sie dazu?
Pathos ist heutzutage einfach nicht mehr gefragt, weder im Alltag noch in der Kunst. Wir wollen nicht, dass uns jemand sagt, was wir machen sollen, sondern es selber versuchen. Doch bei vielen stellt sich dann das Gefühl ein, dass sie sowieso keine Ahnung hätten, wie die Welt zu bewältigen sei. Sie suchen nicht weiter, sondern machen einfach Party. Es ist gewissermassen eine Abwehrreaktion. Doch eigentlich bin ich der Meinung, dass man weitersuchen sollte und dass es trotz allem wieder etwas Pathos braucht. Es ist einfach die Frage, wie man das verpackt. Man soll Aussagen so formulieren, dass sie auch Menschen erreichen, die kein Pathos hören wollen.
Ist Politik ein Thema, das für Sie auf die Bühne gehört?
Für mich gehört alles auf die Bühne, was mich beschäftigt, und Politik beschäftigt mich ein Stück weit. Oder eher die Themen, welche die Politik behandeln sollte. Eigentlich ist es Schwachsinn, über Politik zu reden, denn Politik sollte nicht selber das Thema sein, sondern nur ein Mittel zum Zweck.
Wir haben ein neu gewähltes Parlament. Erwarten Sie etwas von ihm?
Ich bin in einem Land geboren, das sehr klein und überschaubar ist. Ein Land wie die Schweiz, das einen sehr grossen Wohlstand hat, muss Verantwortung übernehmen und nicht immer nur angepasst und neutral sein. Doch Politiker sind ja auch nur Stellvertreter des Volks; wenn man etwas erwartet, muss man an das Volk appellieren und nicht an die Politiker. Das Volk ist am Ende verantwortlich.
Amnesty International feiert dieses Jahr den 50. Geburtstag. Spielen Menschenrechtsthemen in Ihrem Alltag eine Rolle?
Ich habe selber nicht mit Menschen zu tun, die unterdrückt werden oder die krasse Menschenrechtsverletzungen erleben. Aber wir sind heute so vernetzt, dass wir theoretisch alle drei Sekunden eine neue Nachricht über Menschenrechtsverletzungen nachschlagen könnten. Das Problem ist, dass wir gar nicht so viel Mitleid aufbringen können. Liest man von hungernden Kindern, denkt man: Das sollte mich berühren – aber es tut es nicht. Es geht einem viel stärker unter die Haut, wenn ein Norweger ausrastet und herumballert. Der Trick ist meiner Meinung nach, dass man die Wut konservieren muss, die im Mitleid mitschwingt.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von November 2011
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion