MAGAZIN AMNESTY Somalia Unterstützung durch die Diaspora

Angesichts der Hungersnot setzen junge SomalierInnen in der Schweiz alle Hebel in Bewegung, um ihrem Land zu helfen. Eine schwierige Aufgabe angesichts der fehlenden Mittel und der Differenzen zwischen den verschiedenen Clans innerhalb der Diaspora.

duale Mohammed Duale ©Fabrice Praz

«Erst dachte ich, dass man den Somaliern in der Schweiz helfen sollte. Aber nach einer Reise nach Somalia habe ich meine Meinung geändert und setze mich nun für diejenigen ein, die im Land geblieben sind», erzählt Ahmed Jama, ein 27-jähriger Schweizer mit somalischen Wurzeln. Der junge Mann ist Mitglied der NGO Sagal Somali Community, die Mahlzeiten für Flüchtlingskinder im Norden Somalias finanziert. Gegen die Hungersnot gibt es nicht nur Säcke mit Reis aus den westlichen Ländern. SomalierInnen, die im Ausland leben, organisieren sich, um Container mit Kleidern nach Somalia zu schicken oder um Geld für Mahlzeiten oder Medikamente zu sammeln. Zum Beispiel die oben erwähnte NGO Sagal Somali Community oder die Association d’aide à l’intégration de la communauté somalienne und die Association Rajo (Hoffnung). Sie alle wurden von jungen SomalierInnen gegründet, die in der Schweiz aufgewachsen sind.

Allerdings sehen sich die AuslandsomalierInnen mit verschiedenenHindernissen konfrontiert. Vor allem die Ungewissheit, in der die Mehrheit der SomalierInnen in der Schweiz lebt, erschwert die Situation. Von fast 6200 Personen haben etwas mehr als die Hälfte nur eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung (Ausweis F). Damit lässt sich kaum eine Arbeit finden und vielen bleibt nichts anderes übrig, als von der Sozialhilfe zu leben. «Es ist schwierig, Menschen zu mobilisieren, die seit zwanzig Jahren in den gleichen Schwierigkeiten stecken», sagt Mohamed Duale, Präsident der Association d’aide à l’intégration de la communauté somalienne. Der Verein zählt 450 Mitglieder, viele davon können nicht einmal den monatlichen Beitrag von 5 Franken bezahlen. Die 3000 Franken für das Flüchtlingslager in Dadaab in Kenia kamen vor allem durch die Almosen am Ende des Fastenmonats Ramadan und durch Beiträge finanziell besser gestellter Mitglieder zusammen. Die meisten Familien unterstützen ihre Angehörigen, die noch in Somalia oder in einem Flüchtlingslager leben, direkt. «Sogar diejenigen, die mit der Sozialhilfe monatlich 400 Franken zur Verfügung haben, schicken etwa die Hälfte davon an ihre Familie», schätzt Mohamed Duale. An den gemeinsamen Aktionen beteiligen sich in der Regel junge SomalierInnen, die in den 1990er-Jahren in die Schweiz gekommen sind, eine feste Arbeitsstelle haben und den Ausweis C besitzen oder inzwischen eingebürgert sind.

Geteilte Diaspora

Die junge Generation hat nichts mehr mit den Clan-Konflikten am Hut, die ihre Eltern ins Exil getrieben haben. Oft stossen sie bei ihren Eltern auf Widerstand, wenn sie irgendetwas gemeinsam mit anderen organisieren wollen. «Wir sind indirekt von den Problemen zwischen den verschiedenen Clans betroffen», bedauert Ahmed Jama. «Eine Familie vom Stamm der Hawiye (Zentralund Südsomalia) kann es nicht verstehen, dass ihr Kind mit einem Darod (Zentral- und Nordostsomalia) Kontakt hat und umgekehrt.» Obschon in einigen Vereinen verschiedene ethnische Gruppen vertreten sind, ist die Diaspora auch heute noch überwiegend geteilt.

«Bei uns gibt es keine aktive Gemeinschaft, weil wir den anderen gegenüber immer misstrauisch sind», sagt Saïda Mohamed Ali, die als Dolmetscherin arbeitet und somalische Wurzeln hat. Bei ihrer Arbeit kommt es manchmal vor, dass ein Landsmann oder eine Landsfrau sich weigert, mit ihr zu reden, weil sie einem anderen Clan angehört. Sie versucht etwas gegen diese Widerstände zu unternehmen und SomalierInnen unterschiedlicher Herkunft zusammenzubringen. Angesichts der Katastrophe, die sich in ihrem Herkunftsland abspielt, hat Saïda Mohamed Ali den Wunsch zu handeln. Ihrer Stimme sind die Emotionen anzuhören, als sie von einem Telefongespräch erzählt, das sie mit einem Arzt in der Hauptstadt Mogadischu geführt hat: «Flüchtlinge haben im Norden der Stadt Schutz vor Bombenangriffen gesucht. Sie haben weder Kleidung, noch Wasser und sind alle krank. Dieser Arzt hat keine Medikamente, um ihnen zu helfen. Deshalb hat er ihnen mit Wasser gefüllte Kapseln gegeben und sie glauben gemacht, es seien Schmerzmittel.» Da es keine vereinte somalische Gemeinschaft gibt, ist es für die Dolmetscherin, die vor 17 Jahren in die Schweiz gekommen ist, schwierig zu wissen, wie sie ihren Landsleuten helfen kann.

Konflikt in weiter Ferne

Entmutigend ist nicht nur die Ungewissheit, mit der viele SomalierInnen in der Schweiz leben müssen, oder der fehlende Zusammenhalt, sondern auch die ausweglose Situation, in der sich das konfliktgebeutelte Land befindet. «Die Älteren haben die Brücken abgebrochen, sie wollen nichts mehr über diesen wahnwitzigen Krieg hören», erzählt Mohamed Duale. Die Jüngeren, die Anfang der 1990er-Jahre in die Schweiz gekommen sind, haben sich eine Schweizer Identität aufgebaut und kennen Somalia kaum. «Was sind das für Leute, die sich gegenseitig umbringen? Mit denen habe ich nichts zu tun!», kriegt Ahmed Jama oft von Gleichaltrigen zu hören. Er selbst verspürt das Bedürfnis, aktiv zu werden. Und damit ist er nicht allein. «Ich hoffe, dass sich uns noch andere junge Leute anschliessen werden, damit wir dieses Kriegsregime stoppen können. Als Vertreter der Diaspora ist es unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass sich die Mentalität ändert», sagt ein überzeugter Abdi Mohamed, Präsident der Association Rajo. Ein Aufkeimen der Hoffnung einer Generation, die versucht, einen Krieg zu überwinden, der ihre Eltern betrifft.

 

Von der Generation mit Ausbildung zur Generation Titanic

Seit Ausbruch des Bürgerkrieges 1991 emigrieren SomalierInnen in die Schweiz. Die ersten kamen mit dem Flugzeug, ein Diplom in der Tasche und hochfliegende Pläne im Kopf. Ihre Hoffnungen wurden schnell enttäuscht. Da es in Somalia keine staatlichen Strukturen gab, erhielten sie in der Schweiz auch keinen Flüchtlingsstatus, da sie keine staatliche Verfolgung nachweisen konnten. Viele reisten weiter in Länder, die sie freundlicher willkommen hiessen, z.B. nach Grossbritannien oder nach Skandinavien. Diejenigen, die in der Schweiz blieben, wurden vorläufig aufgenommen. Viele behielten diesen Status über Jahre hinweg und litten darunter, dass ihre Abschlüsse nicht anerkannt wurden.

Mit der Generation Titanic sind die jungen Leute gemeint, die heute aus Somalia fliehen. Die Generation Titanic macht sich auf den Weg, quer durch die Sahara ans Mittelmeer und von dort weiter auf einem Flüchtlingsschiff. Eine Reise des Grauens, auf der einige mitansehen mussten, wie Angehörige ihrer Familie sterben. Die Schweiz ist ihre grosse Hoffnung. Aber die Realität holt sie schnell ein. Nur 23 Prozent von ihnen sind 2011 als Flüchtlinge anerkannt worden. Vor der Hungersnot waren es 9,6 Prozent. Die meisten werden nach Italien zurückgeschickt, so wie es das Dublin-Abkommen vorsieht.

Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von November 2011
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion