Im Nordosten Kolumbiens frisst eine der grössten Kohleminen der Welt das Gebiet der Region La Guajira nach und nach auf. Die BewohnerInnen von fünf Dörfern wurden bereits verjagt. Sie mussten ihr Land verkaufen oder ihr Land wurde gegen ihren Willen enteignet, um einem riesigen Loch von 13000 Hektaren Platz zu machen. Die Indigenen vom Volk der Wayúu wurden weder konsultiert noch erhielten sie faire Entschädigungen.
Die Kohlenmine El Cerrejón gehört zu einem Drittel Xstrata, einem der grössten Bergbaukonzerne der Welt, der seinen Hauptsitz in Zug hat. Der Multi hat im Februar 2012 angekündigt, dass er mit Glencore fusionieren will, einer der grössten Rohstoffhandelsfirmen der Welt, die bereits 35 Prozent der Aktien von Xstrata hält. Durch die Elefantenhochzeit würde ein 90-Milliarden-Megakonzern entstehen. Kaum vorstellbar, dass sich mittellose Indigene aus Kolumbien gegen diesen Riesen in der Schweiz für ihre Rechte wehren können.
Die DorfbewohnerInnen haben nur die Möglichkeit – allerdings ohne Aussicht auf Erfolg – vor einem Gericht in Kolumbien zu klagen. Denn weil der Mutterkonzern in der Schweiz und die Tochtergesellschaft in Kolumbien zwei getrennte juristische Personen sind, kann der Mutterkonzern nicht belangt werden. Dies ist einer der Punkte, die Amnesty International mit rund 50 weiteren NGOs mit der Kampagne «Recht ohne Grenzen» ändern will. Mutterkonzerne sollen in Zukunft die Sorgfaltspflicht für Tochterfirmen, Filialen und Zulieferfirmen übernehmen, d.h., sie sollen garantieren, dass diese Menschenrechte und Umweltstandards einhalten.
Eine – allerdings unbefriedigende – Möglichkeit, in der Schweiz gegen Xstrata vorzugehen, ist für die Wayúu eine Eingabe beim Nationalen Kontaktpunkt (NKP) der Schweiz. Diesen NKP hat die Schweiz als OECD-Mitglied aufgrund der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen eingerichtet. Er ist beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) angesiedelt. Auf der Seco-Website wird erklärt, dass der NKP mit den «beteiligten Parteien alle entsprechenden Fragen (erörtert), um so zur Lösung der möglicherweise auftretenden Problem beizutragen». Diese schwammige Formulierung passt bestens zur Schwäche dieses Instruments: «Es wird oft vergessen, dass der NKP kein Gericht ist, er ist eine Mediationsstelle», erklärt Danièle Gosteli Hauser, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International Schweiz. Im Klartext: Wenn der Schweizer Konzern nicht will, gibt es gar keine Verhandlungen. Dann ist der NKP beim Seco blockiert und die Mediationsbemühungen werden nicht weiterverfolgt. Selbst wenn es zu einem Verfahren kommt, heisst das noch nicht, dass es zu einer Einigung kommt. «Eine Mediationsstelle ist kein Gericht, bei dem man eine saubere Klage einreichen kann», gibt Gosteli Hauser zu bedenken.
Eines der Probleme mit dem NKP ist für NGOs und Gewerkschaften, dass der Nationale Kontaktpunkt im Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) angesiedelt ist. «Die eigentliche Kernaufgabe des Seco ist die Wirtschaftsförderung», sagt Gosteli Hauser, «sie können gar nicht unabhängig urteilen.» Denn im Seco herrsche die Angst vor, dass Wettbewerbsfähigkeit und Marktanteile sinken würden, wenn zu viel für die Menschenrechte getan werde. Dem hält Lukas Siegenthaler, der Leiter des NKP Schweiz, entgegen: «Auch wenn der NKP Schweiz beim Seco angesiedelt ist, sind in den Arbeitsgruppen, die die Eingaben begutachten, Spezialisten aus verschiedenen Bundesämtern vertreten.»
Für die NGOs reicht das nicht: «Wir haben verlangt, dass eine multidepartementale Lösung gefunden wird», sagt Gosteli Hauser. Der NKP müsse erweitert werden, insbesondere die Zivilgesellschaft sollte beigezogen werden. In anderen Ländern ist die Trägerschaft breiter: In Holland oder England zum Beispiel sind verschiedene Ministerien, NGOs und Gewerkschaften in der Trägerschaft vertreten.
Gosteli Hauser stellt eine grundsätzliche Inkohärenz zwischen verschiedenen Departementen und Bundesämtern fest und fordert, dass es hier zu einer besseren Zusammenarbeit kommen müsse. Das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) fördere die Menschenrechte bei vielen freiwilligen Initiativen. «Beim EDA wird die Stärkung der Menschenrechte gefördert, so gut es geht, aber sobald es um die konkrete Umsetzung geht, hapert es mit der Unterstützung», erklärt Gosteli Hauser. Dies liege daran, dass die konkrete Umsetzung beim Volkswirtschaftsdepartement angesiedelt sei, und im Seco fehle es oft an konkreten Vorstellungen. So sei unklar, wie zum Beispiel die Ruggie-Richtlinien wirkungsvoll umgesetzt werden könnten.
Freiwillige Initiativen
Danièle Gosteli Hauser attestiert den freiwilligen Initiativen, wie dem Global Compact, dass sie zumindest die Wahrnehmung in der Wirtschaft verändert hätten. «Wenn ich in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre mit einem Unternehmer über Menschenrechte gesprochen habe, sagte er, das ginge ihn nichts an, das sei Sache des Staates.» ABB und Novartis waren dann die ersten Unternehmen, die dem Global Compact beigetreten sind, der 1999 am Weltwirtschaftsforum (WEF) vom damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan vorgestellt wurde. «Einige Grosskonzerne haben verstanden, um was es geht, nämlich darum, dass Menschenrechte und Umweltstandards in ihre tägliche Arbeit einfliessen müssen.» Aber damit ist es nicht getan, weil viele Unternehmen ihre Sorgfaltspflicht nicht ernst genug nehmen. Sie prüfen nicht konsequent, ob Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden.
Die grösste Schwäche der freiwilligen Initiativen liegt bei den Überwachungsmechanismen. Die Konzerne führen ihre eigenen Kontrollen durch, da gibt es keine Unabhängigkeit. So war beispielsweise das nigerianische Umweltministerium darauf angewiesen, dass ihm die Firma Shell Fahrzeuge zur Verfügung stellte, als es Lecks in Ölleitungen von Shell kontrollieren sollte. Shell-Vertreter waren bei der Kontrolle dabei und konnten Einfluss darauf nehmen, was letztlich in den Bericht geschrieben wurde. So wurden aus Unterhaltsfehlern plötzlich Sabotageakte.
«Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass mit freiwilligen Initiativen keine substantiellen Verbesserungen erreicht werden können», betont Gosteli Hauser. Unternehmen müssten Rechenschaft gegenüber dem Staat ablegen, dass sie sich an ethische Standards halten. Fälle wie diejenigen von Shell und von Xstrata machen deutlich, dass es Regeln braucht, damit Firmen mit Sitz in der Schweiz auch juristisch für ihr Handeln im Ausland verantwortlich gemacht werden können. «Wenn wir gesetzlich verankern, dass die Mutterkonzerne gegenüber Zulieferern, Filialen und Tochtergesellschaften die Sorgfaltspflicht wahrnehmen müssen, werden die ihre Partner besser kontrollieren», ist Gosteli Hauser überzeugt. Sorgfaltspflicht bedeutet, dass der Konzern wirklich Verantwortung übernimmt und dafür sorgt, dass seine Produkte über die ganze Zulieferkette und die Filialen gemäss den Menschenrechten und Umweltstandards hergestellt werden.
Globale Gesetze fehlen
Mit der Globalisierung sind transnationale Konzerne entstanden, die über eine enorme Macht verfügen. «Es ist einfach skandalös, dass nicht parallel zum Entstehen dieser Multis eine Gesetzgebung geschaffen worden ist, die Missbräuche bestraft», erklärt Gosteli Hauser. Hier müsse der Staat nun endlich aktiv werden.
Heute können Wirtschaftsunternehmen als Unternehmen strafrechtlich nur wegen Delikten wie Wirtschaftskriminalität, Geldwäscherei oder Korruption verfolgt werden. Wegen anderen Vergehen müssen Personen innerhalb des Konzerns angeklagt werden, was häufig sehr schwierig ist.
Ein wichtiger Aspekt ist für Gosteli Hauser, dass ausländische Opfer ihre Rechte in der Schweiz auch nicht einklagen können, wenn sie in dem Land, in dem sich die Verletzungen auswirken, keine angemessenen Klagemöglichkeiten haben. Dabei stellt sich zum Beispiel das Problem, dass in der Schweiz keine Sammelklagen zugelassen sind. Für die meist mittellosen Opfer von Menschenrechtsverletzungen in armen Ländern ist es aber unmöglich, dass jedes einzelne sich vor Gericht verteidigen kann. Zudem kennt das Schweizer Zivilrecht kein Beweiserhebungsverfahren, mit dem ein Unternehmen verpflichtet werden kann, interne Dokumente vorzulegen, die für die Untersuchung wichtig sein könnten. Damit liegt die Beweislast allein bei den Opfern, was es für diese sehr schwer macht, die Schuld des Konzerns nachzuweisen.
Angesichts der heute bestehenden Hürden ist es einleuchtend, dass die DorfbewohnerInnen, die der Kohlenmine El Cerrejón in Kolumbien weichen mussten, in der Schweiz keine Klage einreichen konnten. Ihre Eingabe beim NKP Schweiz hat gemäss der Organisation MultiWatch nach mehrjährigen Verhandlungen dazu geführt, dass sie eine Entschädigung erhalten haben. Die vertriebenen BewohnerInnen waren über diese Wiedergutmachung aber masslos enttäuscht: Das neu aufgebaute Dorf ist viel zu klein, die Familien erhielten zu wenig Land, um davon leben zu können und die Entschädigungen waren beschämend klein.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von März 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion