«Die Schweiz hat im internationalen Vergleich ein strenges Kriegsmaterialgesetz», betont Simon Plüss, Ressortleiter Exportkontrollen/Kriegsmaterial im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Das Uno-Abkommen zur Kontrolle des internationalen Waffenhandels (Arms Trade Treaty, ATT), über das im Juli in New York verhandelt wird, werde deshalb kaum grosse Auswirkungen auf die Schweizer Waffenexportgesetzgebung haben, ist Plüss überzeugt.
Ähnlich sieht es Andreas Meier, Leiter Exportkontrolle bei der Rheinmetall Air Defence AG (RAD, vormals Oerlikon Contraves), dem Marktführer bei der Herstellung von Flugabwehr-Waffensystemen: «Der ATT wird für RAD kaum etwas ändern, da die Schweizer Gesetzgebung im Bereich der Rüstungsexporte umfassend ist.» Rheinmetall begrüsst ein internationales Waffenhandelsabkommen, weil dadurch Standardrichtlinien festgelegt würden.
Gerade weil ein ATT für die Schweizer Waffenexporte kaum Konsequenzen haben würde, steht die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) dem Uno-Waffenhandelsabkommen kritisch gegenüber. «Falls dieses Abkommen überhaupt zustande kommt, wird es auf dem minimalsten Konsens der Staaten beruhen», ist Adi Feller, der politische Sekretär der GSoA, überzeugt.
«Schlupflöcher schliessen»
Die offizielle Schweiz steht einem Uno-Waffenhandelsabkommen positiv gegenüber, Vertreter des Seco haben an allen vier Vorbereitungssitzungen für die Konferenz vom kommenden Juli mitgearbeitet. «Die Schweiz ist für ein striktes, rechtlich verbindliches, umfassendes Abkommen, das alle konventionellen Waffen einbezieht», betont Plüss. Das Abkommen solle so abgefasst sein, dass es möglichst keine Schlupflöcher mehr gebe.
Für Meier wäre es allerdings eine Illusion zu glauben, dass die Uno so strikte Ausschlusskriterien wie die Schweiz im ATT annehmen werde. «Wenn die Forderungen im ATT ähnlich streng wären, so wäre ein Scheitern des Abkommens vorprogrammiert.» Zurzeit sei die Schweiz das einzige Land, das zum Beispiel Saudi-Arabien nicht mehr mit neuen Waffensystemen beliefern dürfe. Dass die Schweiz ein strenges Kriegsmaterialgesetz hat, stimmt für die GSoA nur auf dem Papier. «In der Praxis wird das Gesetz nicht umgesetzt», sagt Feller. «Wenn die Kriegsmaterialverordnung gemäss Völkerrecht angewendet würde, müsste die Schweiz sofort ihre Waffenexporte in die meisten Länder stoppen.»
Der kritische Punkt
Für 872,7 Millionen Franken wurden 2011 Waffen aus der Schweiz exportiert. Mit 0,42 Prozent der gesamten Exporte der Schweizer Wirtschaft sei die Waffenausfuhr zwar gering, sie bleibe politisch aber ein brisantes Geschäft, erklärt Patrick Walder, Kampagnenkoordinator bei der Schweizer Sektion von Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation fordert von den Schweizer Behörden eine restriktive Anwendung der geltenden Waffenexportbestimmungen. «Die Lieferung von Waffen darf nicht genehmigt werden, wenn das Risiko besteht, dass bei ihrem Einsatz die Menschenrechte schwerwiegend verletzt werden», fordert Walder.
Die Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte werde von Rheinmetall vorbehaltlos unterstützt, erklärt Andreas Meier von RAD mit Verweis auf den Verhaltenskodex (Code of Conduct) des Konzerns. «Rheinmetall Air Defence ist auf Entwicklung und Produktion von defensiven Fliegerabwehrsystemen spezialisiert. Diese Systeme sind nicht für die Verletzung von Menschenrechten konzipiert.»
Für Simon Plüss vom Seco ist klar, dass die Thematik der Menschenrechte der kritische Punkt im Abkommen sein wird: «Verschiedene Länder haben hier Opposition angekündigt.» Was eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung sei, werde von verschiedenen Staaten unterschiedlich interpretiert. Deshalb bestehe die Angst, dass dieses Kriterium politisch instrumentalisiert werden könnte. Genau aus diesem Grund ist Adi Feller von der GSoA auch überzeugt, dass Menschenrechtskriterien kaum in den ATT kommen werden. «Wenn doch, werden Staaten aufgrund unterschiedlicher Einschätzungen ihre Waffenlieferungen damit rechtfertigen, dass keine schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen vorliegen.»
Fälle von Missbrauch
Die Kriegsmaterialverordnung der Schweiz schreibt schon heute vor, dass «die Respektierung der Menschenrechte und der Verzicht auf Kindersoldaten» im Bestimmungsland bei der Bewilligung von Waffenexporten geprüft werden müssen. Geprüft werde jedes Gesuch einzeln, erklärt Plüss, und zwar sowohl vom Seco als auch vom Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Trotzdem kommt es vor, dass Schweizer Waffen in Kriegs- und Krisengebieten zum Einsatz kommen, obwohl das Kriegsmaterialgesetz Exporte in solche Regionen verbietet. Als Saudi-Arabien dem Nachbarstaat Bahrain im März 2011 zur Niederschlagung von friedlichen Protesten zu Hilfe eilte, setzte die saudische Armee Piranha-Schützenpanzer der Kreuzlinger Firma Mowag ein. Die Panzer sind unter Lizenz in Kanada hergestellt worden.
Amnesty International hat zudem in einem Bericht belegt, dass im Sommer 2011 libysche Rebellen im Kampf gegen die Truppen von Diktator Muammar al-Gaddafi Munition des Schweizer Rüstungskonzerns Ruag eingesetzt haben. Die Munition war ursprünglich an Katar geliefert worden und gelangte von dort wegen eines «Logistikfehlers» der katarischen Armee nach Libyen, wie das Seco später herausfand. Dies, obwohl das Seco von jedem Käuferland eine Nichtwiederausfuhrerklärung verlangt.
2008 tauchte im Tschad eine mit Waffen bestückte PC-9 der Pilatus-Flugzeugwerke in Stans auf, die ursprünglich als Trainingsflugzeug verkauft worden war und vermutlich im Darfur-Konflikt eingesetzt wurde. 2009 wurden Waffen aus der Schweiz in den indischen Teilstaat Chhattisgarh geliefert, obwohl dort Regierungstruppen und Rebellen in einen bewaffneten Konflikt verwickelt waren und gemäss Human Rights Watch von beiden Seiten auch Kindersoldaten rekrutiert wurden.
«Restriktive Anwendung»
Die Beispiele zeigen in den Augen von Amnesty International, dass Schweizer Waffen immer wieder in die Hände von Regimes oder bewaffneten Gruppierungen gelangen, die damit schwere Menschenrechtsverletzungen begehen können. «Es braucht in der Schweiz eine restriktivere Anwendung geltender Regeln und eine schärfere Risikoanalyse», verlangt Walder. Es genüge nicht, ein Waffenembargo gegen Länder zu beschliessen, in denen Krieg herrsche. «Ein Exportverbot muss vor einer Eskalation ausgesprochen werden.»
Für Simon Plüss vom Seco ist es illusorisch zu glauben, dass ein Waffenhandelsabkommen Missbrauch gänzlich verhindern könne. Derartige Einzelfälle werde es immer geben: «Grundsätzlich bleibt eine Waffenausfuhrbewilligung wohl auch unter einem ATT ein nationaler Entscheid.» Nicht alle Länder würden die nötigen Kontrollen gleich strikt durchführen, das wäre nur möglich, wenn eine supranationale Organisation dafür eingesetzt würde. Das werde aber kaum der Fall sein. Auch für die GSoA ist der Kontrollmechanismus das Grundproblem. Feller ist sich mit Plüss einig, dass sich die Staaten an der Uno-Konferenz kaum auf eine unabhängige Kontrolle werden einigen können. Eine solche Kontrolle wäre jedoch zentral, denn «der Spielraum in derartigen Abkommen wird häufig zugunsten der Industrie und zuungunsten von Menschenrechten und Exportbeschränkungen ausgenutzt».
Auch wenn der ATT in der Schweiz kaum zu Gesetzesänderungen führen wird, geht Amnesty International davon aus, dass ein internationales Waffenhandelsabkommen zu einer schärferen Anwendung der bereits gültigen Regeln in der Schweiz führen wird.
Skandalöse Schweizer Waffengeschäfte
Dass die Schweiz heute strenge Waffenexportregeln hat, ist nicht zuletzt auf einige skandalöse Waffengeschäfte in der Vergangenheit zurückzuführen. 1968 verkaufte die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle illegal Waffen nach Nigeria, das in einen Bürgerkrieg mit dem abtrünnigen Biafra verwickelt war. Während in der Schweiz für die ausgemergelten Kinder in Biafra Geld gesammelt wurde, beschoss die nigerianische Armee mit Bührle-Fliegerabwehrkanonen Flugzeuge mit Hilfsgütern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).
Die von der Bundesanwaltschaft in der Folge aufgenommenen Ermittlungen ergaben, dass der Bührle-Konzern auch an Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Südafrika und den Libanon verbotenerweise Waffen und Munition verkauft hatte. Der Skandal führte dazu, dass das lückenhafte Waffenausfuhrgesetz durch ein Kriegsmaterialgesetz ersetzt wurde.
In den 1970er-Jahren kam es zu politischen Kontroversen um Verkäufe von Pilatus-Flugzeugen. Die Leichtflugzeuge des Stanser Flugzeugherstellers waren bis 1973 dem Kriegsmaterialgesetz unterstellt, weil unter den Tragflächen problemlos Bomben angebracht werden können. Dann beschloss das Parlament, die Flugzeuge aus der Kriegsmaterialverordnung zu streichen. In der Folge wurden PC-7- und PC-9-Flugzeuge in Staaten wie Myanmar, den Irak, den Iran, Guatemala oder Angola verkauft, die in bewaffnete Konflikte verwickelt waren und wo diese Flugzeuge unter anderem gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurden.
Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von Juni 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion