MAGAZIN AMNESTY Militär versklavt ein ganzes Volk

Der Nationalrat will Dienstverweigerung als Asylgrund streichen. Das entspräche einer «Lex Eritrea». Fast gleichzeitig verurteilt der Uno-Menschenrechtsrat, dass eritreische BürgerInnen auf unbestimmte Zeit zum Militärdienst gezwungen werden.

Der Uno-Menschenrechtsrat hat sich am 6. Juli 2012 zum ersten Mal zu Eritrea geäussert. Mit einer Resolution schuf er das Amt eines Sonderberichterstatters, der im Juni 2013 über die Situation vor Ort rapportieren soll, und verurteilte in aller Schärfe die «systematischen Verletzungen der Menschenrechte und der Grundrechte durch die eritreischen Behörden». Besonders missfiel der Uno-Institution, dass die BürgerInnen auf unbestimmte Zeit zum Militärdienst gezwungen werden können.

Nur kurz zuvor, nämlich am 14. Juni, sprach sich der Schweizer Nationalrat dafür aus, dass Dienstverweigerung aus Gewissensgründen kein Asylgrund mehr sein soll. Damit stellt er einen Entscheid der mittlerweile durch das Bundesverwaltungsgericht ersetzten Asylrekurskommission (ARK) in Frage. Diese war zum Schluss gekommen, dass Personen aus Eritrea, die den Kriegsdienst verweigerten, Asyl erhalten sollten. «Aber das geschah auf keinen Fall systematisch. Selbst wenn im Parlament das Gegenteil behauptet wurde», präzisiert Aldo Brina von der Genfer Organisation Centre social protestant (CSP). «Es wird ja jeder Fall einzeln geprüft.»

Seit 2001 nimmt der Exodus aus Eritrea kein Ende. Damals lancierte Prä­sident Issayas Afewerki eine brutale Säuberungspolitik. Er terrorisierte die Bevölkerung und machte sie mundtot. Im Durchschnitt verlassen seit 2005 pro Monat rund 3000 EritreerInnen ihr Land. Der nordostafrikanische Staat ist das Hauptherkunftsland von Asylsuchenden in der Schweiz; 2011 gab es 3356 entsprechende Gesuche. 2577 Personen aus Eritrea wurde im vergangenen Jahr Asyl gewährt. Seit dem Beschluss der ARK ist die Zahl angenommener Gesuche gestiegen, was zu einem Aufschrei in populistischen Kreisen führte. Es kam zu einer richtiggehenden «Lex Eritrea», welche die «Attraktivität der Schweiz» senken sollte. Gemäss dem Sozialanthropologen David Bozzini gab es aber keine zusätzliche Einreise von EritreerInnen, die direkt mit dem Entscheid der ARK in Zusammenhang stünde.

Politische Bestrafung

Die geplante Verschärfung ist auch in den Augen von Bundesrätin Simonetta Sommaruga nicht umsetzbar: «Gemäss der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ist in Eritrea die Bestrafung von Dienstverweigerung und Desertion nach wie vor politisch motiviert und unverhältnismässig streng. Personen, die glaubhaft darlegen, einer solchen Bestrafung ausgesetzt zu sein, ist daher Asyl zu gewähren», sagte die Justizministerin während der Fragestunde im Nationalrat. Diesen EritreerInnen würde vermutlich eine vorläufige Aufnahme gewährt – ein Status, der weder die Integration fördert noch die Zuwanderung dämpft. Nach Meinung von Aldo Brina hat der Nationalrat «den Kern des Asylrechts» angegriffen. Der Vorstoss ziele genau auf jene Menschen ab, welche die 1951 von der Uno erarbeitete Flüchtlingsdefinition schützen solle.

Zwangsarbeit

Der Militärdienst in Eritrea weist nämlich alle Charakteristiken der Verfolgung durch den Staat auf. Er ist brutal und bedroht die Freiheit. Ein ganzes Volk wird aus­gebeutet. Die Behörden sehen De­serteure und Deserteurinnen als LandesverräterInnen an. Sie werden verfolgt, ohne Gerichtsurteil eingesperrt, ge­foltert, getötet oder in Arbeitslager verfrachtet. David Bozzini betrachtet diesen Militärdienst als «zentrale Achse einer militärischen Kontrolle, die alle sozialen Bereiche umfasst». Damit werde eine Planwirtschaft durchgesetzt, die im Einparteienstaat Eritrea einzig durch die Regierung kontrolliert werde.

Der Militärdienst wurde 1994 in Eritrea eingeführt. Er gilt für alle zwischen 18 und 48 Jahren und sollte eigentlich 18 Monate dauern. Aber er wird häufig auf unbestimmte Zeit verlängert. Eine Demobilisierungsstrategie existiert nicht, und manche SoldatInnen werden seit über einem Jahrzehnt zum Dienst gezwungen. Seit dem Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien von 1998 bis 2000 müssen die Einberufenen in einem Programm zum nationalen Wiederaufbau schuften. SchülerInnen der Oberstufe absolvieren ihr letztes Schuljahr in einer Militärbasis. Damit sollen sie an der Flucht gehindert werden, wie Dan Connell sagt. Der US-amerikanische Reporter berichtet seit

35 Jahren über die Lage vor Ort.

Wenn diese «Elite» den Abschluss erlangt hat, kann sie ihre Studien fortsetzen; sie ist aber gleichzeitig dem Verteidigungsministerium untergeordnet und wird im «Bedarfsfall» einberufen. Die Studierenden können ihr Fach nicht selbst auswählen und werden nach dem Abschluss dort eingesetzt, wo die Partei es für nützlich befindet. Doch im Vergleich mit den Militärdienstleistenden haben sie immerhin noch etwas Bewegungsfreiheit, selbst wenn sie eine Bewilligung brauchen, um ausser Landes zu reisen.

Die SoldatInnen der Armee dagegen verrichten unter härtesten Bedingungen Bauarbeiten, für die sie nicht bezahlt werden. Untergebracht sind sie in Zelten. Pro Jahr erhalten sie drei Wochen Fronturlaub. Frauen werden regelmässig vergewaltigt.

Seit 2002 werden RekrutInnen mit extrem brutalen Razzien zusammengetrieben, wie David Bozzini sagt, der zwei Jahre im Land gelebt hat. In Eritrea wie im Exil ist die Angst omnipräsent. Die reale und imaginierte Überwachung und Willkür liegt wie Blei auf der Bevölkerung. Ein Rechtsstaat existiert nicht. Wegen der nur unklar ausgehandelten Grenze mit Äthiopien herrscht «weder Krieg noch Frieden». Das Land befindet sich also im permanenten Ausnahmezustand. In den Augen von Léonard Vincent, Journalist und früherer Afrika-Chef von Reporter ohne Grenzen, ist Eritrea «eine einzige grosse Militärkaserne».

In der Schweiz wird der Ständerat im September darüber verhandeln, ob Dienstverweigerung weiterhin als Asylgrund anerkannt werden soll.

Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von August 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion