MAGAZIN AMNESTY Menschenrechte machen keine Ferien

Die Schweiz ist ein reiselustiges Land. Ferienhungrige können dazu beitragen, dass der Tourismus im In- und Ausland keinen Schaden anrichtet, sondern Nutzen bringt. Aber die Verantwortung soll nicht allein den Reisenden zugeschoben werden. Auch Regierungen und die Ferienindustrie sind in der Pflicht.

Sanft brandet das Meer ans Ufer. In der Hand ein kühles Bier und im Magen leckeres Essen – so lässt sichs leben! Ferien sind die wohl schönste Zeit im Jahr, und diese Zeit soll uns das schlechte Gewissen nicht kaputtmachen. Damit in den Ferien auch in Sachen Menschenrechte alles wolkenlos bleibt, braucht es Vorbereitung.

Eine «Begegnung auf Augenhöhe» kann in repressiven Staaten für die Einheimischen eine Bereicherung sein.

«Wir raten den Leuten, sich gut über ihr Reiseland zu informieren und bewusste Entscheidungen zu treffen», sagt Christine Plüss, Geschäftsführerin des Arbeitskreises Tourismus & Entwicklung (akte), der sich für fairen Tourismus einsetzt. «Man kann heute ganz einfach anders reisen. Als KonsumentInnen haben wir die Wahl, ob wir ein Schnäppchen buchen, das dem Personal vor Ort kaum einen fairen Lohn erlaubt. Oder ob wir ein Angebot nutzen, das die GastgeberInnen fair am Tourismus teilhaben lässt und die Umwelt nicht zerstört.» 
Gerade in den beliebten Reisedestinationen Tunesien und Ägypten ist eine Entwicklung hin zu Dumpingpreisen zu beobachten. So sollen die wegen des Arabischen Frühlings verunsicherten Reisenden wieder ins Land geholt werden. Akte empfiehlt, lokale Betriebe zu berücksichtigen und das Feriengeld so auszugeben, dass möglichst viel im Gastland bleibt. Ist die Reise einmal angetreten, rät Plüss dazu, sich im Ferienland Zeit zu nehmen, um Land und Leute wirklich kennenzulernen. Gerade in Staaten mit repressiven Regierungen könne eine «Begegnung auf Augenhöhe» für die Einheimischen eine wertvolle Bereicherung sein. Doch auch hier gelte es, sich gut zu informieren: «In Burma beispielsweise konnte vor der nun beginnenden Öffnung ein Gespräch mit einem Ausländer oder einer Ausländerin die Einheimischen gefährden. Dessen muss man sich unbedingt bewusst sein!»

Lücken schliessen

Plüss ist es allerdings ein Dorn im Auge, wenn die ganze Verantwortung auf die einzelnen Reisenden abgeschoben wird. «Die Staaten und die Tourismusindustrie tragen eine Verantwortung, die sie endlich wahrnehmen müssen!» In einer Studie, die der Evangelische Entwicklungsdienst Bonn letztes Jahr gemeinsam mit akte herausgegeben hat, werden klare Forderungen erhoben: Die Uno-Welttourismusorganisation soll regelmässig über die Lage der Menschenrechte im Tourismus berichten. Die EU sowie die Schweizer Regierung müssen Regelungslücken bezüglich Menschenrechten und Unternehmensverantwortung unter Einbezug touristischer Betriebe schliessen. Auch die Regierungen der Tourismus-Zielländer, InvestorInnen und Reiseveranstalter sollen gemäss der Studie konkrete Massnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte nicht verletzt werden. Denn die Zielländer haben bei Tourismusvorhaben meist gar nicht die eigene Bevölkerung im Blick, sondern die ausländischen Investoren. Akte beobachtet etwa die Entwicklung in Sri Lanka genau, wo die Behörden nach dem Ende des jahrelangen Bürgerkriegs den Tourismus als «Motor des Wiederaufbaus» fördern wollen. An der Nordwestküste vertreibt ein geplantes «Ökotourismus-Resort» die ansässigen Fischer hinter Stacheldraht und gefährdet ihre Lebensgrundlagen. «Tourismus wird häufig als Heilsbringer für die lokale Bevölkerung verkauft, der ihr endlich ein Einkommen ermöglichen soll. Aber so einfach ist es nicht», sagt die akte-Geschäftsführerin. «Tourismus kann zur nachhaltigen Entwicklung von lokalen Gemeinschaften beitragen. Aber nur, wenn er unter Einbezug der Bevölkerung und mit klaren politischen Rahmenbedingungen entwickelt wird.» Andernfalls würden Umweltschäden, Zwangsräumungen, Kinderarbeit, Ausbeutung und Ausverkauf der Kultur drohen.

Nachhaltigkeit fördern

«Kein Tourismus bringt aber auch keine Entwicklung. Wer ein Land boykottiert, wendet sich davon ab», betont Stefan Jäggi von der Branchenfachzeitschrift Travel Inside. Er erachtet die SchweizerInnen als vergleichsweise sensibilisiert für das Thema. Studien zufolge seien sie in einem begrenzten Umfang bereit, für nachhaltiges Reisen zu bezahlen. In jüngerer Zeit habe der Ökotourismus Auftrieb erlebt – wobei für viele Unternehmen hier auch der Imagegewinn eine Rolle spiele. «Die grossen Reiseanbieter können sich aufgrund ihrer Struktur stärker um Nachhaltigkeit und Menschenrechte bemühen, als dies kleineren Anbietern möglich ist», sagt Jäggi. Etwa beim Schutz von Kindern vor Sextourismus hätten die grossen Player mit der Unterzeichnung eines Verhaltenskodex und der Einführung von Meldeformularen einen Schritt nach vorn gemacht.

Der Reiseanbieter Kuoni entwickelt derzeit in einer dreijährigen Pilotphase unternehmensweite Richtlinien für den Schutz der Menschenrechte. «Es geht in erster Linie um Arbeitsbedingungen, Kinderschutz und eine Wirkungsanalyse in der Wertschöpfungskette», erklärt Matthias Leisinger, der bei Kuoni für das konzernweite Nachhaltigkeitsmanagement zuständig ist. Ist das Projekt einmal weiter gediehen, soll es dem Reisedienstleister ermöglichen, im Falle von Mängeln bei den Partnern eine Verbesserung herbeizuführen. «Das kann etwa die Unterkünfte oder Löhne des Personals betreffen», so Leisinger weiter. Eine Vertragskündigung sei für Kuoni nur die Ultima Ratio, denn diese bewirke keine Verbesserung, sondern lasse die fehlbaren Hotels oder Touranbieter mit ihren Problemen alleine.

Fokus Schweiz

Der Blick auf den Tourismus im Ausland reicht nicht aus. «Auch in der Schweiz arbeitet das Personal im Tourismusbereich teilweise zu miserablen Bedingungen, oder es werden Leute enteignet, wie jüngst im Wallis!», erklärt Christine Plüss. Die Schweizer Regierung müsse hier Abhilfe schaffen, indem sie Haftungs- und 
Berichterstattungspflichten für Unternehmen einführe und Personen, die von Menschenrechtsverletzungen durch Schweizer Unternehmen betroffen sind, den Zugang zu Beschwerdeverfahren und Gerichten ermögliche. Damit die Traumferien der einen nicht als Albtraum für die anderen enden.

Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von August 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion