«Dies ist eine Story über Unternehmenskriminalität, über die Verletzung von Menschenrechten und über das Versagen von Regierungen, das eigene Volk und die Umwelt zu schützen.» Mit diesen Worten beginnt der 232 Seiten starke Bericht «The Toxic Truth» von Amnesty International und Greenpeace Niederlande über einen der schlimmsten Umweltskandale der jüngeren Geschichte. 15 Menschen sind nach offiziellen Angaben an den Folgen gestorben, mehr als 100000 Betroffene mussten wegen gesundheitlicher Probleme im Krankenhaus behandelt werden.
Die Fakten sind schnell erzählt: Der britische Rohstoffkonzern Trafigura kauft ab 2005 in Mexiko grosse Mengen Raffinerieabfälle. Dieses sogenannte Coker Naphtha, also Rohbenzin von schlechter Qualität, soll mithilfe eines Raffinerieprozesses, des Caustic Washing, zu billigem Treibstoff für Afrika umgewandelt werden. Durch das Beimischen von Natronlauge entsteht allerdings eine hochgiftige Lauge als Abfallprodukt, die aufwendig entsorgt werden muss. Nur wenige Unternehmen kommen dafür weltweit in Frage. Trafigura wendet sich an eines mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten und eines in Tunesien. Nachdem der Entsorgungsprozess bei der Firma Tankmed im tunesischen La Skhirra von der dortigen Regierung gestoppt wird, weil drei Menschen wegen austretender giftiger Gase ins Spital müssen, beschliesst Trafigura, das Caustic Washing an Bord von Schiffen durchzuführen.
Der Rohstoffexperte Urs Rybi von der NGO Erklärung von Bern beschäftigt sich schon seit Jahren intensiv mit diesem Fall. Er bestätigt, dass Trafigura den bestehenden Gesetzen bezüglich des Exports von giftigem Abfall und der Entsorgung von Anfang an geschickt ausgewichen ist. Wie interne E-Mails beweisen würden, hätten die verantwortlichen Manager des Unternehmens gleich zu Beginn festgestellt, dass Caustic Washing in den USA und in der EU verboten sei, deshalb seien sie nach Tunesien ausgewichen. Als es dort Schwierigkeiten gab, habe man den Raffinerieprozess einfach an Bord eines Schiffes verlagert. Laut Rybi gelingt es transnationalen Unternehmen immer wieder, sich durch solche Methoden der rechtlichen Verantwortung zu entziehen.
Giftmüll für Abidjan
Bis Ende Juni 2006 werden mehrere Ladungen Coker Naphtha auf einem Schiff mit dem Namen Probo Koala gewaschen, in den Tanks lagern mehr als 500 Kubikmeter hochgiftiger Lauge. Nach einer Reihe von Versuchen, den Abfall in verschiedenen europäischen Häfen zu entsorgen, kontaktiert Trafigura die holländische Firma Amsterdam Port Services (APS). Doch APS stellt beim Abladen anhand des beissenden Geruchs fest, dass der Abfall weitaus giftiger ist, als von Trafigura angegeben. Als die Entsorgungsfirma daraufhin den Preis erhöht, beschliesst das Management von Trafigura, die giftige Lauge anderweitig zu entsorgen. So landet die Probo Koala samt ihrer giftigen Fracht letztendlich in der ivorischen Hafenstadt Abidjan, wo eine neugegründete Firma Compagnie Tommy sie für einen günstigen Preis entlädt. Der Abfall wird kurzerhand auf Lastwagen umgefüllt und auf offenen Müllhalden rund um Abidjan verteilt. Am Tag darauf liegt über der gesamten Stadt ein grässlicher Gestank. Zehntausende Menschen suchen die medizinischen Zentren der Stadt auf. Sie leiden unter Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen, Unterleibsschmerzen, Reizungen der Haut und der Augen sowie einer Reihe von Ohren-, Nasen-, Lungen- und Magenproblemen.
Trotz dieser verheerenden Folgen für das Leben von mehr als 100000 Menschen wurden die Geschehnisse nie strafrechtlich untersucht. In der Côte d’Ivoire selbst hatte sich Trafigura schnell mit den Behörden auf einen Vergleich geeinigt, im Rahmen dessen Trafigura ohne jegliche Haftungsanerkennung 195 Millionen US-Dollar Schadensersatz zahlte. Im November 2006 reichten rund 30000 Betroffene in Grossbritannien eine Zivilklage gegen Trafigura ein. Auch hier schlossen die Parteien drei Jahre später einen Vergleich. Wieder flossen 45 Millionen US-Dollar, und die KlägerInnen verpflichteten sich, alle künftigen Klagen gegen das Unternehmen fallen zu lassen. Einzig in den Niederlanden wurde Trafigura dafür verurteilt, Gefahrengüter nicht deklariert und illegal in ein Entwicklungsland exportiert zu haben. Untersucht wurden jedoch nur die Geschehnisse im Amsterdamer Hafen, nicht aber die weit gravierenderen in der Côte d’Ivoire.
«Weitestgehend straflos»
Urs Rybi ist deshalb froh, dass Amnesty International und Greenpeace den Fall nun noch einmal minutiös untersucht und aufgearbeitet haben. So werde dieser «massive Fall von Straflosigkeit» nach sechs Jahren noch einmal publik. Der Giftmüllskandal in der Côte d’Ivoire sei ein Beleg dafür, dass es für die Justiz sehr schwierig sei, ein transnational operierendes Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn es so multinational aufgestellt sei wie Trafigura. «Was hier geschehen ist, ist ein massiver Fall von Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzung. Die zahlreichen Länder, die involviert waren, haben sich abgewandt, sodass die Firma weitestgehend straflos blieb», resümiert Rybi.
Der Amnesty-Bericht «The Toxic Truth» fordert die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Trafigura. Zudem soll die Staatengemeinschaft neben Einzelpersonen auch Firmen und multinationale Konzerne selbst für begangene Straftaten zur Verantwortung ziehen. Die Erklärung von Bern, Amnesty International, Greenpeace und rund 50 weitere NGOs fordern mit ihrer Kampagne «Recht ohne Grenzen» bereits seit geraumer Zeit, dass international agierende Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Menschenrechte und Umweltvorschriften auch im Ausland respektieren müssen und dass Opfer bei Verstössen Wiedergutmachung einfordern können.
Die Menschen in Abidjan leben noch heute rund um die offenen Müllhalden und müssen mit den gesundheitlichen Folgen des Giftmüll-skandals zurechtkommen, die Reinigungsarbeiten sind noch immer nicht abgeschlossen. «Sechs Jahre nach der Tragödie ist es an der Zeit, dass Trafigura endlich die volle rechtliche Verantwortung übernimmt», fordert deshalb der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, anlässlich der Veröffentlichung des Berichts in Dakar.
Von Alexandra Karle
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Dezember 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion