Unbeugsam und unbestechlich: Mit der Kamera kämpft der buddhistische Mönch Luon Sovath gegen Land Grabbing und Zwangsräumungen.
© Nicolas Axelrod
Beim Gehen schwingt Luon Sovaths weite orange Kutte hin und her. Weil es in Genf kühl ist, trägt der Ehrwürdige – so werden buddhistische Mönche in Kambodscha genannt – einen bordeauxroten Pullover unter seiner Robe. Seiner Stofftasche entnimmt er einen topmodernen Tablet-PC und macht einen Schnappschuss. In seinem Heimatland ist er auch als «Multimedia-Mönch» bekannt. Mit einem Mobiltelefon, einem Tablet oder einer Fotokamera dokumentiert er Landraub und die damit verbundenen Zwangsräumungen. Dieser Kampf hat ihn bis nach Genf geführt, wo er im letzten Oktober den renommierten Martin-Ennals-Preis erhalten hat, mit dem MenschenrechtsverteidigerInnen ausgezeichnet werden.
Mit seiner Kamera macht Luon Sovath ein grosses Problem öffentlich, das sein Land zerreisst: Mehr als zwei Millionen Hektar Land musste die Landbevölkerung bisher unter Zwang an private Unternehmen abtreten – das entspricht der halben Fläche der Schweiz.
Dorfgemeinschaft vertrieben
Dieses Schicksal ereilte am 22. März 2009 auch die BewohnerInnen des Heimatdorfes von Luon Sovath. Der Mönch nimmt einen Schluck Grüntee und erzählt: «An jenem Tag erhielt ich einen panischen Telefonanruf aus meinem Dorf. Als ich das Telefon aufgehängt habe, sah ich eine Hundertschaft bewaffneter Polizisten.» Die Beamten vertrieben die DorfbewohnerInnen brutal von ihren Reisfeldern. Zuvor hatte die Regierung das gesamte Ackerland der Gemeinde einem kambodschanischen Unternehmer übertragen. Die Bauern und Bäuerinnen, die keine Besitzurkunden für ihr Land hatten, wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.
Als sie versuchten, sich zu wehren, schoss die Polizei, ohne zu zögern. «Mein Bruder und mein Neffe wurden von Kugeln getroffen», berichtet Luon Sovath. Vier Dorfbewohner wurden schwer verletzt, 40 Personen wurden verhaftet. Die 175 Familien des Dorfes haben ihr gesamtes Ackerland, total 400 Hektar, verloren. «Es gibt keine Arbeit und kein Essen mehr. Die Leute verlassen das Dorf. Manche suchen Arbeit in Thailand und geraten Menschenhändlern in die Finger», sagt der Mönch.
Luon Sovath traf gerade im Dorf ein, als die BewohnerInnen vertrieben wurden. Er zückte sein Mobiltelefon und filmte das Geschehen. Der Mönch widersetzte sich, als die Polizei das Gerät konfiszieren wollte. Er verfolgte den Prozess gegen neun Dorfbewohner, die verhaftet worden waren, und hielt auch dem Druck der klösterlichen Hierarchie stand. Luon Sovath wurde sogar aus seiner Pagode verbannt. «Sie haben mich gebeten, meine Aktionen einzustellen. Aber warum? Ich habe nichts gemacht, dass sich nicht mit den buddhistischen Grundsätzen vereinbaren lässt!» Selbst wenn er sich entrüstet, sieht der Ehrwürdige harmlos aus.
Mit der Kamera unterwegs
Luon Sovath gibt nicht auf. Im Gegenteil, er durchstreift das Land mit seiner Kamera und filmt Opfer von Zwangsräumungen. Die Geschichten gleichen sich: Tränen, Schreie, verzweifelte Dorfgemeinschaften, die übermächtigen Polizeikräften gegenüberstehen. «Was können arme Leute den mächtigen Reichen entgegensetzen?», fragt sich der Mönch, der Korruption und Verfilzung von Regierung und Wirtschaft anprangert.
Wenn er mit seiner Kamera unterwegs ist, klärt er die vertriebenen Menschen über ihre Rechte auf. In einer sehr spirituellen Gesellschaft «stärkt die Unterstützung durch einen Mönch die Leute», findet Luon Sovath. Er verteilt DVDs mit seinen Videos vor den Schulen der Hauptstadt Phnom Penh, und er stellt seine Filme auf YouTube. «Auf dem Land haben die Leute keine Computer, aber dank 3G-Netzwerk können sie die Videos auf dem Handy anschauen», erklärt er.
Druck und Drohungen
Im letzten Mai nahm der Ehrwürdige an einer Demonstration teil, die von Vertriebenen organisiert worden war. Die Demonstrierenden verlangten die Freilassung von 13 Frauen, die eingesperrt worden waren, nachdem sie sich gegen ihre Vertreibung gewehrt hatten. Luon Sovath wurde von Mönchen und Polizisten mit Gewalt in ein Auto gezerrt und zehn Stunden lang festgehalten. Die religiösen Autoritäten sorgten sich erneut über die störenden Aktivitäten des buddhistischen Mönchs.
Das Religionsministerium zwang Luon Sovath, ein Dokument zu unterschreiben, in dem er bestätigte, dass er künftig nicht mehr an Demonstrationen teilnehmen werde. «Sie wollten mich einschüchtern. Sie drohten, dass sie mir meine Kutte wegnehmen würden, damit sie mich ins Gefängnis schicken könnten», erklärt der Mönch. Mit seiner Kutte würde er auch seine Ehre verlieren. Trotz der Drohungen bleibt er entschlossen, sich weiter für Vertriebene einzusetzen. Er verliert sein schalkhaftes Lächeln nicht: «Ich stelle mich gern den Behörden. Ich fürchte mich nicht, denn ich handle gemäss dem buddhistischen Gesetz; ich helfe Menschen, Gerechtigkeit zu erlangen», sagt er. Aber Luon Sovath ist in Kambodscha in Gefahr. Selbst wenn der Martin-Ennals-Preis ihm zu internationaler Bekanntheit verhilft, könnten sich die Behörden von einem Tag auf den anderen entschliessen, Luon Sovaths Kampf zu beenden.
Landverkauf nimmt drastisch zu
2009 betrug die Fläche, die die Regierung Kambodschas privaten Investoren überlassen hatte, 1,1 Millionen Hektar. Bis heute hat sich die Zahl verdoppelt. Hunderttausende von Bauern und Bäuerinnen, die normalerweise keine Besitzurkunden für ihr Land haben, mussten ohnmächtig zusehen, wie ihr Land konfisziert wurde. Wie Äthiopien erhält Kambodscha internationale Nahrungshilfe, während grosse Landflächen an ausländische Investoren übertragen werden.
80 Prozent der KambodschanerInnen leben auf dem Land. Gleichwohl sind Schätzungen zufolge zwei Drittel des Ackerbodens an internationale Unternehmen oder kambodschanische Firmen, die den Machthabern nahestehen, vergeben worden.
Im letzten Juli lancierte eine Koalition aus kambodschanischen und internationalen NGOs einen Boykott gegen Zucker aus Kambodscha, der von der britischen Firma Tate and Lyle Sugars gehandelt und in europäischen Supermärkten verkauft wird. Unternehmen aus China, Thailand und In-dien produzieren Zucker, Reis oder Palmöl auf kambodschanischem Boden.
Häufig erfährt die Landbevölkerung erst von der Beschlagnahmung ihres Landes, wenn die Bagger auffahren. Meistens werden die Betroffenen nicht konsultiert und erhalten keine angemessene Entschädigung. Ohne Land sind diese Menschen von Hunger bedroht. Wenn die Regierung ihnen ein anderes Stück Boden zuweist, ist dieses oft weit ausserhalb des Dorfes gelegen und bringt wenig Ertrag. Aufgrund des Einkommensverlusts können sich viele betroffene Menschen keine Gesundheitsversorgung mehr leisten oder schicken ihre Kinder nicht mehr in die Schule.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Dezember 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion