AMNESTY: Sind Sie zufrieden mit dem, was das SKMR bis jetzt erreicht hat?
Walter Kälin: Ich bin zufrieden mit dem internen Aufbau, der bei sechs beteiligten Universitätsinstituten keine einfache Aufgabe war. Zufrieden macht mich auch, dass wir einige interessante Studien realisieren konnten. Ich bin ansatzweise zufrieden mit der Nachfrage ausserhalb der Bundesverwaltung, die sich langsam vergrössert. Noch nicht zufrieden bin ich mit dem Profil.
In welcher Hinsicht?
Die Frage ist, ob wir ein reiner Dienstleistungsbetrieb sein sollen. Oder eine Art Think Tank zu Menschenrechtsfragen, was wir vielleicht ansatzweise sind. Hier muss sich die Richtung noch weisen.
Welche Aufträge gab es bis jetzt ausserhalb der Bundesverwaltung?
Wir haben für die geschlossene Abteilung einer psychiatrischen Klinik, wo auch Strafgefangene und Untersuchungshäftlinge behandelt werden, konkrete Fragen beantwortet. Diese Klinik muss den Ausgleich finden zwischen den Bedürfnissen der Verantwortlichen für Sicherheit und jenen des medizinischen Personals, das aus therapeutischen Gründen weniger Kontrollen haben will. Ein anderes Beispiel: ein Gutachten für eine Universität zum Umgang mit Transgenderstudierenden, die ihren Namen noch nicht offiziell ändern lassen konnten. Wie sollen diese Menschen eine Stelle finden, wenn der Name auf ihren Dokumenten nicht mit dem Erscheinungsbild übereinstimmt? Ausserdem haben wir für eine kleine NGO abgeklärt, welche Meldepflichten in Bezug auf sexuelle Übergriffe in Institutionen existieren.
Erreicht Ihre Arbeit über die universitären Kreise hinaus eine breitere Öffentlichkeit?
Bis anhin haben wir bewusst keine starke Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Bis Ende Jahr organisieren wir aber in zehn Schweizer Städten öffentliche Veranstaltungen zu den Empfehlungen, welche die Schweiz vom Uno-Menschenrechtsrat im Rahmen der sogenannten Universellen Periodischen Überprüfung Ende Oktober erhalten hat.
Das SKMR erhält den grössten Teil der Aufträge und der Finanzierung vom Bund. Ist es unter diesen Voraussetzungen schwierig, unabhängig zu bleiben?
Mit der inhaltlichen Unabhängigkeit haben wir bis anhin keine Schwierigkeiten. Der Bund schreibt uns nicht vor, was wir in einer Studie machen sollen.
Gibt es keine Beeinflussungsversuche?
Zum Inhalt nicht wirklich. Ab und zu kritisiert jemand diesen oder jenen Satz. Aber ich zähle das zu den üblichen Diskussionen und werte es nicht als Beeinflussungsversuch. Eine andere Geschichte ist die Unabhängigkeit bei der Wahl der Themen: Wir können mit der Bundesfinanzierung nur bearbeiten, was uns der Bund in Auftrag gibt. Auch wenn diese Aufträge oft auf unsere Vorschläge zurückgehen, würden wir uns doch wünschen, Aktivitäten in Eigeninitiative ohne expliziten Auftrag durchführen zu können Dass dies nur sehr beschränkt möglich ist, schafft ein gewisses Unbehagen. Mehr Autonomie wäre gerade in Hinblick auf den Zweck des Pilotprojekts erwünscht. Es liegt aber auch an uns, den Kreis der Auftraggeber ausserhalb des Bundes zu erweitern und so grössere Unabhängigkeit zu gewinnen. Denn wir möchten definitiv nicht als reines Instrument des Bundes, sondern als zumindest teilweise unabhängige Institution angesehen werden.
Das SKMR sah es in einem Gutachten als problematisch an, wenn sämtliche Asylsuchenden nur noch Nothilfe erhalten würden. Das Bundesamt für Migration war zuvor zum Schluss gekommen, dass eine solche Regelung Verfassung und Völkerrecht nicht verletzen würde. Zeigte sich die Verwaltung verärgert über Ihr Gutachten?
Zu uns ist kein Anzeichen der Verärgerung durchgedrungen. Wir arbeiten als Universitätsinstitution im Rahmen unserer akademischen Unabhängigkeit; wir machen keine Parteigutachten mit einem vorgegebenen Resultat.
Wie ist auf der anderen Seite – versuchen die NGOs, Druck auszuüben?
Nein, wir spüren keinen Druck von den NGOs. Zum Teil registriere ich sogar ein gewisses Desinteresse. Ich hätte nichts dagegen, wenn zu konkreten Fragestellungen eine engere Interaktion stattfinden würde. Im August haben wir gemeinsam mit den NGOs eine Tagung durchgeführt. Jetzt bewegt sich etwas. Die NGOs sind zwar auch im SKMR-Beirat vertreten, aber sie haben nun beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit dem Kompetenzzentrum befasst. Das finde ich sehr positiv.
Von einigen NGOs war Unmut zu vernehmen, weil sie sich bei manchen Themen übergangen fühlten. Was sagen Sie dazu?
Das war ein Ergebnis der Tagung, die wir mit NGOs durchgeführt haben. Unsere Mitarbeiter sind aus einer akademischen Tradition heraus an die Arbeit gegangen. Wir haben nun gemerkt, dass wir stärker konsultieren und uns breiter abstützen müssen.
Das SKMR ist ein Pilotprojekt. Organisationen wie Amnesty wünschen sich, dass danach eine wirkliche Menschenrechtsinstitution entsteht. Wie stehen die Chancen?
Es ist noch zu früh, um diese Frage zu beantworten. Der Bundesrat will mit diesem Pilotprojekt klären, ob eine Nachfrage nach menschenrechtlichen Themen und Angeboten besteht, die über das hinausgehen, was seitens der nationalen Kommissionen und NGOs schon vorhanden ist. Wir müssen das Pilotprojekt zu einem Erfolg machen und zeigen, dass es effektiv eine solche Institution in der Schweiz braucht. Eine Menschenrechtsinstitution braucht es nicht für Einzelfälle, wo wir ausgebaute Rechtsschutzmechanismen haben, sondern für den sachgerechten Umgang mit Problemen eher struktureller Art wie Menschenhandel, häusliche Gewalt, verschiedene Arten von Diskriminierung oder Probleme im Bereich Asyl- und Ausländerrecht.
Gab es seit dem Start des SKMR Erkenntnisse, die Sie überrascht haben?
Ich habe wieder einmal gemerkt, welche Vielfalt an Meinungen und Ansichten in der Schweiz herrscht und wie kompliziert unsere Politik ist. Und ich habe bis anhin unterschätzt, wie viele Schwierigkeiten zwischen Bund und Kantonen im Bereich Menschenrechtsfragen bestehen. Dass diese existieren, war mir klar – aber das Ausmass kannte ich nicht.
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Dezember 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion