Multinationale Konzerne, ausländische Regierungen oder private Investoren erstehen oder pachten seit einigen Jahren Millionen von Hektar Ackerboden in den Ländern des Südens. Als Folge davon werden Menschen vertrieben, Bauern und Bäuerinnen verlieren ihre Existenzgrundlage und die Möglichkeit, Nahrung für ihre Region zu produzieren. Die grossflächigen Landübernahmen verschlimmern Hungersnöte und fördern die industrielle Landwirtschaft.
Gemäss den Zahlen der Online-Datenbank Land Matrix, die von verschiedenen Organisationen geführt wird, wurden seit 2000 weltweit über 83 Millionen Hektar Land gehandelt. Die NGO Oxfam International schätzt die vergebene Land-fläche sogar auf 227 Millionen Hektar. Die meisten Land-geschäfte wurden gemäss Land Matrix in Ostafrika ab-geschlossen. Die Investoren sind grosse Unternehmen, Schwellenländer wie China oder Indien und Investment- und Spekulationsfonds aus dem Westen. Zu den grössten Investoren gehören die indische Regierung, die chinesische Telekommunikationsfirma ZTW International und das indonesische Papier- und Zellstoffunternehmen Indah Kiat Pulp & Paper.
In einem Grossteil der Staaten, die im grossen Stil Landinvestitionen ermöglichen, herrschen gemäss einer Studie von Oxfam International Hunger und Unterernährung. Paradoxerweise wird nur ein kleiner Teil der grossflächigen Landinvestitionen für die Ernährung der einheimischen Bevölkerung genutzt. Stattdessen liegen die Flächen häufig brach, während investierende Spekulanten darauf warten, dass der Wert steigt und sie mit Profit verkaufen können. Oder es werden Lebensmittel angebaut, die einzig für den Export gedacht sind. Gemäss dem Oxfam-Bericht versuchen zwei Drittel der ausländischen Investoren in Entwicklungsländern, alles zu exportieren, was sie anbauen.
Kein Profit für Bevölkerung
«Bei manchen dieser Landgeschäfte wird versucht, nach verantwortungsvollen Umwelt- und Sozialkriterien zu handeln und die bestehenden Produktionssysteme beizubehalten», sagt Marylaure Crettaz Corredor vom Globalprogramm Ernährungssicherheit bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Aber in vielen bekannten Fällen würde der Kauf oder die Pacht von grossen Landflächen der Logik einer industriellen Landwirtschaft dienen, mit Monokulturen oder Produkten, die für den Export vorgesehen seien wie Agrotreibstoffe, Holz oder Blumen. Gemäss den Zahlen von Land Matrix sind weniger als 30 Prozent der Flächen ausschliesslich für Lebensmittel vorgesehen.
«Die Behörden der betroffenen Länder behaupten fast immer, dass der Landverkauf an ausländische Investoren der Entwicklung diene, weil Arbeitsplätze oder Infrastruktur geschaffen werde», erklärt Ester Wolf, Verantwortliche für das Recht auf Nahrung bei Brot für alle. Bei Vertragsverhandlungen würden die Investoren den Behörden die Schaffung von Arbeitsplätzen vorgaukeln, die meistens Theorie bleibe, sagt auch Catherine Morand, die Verantwortliche für Entwicklungspolitik bei Swissaid. «Ein kleiner Teil der nun landlosen Bauern werden manchmal auf diesen grossen Plantagen beschäftigt. Doch die Bedingungen grenzen an Sklavenarbeit und die Löhne sind sehr tief. Dazu kommen die gesundheitlichen Gefahren wegen des Einsatzes von chemischen Produkten. Gemäss unseren Informationen fällt für die lokale Bevölkerung kaum Profit ab. Profite machen hingegen die Machthabenden», kritisiert Morand. «Wir kennen Fälle, wo Menschen bereit waren, ihr Land zu verkaufen. Doch dann wurde ihnen bewusst, dass sie ihre Existenzgrundlage verlieren würden. Der Kaufpreis hätte nicht ausgereicht, um für eine sichere Zukunft der Familie zu sorgen», erklärt Wolf.
Das Recht auf angemessene Ernährung wird in vielen Fällen des Land Grabbing nicht respektiert. Solche Geschäfte gefährden die Versorgungssicherheit, indem sie die Verfügbarkeit von Anbauland und den Zugang zu Nahrung für arme Bevölkerungsteile verringern. Laut Crettaz Corredor sind die legitimen Bodenrechte von indigenen Völkern und jene von Gemeinschaften mit gemeinsamer Landnutzung, etwa Weiden oder Wald, besonders bedroht. Land Grabbing führt zudem häufig zu Zwangsräumungen. «Die ländlichen Gemeinschaften wissen häufig nicht, an wen sie sich wenden können, um die Einhaltung ihrer Rechte zu verteidigen», erklärt Morand. «Sie werden erdrückt zwischen geldgierigen Behörden und Investoren, die möglichst schnell Rendite sehen wollen oder glauben, dass dies der richtige Weg sei, um ein Land aus Armut und Unterernährung zu führen.»
Unsichere Rechtslage
Verhandlungen über den Verkauf von Land spielen sich normalerweise in den Hauptstädten auf höchster Regierungsebene ab. Nur in seltenen Fällen wird die lokale Bevölkerung konsultiert oder als Begünstigte des Verkaufs oder der Miete betrachtet. Einer der Gründe dafür ist das jeweils geltende Bodenrecht. «In vielen Ländern ist die Rechtsgrundlage für den Besitz und die Verwendung von Land komplex. Häufig hat die ansässige Bevölkerung Gewohnheitsrechte für den Zugang und die Nutzung, während das Land weiterhin im Besitz des Staates bleibt. Die lokalen Bevölkerungen profitieren also nicht unbedingt von den finanziellen Geschäften», analysiert Crettaz Corredor. «Aber man muss differenzieren, manchmal profitieren auch lokale Eliten. In den allermeisten Fällen zählen Frauen zu den Gruppen, die am meisten verlieren.»
Jeder Staat definiert die Bedingungen für Zugang, Nutzung und Kontrolle des Landes, der Fischgründe und des Waldes selbst. In Entwicklungsländern vergrössern ungeeignete und unsichere Bodengesetze die Verletzlichkeit, den Hunger und die Armut und führen zu Konflikten sowie zu Umweltverschmutzung. Um die Lage zu verbessern, hat die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Uno, in diesem Jahr die «Freiwilligen Richtlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern» verabschiedet. «Sie basieren auf den Menschenrechten und definieren weltweit anerkannte Prinzipien und Normen. Sie richten sich an Regierungen, private Unternehmen, die Zivilgesellschaft und die Bürger», sagt Crettaz Corredor. Ein positiver Schritt, doch: «Solange es sich nicht um bindende Verpflichtungen handelt, besteht die Gefahr, dass solche Reglementierungsversuche missbraucht werden, um Land Grabbing zu legitimieren», warnt Wolf.
Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von Dezember 2012
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion