Das Curry riecht köstlich, und der Mann, der es serviert, hat ein Lächeln im Gesicht. Dieses fast klischeehafte Bild haben wir hierzulande von der sri-lankischen Exilgemeinde: Freundliche, fleissige Menschen, die im Gastgewerbe oder im Krankenhaus arbeiten und ansonsten nicht weiter auffallen. Knapp 50‘000 Menschen mit sri-lankischen Wurzeln leben hier, das entspricht etwa der Einwohnerzahl Biels. Rund 22‘000 von ihnen wurden seit 1986 eingebürgert. Aber wie sieht das Leben dieser Menschen eigentlich aus?
«Viele Sri Lanker arbeiten sehr hart», sagt Thevi*. Die Tamilin mit langen dunklen Haaren und einer bunten Bluse lebt seit 1982 in der Schweiz. Sie stellt fest, dass nach wie vor viele ihrer Landsleute, vor allem jene aus der ersten Generation, in unqualifizierten Arbeitsbereichen tätig sind. Sie waschen Teller ab, putzen Krankenhäuser oder schleppen auf Baustellen Steine umher.
Ein gewichtiger Teil des Lohns wird den Angehörigen in Sri Lanka geschickt. Denn die hiesige Diaspora hat die Heimat immer fest im Blick. «Ganz viele haben stets gedacht, dass es bald einen tamilischen Staat geben werde, in den sie zurückkehren können. Seit dem Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka ist nun diese Hoffnung tot», bestätigt auch Alagipody Gunaseelan. Der 57-Jährige war in Sri Lanka Wirtschaftsprofessor, bevor er 1990 als Flüchtling in die Schweiz kam. Hier verdient er seine Brötchen als Krankenpfleger und in der Betreuung von Senioren. Die Geldsorgen verschärfen sich für jene, die während des Kriegs Darlehen aufgenommen haben, um damit die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) zu unterstützen. Früher bezahlte die LTTE die Zinsen, heute bleiben einige der Kreditnehmer auf den Schulden sitzen. Die betroffenen Menschen ziehen es vor, nicht mit den Medien zu sprechen. Doch nicht nur sie: Viele exilierte Sri LankerInnen wollen sich öffentlich nicht kritisch äussern, aus Angst vor Repression.
Zwei Welten
Gehen oder bleiben: Mit dieser Frage sind viele Migranten und Migrantinnen konfrontiert. Gunaseelans Kinder sind 19 und 24 Jahre alt. Sie sind in Luzern aufgewachsen. Zurückkehren sei kein Thema für sie, sagt der Vater. So geht es vielen Kindern der zweiten oder gar dritten Generation von Sri-Lanka-Flüchtlingen. Sie streben in der Schweiz eine höhere Bildung an und haben hier ein soziales Netz. Das kann auch zu Spannungen führen, erklärt Gunaseelan: «Einige der jungen Leute fühlen sich hin- und hergerissen. Sie wollen ihren Wurzeln gerecht werden und mit der Familie in Frieden leben. Auf der anderen Seite haben sie auch Lust darauf, zu leben wie Schweizer.» Das gelte vor allem für junge Frauen. Deren Eltern erwarten, dass sie einen Tamilen heiraten, oder haben gar den potenziellen Partner ausgewählt. Aber nicht alle der jungen Tamilinnen möchten sich darin fügen. «Die Diaspora sollte sich besser integrieren, ohne die eigene Kultur zu verleugnen», findet der Tamile.
«Ohne Mund und Ohren»
Thevi, die als Übersetzerin und Mediatorin tätig ist, berichtet in fliessendem Deutsch über ihre damalige Ankunft in der Schweiz: «Ich fühlte mich, als ob ich keinen Mund und keine Ohren hätte, weil ich die Sprache nicht verstand.» Deshalb klemmte sie sich hinter die Bücher. Inzwischen ist sie Schweizerin. Thevi will hier bleiben, selbst wenn sie gelegentlich das Heimweh packt. «Sri Lanka wäre eigentlich ein Paradies! Wer möchte nicht dort leben: direkt am Strand und immer in der Sonne – kein Vergleich zu den acht Monaten Winter, die wir in der Schweiz haben. Aber zuerst einmal muss es Versöhnung geben. Alle Seiten müssen menschlich miteinander umgehen, egal ob Tamilen oder Singhalesen, egal ob Buddhisten, Hindu oder Muslime.» Thevi unterstreicht, dass es Bildung und Investitionen brauche, damit die Menschen Stabilität finden könnten.
Setzen sich die dortigen Konflikte im Exil fort? Thevi und Alagipody Gunaseelan haben Kontakt mit Tamilen wie mit Singhalesen, welche in der Schweiz in der Minderheit sind. Nach dem jahrzehntelangen Krieg ist bei vielen tiefes Misstrauen geblieben.
Doch gibt es immer wieder Bemühungen innerhalb der Diaspora, einen Dialog aufzubauen. «Ich versuche, etwas zu tun, damit keine Tamilen aus der Schweiz ausgeschafft werden», erklärt Indika*, ein Singhalese. «Doch manchmal ist es schwierig, weil ich noch nicht genügend Kontakte zu Asyl- und Menschenrechtsorganisationen habe.» Der ehemalige Journalist musste 2008 fliehen, weil die Lage für kritische Geister auch unter den Singhalesen zu gefährlich wurde. Jetzt lebt er mit seiner Familie in Schaffhausen.
«Die meisten Tamilen können kein Singhalesisch, und ich kann nicht tamilisch sprechen. Aber wir verständigen uns auf Deutsch», sagt Indikas Frau Yulanie*. Die 41-Jährige ist Künstlerin. Sie hat in der Schweiz bereits an drei Ausstellungen Bilder gezeigt. Manchmal malt sie die Gesichter ihrer Freunde und Freundinnen in Sri Lanka. Dann hat sie das Gefühl, noch bei ihren Liebsten zu sein. «In der Schweiz wurden wir freundlich aufgenommen, und wir können in Frieden leben», betont sie. Aber der Druck und die Gefahr ist nicht komplett weg. «Irgendwann möchte ich in mein Heimatland zurück», sagt Yulanie. «Im Moment ist es nicht möglich. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.»
* Name geändert bzw. der Redaktion bekannt
Von Carole Scheidegger
Von Rückschaffung bedroht
Während viele der Menschen mit sri-lankischen Wurzeln in der Schweiz entweder einen geregelten Aufenthaltsstatus haben oder eingebürgert wurden, sind wenige unter ihnen Asylsuchende oder sogenannt vorläufig Aufgenommene. Das Ende des Krieges in Sri Lanka hat sich auf die Asylpraxis der europäischen Länder ausgewirkt. In der Schweiz haben das Bundesamt für Migration (BFM) und das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) ihre Praxis 2011 verschärft. In einem Grundsatzurteil vom Oktober 2011 erläutert das BVGer, dass die meisten der von Tamilen bewohnten Gebiete (ausser das Vanni-Gebiet im Norden des Landes) wieder sicher seien und auch ausreichend wirtschaftliche Möglichkeiten böten, sodass eine Rückkehr von Personen, die nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, zumutbar sei. Solche Personen konnten früher mit einer vorläufigen Aufnahme in der Schweiz bleiben, selbst wenn sie keine persönliche Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes geltend machen konnten. Denn es war schlicht nicht möglich, die betreffenden Menschen nach Sri Lanka zurückzuschicken, wo der Bürgerkrieg tobte. Das BFM ist seit einigen Jahren daran, die vorläufigen Aufnahmen systematisch zu überprüfen. Bis zu 1860 Menschen könnten laut Asylstatistik des Bundes davon betroffen sein und allenfalls zurückgeschickt werden. Amnesty International ist der Ansicht, dass es aufgrund der dramatischen Menschenrechtslage und willkürlichen Verfolgung in Sri Lanka noch immer für alle Personen unzumutbar ist, dorthin zurückgeschafft zu werden. Das Risiko, dass die Zurückkehrenden inhaftiert und gefoltert werden, ist zu gross.
Von Antonia Bertschinger
Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von August 2013.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion