Sri Lanka: Ferienparadies oder Alltagshölle? © ZVG
Sri Lanka: Ferienparadies oder Alltagshölle? © ZVG

MAGAZIN AMNESTY Sri Lanka Totgeschwiegenes Grauen

Vor genau 30 Jahren begann der Bürgerkrieg in Sri Lanka. Beendet wurde er 2009 mit einer letzten Gegenoffensive der sri-lankischen Armee im Norden der Insel – die bisher blutigste Militäroperation im neuen Jahrtausend. Seitdem bestreitet und verschleiert die Regierung die begangenen Kriegsverbrechen. Die Opposition wird zunehmend unterdrückt, die tamilische Bevölkerung weiterhin verfolgt. Tödlicher Konflikt Verbrechen sind dokumentiert

Ein rabenschwarzer Monat stand am Anfang des Bürgerkriegs in Sri Lanka: Am 23. Juli 1983 wurden bei einem Anschlag der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) auf eine militärische Einheit in Jaffna 13 Soldaten getötet. Die sri-lankische Regierung genehmigte den Transport der Leichen nach Colombo, wo ein öffentliches Begräbnis stattfinden sollte. Die Nachricht über den Tod der Soldaten und deren Begräbnis mündeten im Pogrom vom «Schwarzen Juli» gegen die tamilische Minderheit: In einer Gewaltorgie wurden tausende von Tamilinnen und Tamilen ermordet. Der in Genf im Exil lebende singhalesische Journalist Sunanda Deshapriya erinnert sich: «Polizei und Armee unterstützten den Aufruhr indirekt und die politischen Behörden billigten die Geschehnisse. Damit entstand ein Klima, das die Gewalttaten gegen die tamilische Bevölkerung im ganzen Land anheizte. Eigentum und Geschäfte von tausenden von Tamilen wurden zerstört, unschuldige Tamilen zu hunderten getötet, einige von ihnen verbrannt.»

Die Anfänge des Konflikts gehen auf die Kolonialzeit zurück. «Anlässlich der Verhandlungen über die Unabhängigkeit Sri Lankas verpasste Grossbritannien die Gelegenheit, die Forderung der tamilischen Minderheit nach gleichen rechten zu berücksichtigen. Sri Lanka wurde 1948 zu einer Demokratie, regiert von Parteien, die mehrheitlich aus Singhalesen bestanden. Keine der seit der Unabhängigkeit erlassenen Verfassungen (1948, 1972, 1978) sah eine Machtaufteilung vor, die auch die Minderheiten zufriedenstellen würde», hält Sunanda Deshapriya fest. «zu Beginn des Konflikts gab es etwa zehn militante tamilische Bewegungen, die sich auf linke und nationalistische Ideologien abstützten. In der Folge wurde die LTTE zur einzigen militanten Bewegung der Tamilinnen und Tamilen. Das geht aber nicht, ohne die anderen Gruppierungen zu zerstören und hunderte von Kämpfern zu töten.»

In den drei Jahrzehnten, die der Konflikt dauerte, wechselten sich die Parteien an der Macht ab. Mindestens zehn Mal wurden Waffenstillstandsvereinbarungen geschlossen und Friedensverhandlungen geführt, mit der Unterstützung von Indien und den westlichen Demokratien – ohne Erfolg. Im Jahr 2002 konnte dank Vermittlungen der norwegischen Regierung ein weiterer Friedensprozess eingeleitet werden, der aber 2005 ebenfalls scheiterte. Mit einer grossen regierungsoffensive wurde die LTTE, die bis dahin die Westküste des Landes kontrolliert hatte, 2008 in ein kleines Gebiet im Norden des Landes zurückgedrängt. humanitäre Organisationen und Medienschaffende zogen sich ab Herbst 2008 auf Verlangen der Regierung zurück. Im Januar 2009 eroberte die sri-lankische Armee Kilinochchi, das Hauptquartier der LTTE. Die Zivilbevölkerung sass im Kampfgebiet fest, die Tamil Tigers hinderten sie daran, aus den von ihnen kontrollierten Gebieten zu fliehen. Bis zum offiziellen ende der Feindseligkeiten am 18. Mai 2009 starben jeden tag hunderte von Menschen. «Das ist die bislang blutigste Militäroperation des neuen Jahrtausends. In fünf Monaten wurden zwischen 40‘000 und 70‘000 Zivilpersonen getötet», hält die BBC-Korrespondentin Frances Harrison fest, die sich während der Konfliktmonate in Sri Lanka aufhielt.

Nun vermitteln ein Film und ein Buch die Hölle der letzten Kampfmonate und das Ausmass der Kriegsverletzungen durch die srilankische Armee. Der Dokumentarfilm «No Fire Zone» (Waffenstillstandszone) setzt sich aus Filmsequenzen zusammen, die mit Mobiltelefonen oder Fotoapparaten aufgenommen wurden, und führt die ZuschauerInnen mitten unter Opfer und Täter.

Die Bilder von getöteten und verletzten Zivilpersonen, darunter auch Kinder, in einem Gebiet, das die Regierung zuvor zur Waffenstillstandszone deklariert hat, sind grauenhafte Beweise. Genauso schwer verdaulich sind Aufnahmen von Regierungssoldaten, die hemmungslos auf ihre Opfer schiessen. In ihrem Buch «Still Counting the Dead» (Die Toten werden immer noch gezählt) sammelt Frances Harrison verschiedene Zeugenaussagen und zeichnet damit ein wirklichkeitsgetreues Bild des Konflikts. Ein tamilischer Arzt erzählt: «Immer wenn eines der Behelfsspitäler an einem anderen Ort aufgestellt wurde, um den Bombenangriffen zu entgehen, malte der Arzt ein grosses rotes Kreuz auf das Dach. Die Ärzte wussten, dass die Regierung tagsüber Drohnen einsetzte. […] Aus Sicherheitsgründen übermittelten die Mitarbeiter die neuen Koordinaten an das rote Kreuz, das die Informationen dann an die Armee weitergeben sollte. Die Ärzte dachten, dass sie so vor Angriffen geschützt seien. […] Jedes Mal wurden die Spitalzelte ange- griffen. […] Sie haben ihre Lektion gelernt. Fünf kleinere Spitäler hatten kein rotes Kreuz auf dem Dach und ihren Standort weder der Armee noch dem roten Kreuz mitgeteilt. Auf sie wurde nie ein Angriff verübt.»

Zahlen der Vereinten Nationen belegen, dass 78 Prozent der Opfer, die zwischen dem 20. Januar und dem 31. März 2009 gezählt wurden, in der Waffenstillstandszone starben. Das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge beziffert die Zahl der Menschen, die nach ende des Konflikts in Lagern registriert wurden, auf 265‘000. «Die Uno hätte ihre Truppen ins Innere der rebellengebiete verschieben sollen, statt sie abzuziehen», urteilt Frances Harrison. «Sie hat nichts unternommen, um die zehntausenden von Zivilpersonen, die von den Tigers zurückgehalten wurden, zu beschützen. Anlässlich der ersten Sitzung nach Kriegsende hat der Menschenrechtsrat der sri-lankischen Regierung sogar zu ihrem Sieg über die Terroristen gratuliert.»

In der Zwischenzeit hat die Uno zwei Resolutionen angenommen, in denen sie Colombo auffordert, auf die Anschuldigungen wegen der Kriegsverletzungen zu antworten und die Schuldfrage im Hinblick auf eine nationale Aussöhnung zu klären. «Aber die Regierung gibt sich damit zufrieden, die Tatsachen zu verschleiern und die notwendigen Massnahmen aufzuschieben. Sie hat ihre eigenen Ermittlungen auf Basis eines lückenhaften Mandats und nicht frei von Interessenskonflikten durchgeführt. Die Regierung entlastet die Armee. Sri Lanka hofft, dass der Rest der Welt vergessen wird, was passiert ist.»

Es ist noch nicht vorbei

«Die Tamilen und Tamilinnen sind auch heute noch eine unterdrückte Minderheit, deren politische Rechte nicht respektiert werden. Sie leben in einer militarisierten Umgebung, in ständiger Angst vor Einschüchterungen und Drohungen», sagt Sunanda Deshapriya.

Die Nichtregierungsorganisation Sri Lanka Campaign schätzt, dass 16 der 18 Divisionen der sri-lankischen Armee im Norden des Landes auf tamilischem Gebiet stationiert sind. Im Film «No Fire Zone» spricht der Uno-Mitarbeiter Benjamin Dix, der bis September 2008 in Sri Lanka war, über die Veränderungen in den Gebieten, die der LTTE abgenommen wurden. Wo früher tamilische Menschen lebten, wohnen heute singhalesische Familien. Die Hindu-Tempel sind zerstört, Strassen und Geschäfte werden umbenannt.

Nach Ansicht von Frances Harrison ist der Konflikt auf keinen Fall wirklich gelöst: «Vor Kurzem sprach ich mit einer Gruppe britischer Ärzte. Sie erzählten mir von 31 tamilischen Asylbewerbern, auf deren rücken die Brandnarben von glühenden Metallstangen zu sehen waren. Ich traf auch junge, suizidgefährdete Tamilinnen, die mir erzählten, wie sie auf Polizeiposten wochenlang von mehreren Männern vergewaltigt und geschlagen wurden, wie man sie hungern liess und ihnen essen vorsetzte, das mit Exkrementen gemischt war.»

Patrick Walder, Kampagnenverantwortlicher für Sri Lanka bei der Schweizer Sektion von Amnesty International, erklärt: «Die Tamilen und Tamilinnen im Norden und Osten des Landes sind besonders gefährdet. Vor allem jene, von denen die Regierung glaubt, dass sie Kontakte zu den Tamil Tigers gehabt haben, riskieren, gefangen genommen und gefoltert zu werden.» Angesichts der Tatsache, dass regierungskritische Personen immer stärker unterdrückt werden, stehen die Chancen schlecht, dass sich die Situation der tamilischen Bevölkerung verbessert. «In Sri Lanka werden unabhängige Journalisten, Menschenrechtsverteidigerinnen und Oppositionelle systematisch verfolgt. Den zeugen von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen geht es nicht besser. Unter diesen Umständen ist es entscheidend, dass die Vereinten Nationen die Menschenrechtssituation ständig beobachten und Massnahmen ergreifen, um den Schutz der bedrohten Menschen zu gewährleisten.»

Von Nadia Boehlen


Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von August 2013.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion