In Israel leben heute über 200'000 Beduininnen und Beduinen, der grösste Teil von ihnen im Negev, einem Wüstengebiet im Süden Israels, das rund 60 Prozent des Staatsgebiets ausmacht. Die Beduinen nomadisierten schon seit Jahrhunderten in diesem Gebiet, rund 50'000 flohen während des Krieges nach der Staatsgründung Israels von 1948 in die Nachbarländer. Die Zurückbleibenden wurden in den Jahren danach von der israelischen Regierung in ein abgegrenztes Gebiet im Norden des Negev umgesiedelt, das sie bis 1966 nicht verlassen durften. Ihr ursprünglicher Landbesitz wurde nicht anerkannt, ihre bestehenden Dörfer rückwirkend für illegal erklärt. Die Beduinen des Negev sind zwar israelische Staatsbürger – wie die Beduinen in der palästinensischen Westbank sind sie jedoch nicht vor Vertreibung, Häuserzerstörung und einer allgemeinen Diskriminierung geschützt.
Nicht anerkannte Dörfer
Geschätzte 120'000 der Beduinen des Negev leben in sieben Beduinen-«Städten», die die israelische Regierung in den 1970er-Jahren als Teil eines Umsiedlungsplans bauen liess. In diesen Städten herrschen Armut und eine hohe Arbeitslosigkeit von über 50 Prozent. Die Beduinen können hier ihrem traditionellen nomadischen Lebensstil nicht mehr nachgehen. Weitere rund 90'000 Beduinen leben in 46 Dörfern, wovon 35 nicht anerkannt sind. Auf israelischen Karten sind diese Niederlassungen inexistent und gelten als illegal, weshalb sie an keine Infrastruktur angeschlossen sind; das heisst, es gibt kein Wasser, kein Elektrizitätsnetz und meist auch keine Strassenanbindung. Es mangelt an Schulen und Kindergärten trotz einer hohen Kinderzahl. «Offiziell gibt es diese Dörfer nicht», schildert Laurette von Mandach, Schweizer Amnesty-Vorstandspräsidentin, die Lage. Sie nahm im Sommer an einer Amnesty-Reise in Israel und den besetzten Gebieten teil. «Die Beduinen leben in prekären Hütten, einige nur mit Blechdach. Es sind israelische Bürger, sie sind jedoch an diesem Ort unerwünscht.»
Die illegalen Dörfer und Häuser der Beduinen werden durch das israelische Militär immer wieder zerstört, nicht nur im Negev. Das Bauen von neuen Gebäuden wird nicht bewilligt. Das Beduinendorf Al-Arakib beispielsweise wurde in den letzten drei Jahren bereits über 50 Mal zerstört, letztmals im August. Ziel ist es gemäss Beduinenorganisationen und MenschenrechtsvertreterInnen, die Beduinen zu zwingen, sich in den ihnen zugewiesenen Städten niederzulassen und ihnen andernorts die Lebensgrundlage und den Zugriff auf das Land zu entziehen.
Auch die Beduinengemeinschaft von Umm al-Hiran, welche die Amnesty- Delegation im Sommer besuchte, soll weichen. Die Gastgeber zeigten ein zerstörtes Haus, das der Besitzer für die Familiengründung gebaut hatte und von dem nun nur noch Mauerreste stehen. «Er musste es selber abreissen, sonst hätte er sogar noch für die Abbruchkosten aufkommen müssen!», empört sich Laurette von Mandach.
In der Westbank nicht besser
Nicht besser geht es den Beduinenstämmen in den besetzten palästinensischen Gebieten, die zumeist in den durch Israel verwalteten Teilen der Westbank leben – der sogenannten Area C, die rund 60 Prozent der Westbank ausmacht. Auch hier werden die Beduinen immer wieder vertrieben, ihre Häuser und Hütten regelmässig abgerissen – unter anderem, um den wachsenden israelischen Siedlungen Platz zu machen.
Laurette von Mandach erzählt von ihrem Besuch im Wadi Abu in der Nähe von Jerusalem. «Diese Beduinen hier leben neben den völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen, welche die palästinensische Westbank in zwei Teile zerschneiden. Ihre Wasserleitung wird immer wieder von israelischen Siedlern sabotiert und sie dürfen keine permanenten Bauten aufstellen. Die etwa 20 Familien dieses Stammes haben bereits einen Abbruchbefehl für ihre Häuser und Hütten erhalten, wie 90 Prozent der Beduinen in der Westbank.» Man nehme ihnen auch die ökonomische Grundlage als SchafzüchterInnen, berichteten die besuchten Beduinen dem Amnesty-Gast. So sei das Halten von Schafen vom Militär verboten worden, ausserdem würden die vielen Minen in dem vom Militär kontrollierten Gebiet die Schafzucht sehr gefährlich machen – gerade für die Kinder, die die Tiere oft begleiten.
Verstärkt wird die Bewegungseinschränkung der Beduinen in der Westbank auch durch die Checkpoints und vor allem durch die Mauer, welche palästinensische Ortschaften von israelischem Territorium und den Siedlungen abtrennt. Viele Strassen dürfen nur von Israelis benutzt werden, sodass manche Beduinenkinder auf dem Schulweg durch Unterführungen und Abwasserrohre gehen müssen.
Die rund 3'000 Beduinen in der Gegend um Ostjerusalem leben in von Israel beanspruchten «Militärzonen», so erklärte Angela Godfrey-Goldstein von der Jahalin Association die Lage der Jahalin, eines grossen Stamms, der 1951 aus dem Negev vertrieben wurde, als er sich weigerte, Militärdienst für Israel zu leisten. «Die Militärzone ist ein einziges Minenfeld. Geht eine Mine hoch, ist medizinische Unterstützung schwer zu erhalten. Auch gibt es für Opfer weder Kompensationsleistungen noch ein Rehabilitationsprojekt.»
Regelmässig kündigt Israels Ministerium für Häuserbau den Ausbau der israelischen Siedlungen an, insbesondere in der Umgebung von Ostjerusalem – was das Lebensgebiet und die Bewegungsfreiheit der Beduinen noch weiter einschränkt. Gegen die Häuserzerstörungen und Vertreibungen in den besetzten Gebieten können sich die Beduinen in den Militärzonen der Area C noch schlechter wehren als die Beduinen innerhalb Israels, die immerhin israelische Staatsbürger sind. «Diese Vertreibungen sind zwar klare Verletzungen der Genfer Konventionen. Wenn man aber sieht, wie die israelische Regierung mit den Minderheiten innerhalb Israels umgeht, was dürfen dann die Beduinen in den besetzten Gebieten noch erwarten?», so Godfrey-Goldstein.
Der Prawer-Plan
Die Beduinen im Negev will der israelische Staat nun mit dem sogenannten Prawer-Plan umsiedeln. Im Mai 2013 hatte die Regierung dieses Gesetz gutgeheissen, in erster Lesung wurde es im Parlament (Knesset) bereits angenommen. Gemäss dem Plan sollen mindestens 30'000 Personen umgesiedelt werden und rund 25 Dörfer zerstört werden. Eine hierfür neu geschaffene Polizeitruppe wird die Enteignungen und Zerstörung durchsetzen und überwachen. 70'000 Hektar Land sollen in Staatsbesitz überführt werden – unter anderem für weitere neue jüdische Ortschaften sowie Wirtschafts- und Tourismusprojekte. Ein von Beduinen-Organisationen und Menschenrechtsgruppen entwickelter Masterplan für die Anerkennung ihrer Rechte und der illegalen Dörfer wurde nicht berücksichtigt. Familien, die den Besitz von betroffenem Land mit Dokumenten belegen können, dürfen zwar eine finanzielle Entschädigung einklagen. Allerdings erhalten sie maximal 50 Prozent des Werts und auch nur, sofern sie ihre rechtlichen Ansprüche bereits in den 1970er-Jahren angemeldet hatten – ein fast unmögliches Unterfangen. Das wenige Land, das den Beduinen als Ersatz zur Verfügung angeboten wird, betrachten diese aber als nicht gleichwertig und nicht nutzbar.
Gegen diese Absichten kam es diesen Sommer zu heftigen Protesten. Tausende von betroffenen BeduinInnen, PalästinenserInnen und Israelis demonstrierten in verschiedenen Städten Israels und der Westbank, die US-amerikanische Sektion von Amnesty International lancierte eine Petition und auch weitere Organisationen – darunter beispielsweise die Rabbiner für Menschenrechte – sammelten Unterschriften zuhanden der israelischen Regierung. Scharfer Protest kommt auch von den Vereinten Nationen und der EU. Die Uno-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay rief die Regierung auf, ihre Pläne zurückzunehmen, weil dadurch die Gemeinschaften der Beduinen zerstört würden.
Das Datum für die zweite Lesung des Prawer-Plans in der Knesset war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Allgemein wird aber erwartet, dass der Plan angenommen und umgesetzt wird. In der Zwischenzeit hat die israelische Regierung eine neue Initiative für fünf weitere Dörfer für Israelis bekannt gemacht – zu errichten auf Land, das Beduinen gehört.
Von Manuela Reimann Graf
Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von Dezember 2013.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion