Begleitet von Massenprotesten gegen die Ergebnisse der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, trat Präsident Wladimir Putin im Mai 2012 seine dritte Amtszeit an. Seitdem ist es noch schwerer geworden für die Menschenrechte in Russland. Die Vorschriften über Nichtregierungsorganisationen (NGO), die Bestimmungen über Landesverrat und zum Demonstrationsrecht wurden verschärft. Ausserdem wurden ein Gesetz gegen die Propaganda «nicht-traditioneller» sexueller Beziehungen und das sogenannte Blasphemiegesetz verabschiedet.
Gängelung der NGOs
2012 hatte das Parlament neue Bestimmungen über «Nichtkommerzielle Organisationen» beschlossen, die als «Agentengesetz» bekannt wurden. Danach sind russische NGOs verpflichtet, sich beim Justizministerium als «ausländische Agenten» registrieren zu lassen, wenn sie aus dem Ausland finanziell unterstützt werden und «politisch tätig» sind. Zunächst blieb unklar, ob es der Staat bei einer blossen Drohgebärde belassen würde. Am 14. Februar 2013 beendete Putin jedoch alle Spekulationen, als er in Anwesenheit des Chefs des Inlandsgeheimdienstes FSB eine Rede vor Offizieren der Sicherheitskräfte hielt. Darin forderte er sie auf, die russische Bevölkerung zu schützen. So wie niemand das Recht habe, Hass zu säen, die Gesellschaft aufzuwiegeln und das Wohlergehen von Millionen von Bürgern zu gefährden, habe niemand das Monopol, für die russische Gesellschaft zu sprechen. Dies gelte vor allem für Organisationen, die vom Ausland finanziert würden und ausländischen Interessen dienten.
Das Signal wurde verstanden. Am 11. März 2013 gab eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft bekannt, dass ihre und andere Behörden mit einer gross angelegten Überprüfung von NGOs beginnen würden. In der Folge erschienen überall im Land VertreterInnen unterschiedlichster Behörden bei Hunderten von NGOs und forderten die Übergabe verschiedenster Papiere. Alles war von Interesse: Buchhaltungsunterlagen, Dokumente, die den Brandschutz betreffen, Veröffentlichungen, um nach Anhaltspunkten für extremistische Straftaten zu suchen. Betroffen waren bekannte Bürger- und Menschenrechtsorganisationen, Umweltgruppen und religiöse Organisationen bis hin zur katholischen Kirche. Bei einigen Kontrollen war das offenbar vorab informierte staatliche Fernsehen dabei und berichtete in den Abendnachrichten über den Kampf der Behörden gegen «ausländische Umtriebe».
Und die Ergebnisse? Nach Angaben von Jens Siegert, dem Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, die seit Jahren eng mit vielen russischen Organisationen zusammenarbeitet, haben 43 NGOs Bescheide erhalten, die von einer möglichen «Agententätigkeit» ausgehen. Allerdings hätten nicht alle betroffenen Organisationen die Ergebnisse der Überprüfung öffentlich gemacht. Laut Siegert stellte die Staatsanwaltschaft in zehn Fällen fest, dass NGOs unter das «Agentengesetz» fallen. Ihnen wurde eine Frist zur Registrierung gesetzt. In einigen Fällen wurden bereits Strafzahlungen angeordnet. Einige der betroffenen NGOs wandten sich daraufhin an Gerichte und erzielten teilweise juristische Erfolge. So sind inzwischen drei Urteile aus St. Petersburg und Perm bekannt, in denen die Richter Bescheide aufhoben.
Es ist bemerkenswert, dass es quer durch alle russischen NGOs eine nicht abgesprochene Übereinstimmung gab, sich keinesfalls als «ausländische Agenten» zu registrieren. Man verstand die Absicht des Gesetzgebers genau: Mit der Selbstregistrierung sollten sich die Organisationen vor der eigenen Gesellschaft demütigen und als «ausländische Agenten» ausserhalb eines Gemeinwesens stellen, das Präsident und Regierung als das ihre begreifen.
Verurteilung von KritikerInnen
Durch hartes Vorgehen gegen Einzelne wird Druck auf all jene ausgeübt, die sich in Russland eine eigene Meinung erlauben, wie die Verurteilung der Frauen von Pussy Riot zu zweijährigen Haftstrafen zeigt.
«Funktioniert» hat die Justiz auch im Fall des Oppositionsführers Alexej Nawalny, der im Juli 2013 in erster Instanz wegen angeblicher Veruntreuung zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Kurz nach dem Prozess gegen Nawalny gab es Berichte, wonach der als Beratungsgremium Putins fungierende «Menschenrechtsrat» beschlossen habe, das Urteil solle von Experten nach seiner Rechtskraft öffentlich untersucht werden. In einem Berufungsprozess im Oktober wurde Nawalnys Strafe überraschend zur Bewährung ausgesetzt.
Rechtssystem ausgehebelt
Eine ähnliche Untersuchung hatte der Rat im Auftrag von Präsident Medwedew bereits nach der zweiten Verurteilung von Michail Chodorkowski und Platon Lebedew durchgeführt. Der im Dezember 2011 von der früheren Verfassungsrichterin Tamara Morschtschakowa vorgestellte Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die Verurteilungen nicht gerechtfertigt gewesen seien, und regte an, die Urteile aufzuheben. Die Zivilcourage der ExpertInnen hatte jedoch keinen Einfluss auf die Situation der beiden Männer, die weiterhin inhaftiert sind.
Stattdessen geht das Ermittlungskomitee der Staatsanwaltschaft gegen sechs AutorInnen des Berichts vor, Ende Juni 2013 musste Tamara Morschtschakowa zur Vernehmung erscheinen. Die Ermittler begründen ihr Vorgehen damit, das Umfeld Chodorkowskis habe den AutorInnen des Berichts Geld zukommen lassen, um das Ergebnis zu beeinflussen.
In Moskau hat inzwischen das «Bolotnaja-Verfahren» begonnen, in dem zwölf Demonstranten, die angeblich an körperlichen Auseinandersetzungen bei der Demonstration anlässlich der Amtseinführung Putins beteiligt gewesen sein sollen, vor Gericht stehen. Es spricht viel dafür, dass gezielte Provokationen die Zusammenstösse mitausgelöst haben. Bei einigen Angeklagten fehlen zudem Hinweise darauf, dass sie an den Auseinandersetzungen überhaupt beteiligt waren. Ausserdem werden sie wegen des schwerwiegenden Delikts der «Teilnahme an Massenunruhen» verfolgt. Damit drohen ihnen Freiheitsstrafen von bis zu acht Jahren. Nach allen bisherigen Erfahrungen ist zu bezweifeln, dass sie ein faires Verfahren erhalten werden.
Aber nicht nur die Metropolen des Landes sind von der zunehmenden politischen Kontrolle betroffen In der Region Perm sahen sich die Organisatoren des seit vielen Jahren im Gulag-Museum «Perm 36» veranstalteten Menschenrechtsfestivals «Pilorama» gezwungen, das Kulturereignis kurzfristig abzusagen, nachdem ihnen die Hälfte der vom Parlament dafür bewilligten Mittel entzogen wurden. Man könne mit öffentlichen Geldern keine Veranstaltung unterstützen, auf der voraussichtlich die Regierung kritisiert werde, hiess es. Der Fall «Pilorama» macht deutlich, dass die Repräsentanten des russischen Staates den Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich zutiefst misstrauen und Kritik an der Regierung nur als von aussen «gesteuert» verstehen können. Es bleibt zu hoffen, dass sich insbesondere die jungen Menschen in Russland, die sich einmischen und ihr Gemeinwesen kreativ mitgestalten wollen, nicht mehr einschüchtern lassen.
Von Peter Franck. Er ist Sprecher der Russland-Ländergruppe der deutschen Amnesty-Sektion.
Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von Dezember 2013.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion