Auch in der Schweiz werden Unmengen an Informationen gesammelt, ausgewertet, analysiert und ausgetauscht – meistens wissen die Betroffenen nichts davon. Diese Überwachung kann, je nach Zielsetzung, in zwei Kategorien unterteilt werden: Einerseits geht es um die innere Sicherheit und die Justiz, andererseits um wirtschaftliche Interessen. Zwar kann man sie gesetzlich klar unterscheiden, aber sie überschneiden sich gelegentlich und lassen das Ausmass der Ausspähung erahnen.
Bevorstehende Ausdehnung
Kommt die Unschuldsvermutung bald aus der Mode? Im digitalen Zeitalter geht die Tendenz in Richtung allgemeiner und systematischer Sammlung von Informationen. Aussortiert wird erst danach. In der Schweiz könne die briefliche Korrespondenz überwacht werden und die Telekom-Provider müssten die Metadaten all ihrer Kunden speichern, ruft Balthasar Glättli, Nationalrat der Grünen, in Erinnerung.
Derzeit werden Telefonnummern, die Dauer der Anrufe, Absender und Empfänger von SMS, Sende- und Empfangsort sechs Monate lang aufbewahrt. Diese Daten können von der Polizei im Rahmen einer Strafermittlung auf richterliche Anordnung eingesehen werden. Zugriff hat auch der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), der «Secret Service» der Schweiz. Ein Revisionsvorhaben zum Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) könnte die Mittel der Überwachung ausdehnen.
«Die politische Diskussion entgleist», findet Balthasar Glättli. Er betrachtet die Debatte rund um die BÜPF-Revision mit Sorge. Nach der NSA-Affäre möchten zahlreiche ParlamentarierInnen die Eidgenossenschaft besser gerüstet sehen gegen Lauschangriffe ausländischer Geheimdienste. Doch gemäss Glättli verfehlt die geplante Antwort das Ziel. «Man versucht nicht, unsere Freiheit zu stärken, sondern will einfach gleich gut geschützt wirken wie andere Länder.»
Die Gesetzesänderung könnte die Frist zur Aufbewahrung telefonischer Metadaten auf ein Jahr verlängern. Ausserdem soll die direkte telefonische Überwachung erlaubt werden, ebenso die Installation von «Trojanern» auf Computern. Letztere sollen dazu dienen, Voice-over-IP-Telefonie wie etwa den Dienst Skype abzuhören. Deutschland wollte diese Möglichkeit bereits einführen, ist aber am Nein des EU-Gerichtshofs gescheitert.
Schutzmassnahmen
Auch wenn ein Schleier der Verschwiegenheit die Überwachung des Datenverkehrs umgibt, so untersteht diese doch einem gesetzlichen Rahmen. Das Gesetz verlangt, dass das Prinzip der Verhältnismässigkeit gewahrt bleibt, und Kontrollorgane schauen den Spähern auf die Finger. «Der Nachrichtendienst muss dem Bundesrat jedes Jahr eine geheim gehaltene Liste vorlegen mit den Namen der Organisationen, die er überwacht», sagt Felix Endrich, Kommunikationschef des NDB. Der Nachrichtendienst kämpft gegen Terrorismus, Spionage, gewalttätigen Extremismus und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen.
So will es das Gesetz. Und die Überwachung geschehe «nur im öffentlichen Raum», versichert Endrich. Die Geschäftsprüfungsdelegation, ein Organ des Parlaments, verfolgt das Handeln des NDB.
Wie sieht es mit dem Schutz der Privatsphäre aus? Sind die Meinungsäusserungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit nicht gehörig unter Druck? Für Isabelle Dubois, ehemalige Datenschutzbeauftragte in Genf, ist ein gewisses Mass an Überwachung zulässig, solange diese der Staatsräson dient. Dafür garantiere der Umstand, dass der Bundesrat die Liste der überwachten Organisationen absegne, ebenso wie jene der ausländischen Geheimdienste, mit denen der NDB arbeitet, findet Felix Endrich.
Balthasar Glättli hingegen hält die Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten für riskant. «Dass Daten ausgetauscht werden, hat Tradition. Es ist aber auch eine gute Methode, um die Gesetze zu umgehen. Nichts hindert den Mossad oder die CIA daran, weiter zu gehen, als es das Schweizer Gesetz erlaubt. Sie sind ihm ja nicht unterstellt. Und nichts verhindert, dass diese Daten anschliessend mit dem NDB ausgetauscht werden.» Was den Umfang dieser Überwachung angeht, will Felix Endrich beruhigen: «Etwa 60 000 Personen werden vom NDB überwacht. Von ihnen sind etwa 10 Prozent Schweizer Bürger. Gegen alle liegt ein schwerer Verdacht vor. In der Schweiz leben fast 8 Millionen Menschen, man kann nicht wirklich von einer allgemeinen Überwachung sprechen.»
Konsumgewohnheiten entschlüsselt
Die Sammlung von persönlichen Daten beschränkt sich aber nicht auf potenzielle TerroristInnen. Details über einen grossen Teil der SchweizerInnen tauchen in anderen Datenbanken auf. Inkassofirmen unterhalten Register über die Zahlungsfähigkeit. Auch Konsumgewohnheiten werden vermerkt. Migros und Coop bewahren – während zwei beziehungsweise drei Jahren – Informationen über Einkäufe und den Ort des Einkaufs ihrer Kundinnen und Kunden auf. Sie erstellen Profile «für Marketingzwecke und um personalisierte Angebote zu machen», sagt Coop-Sprecher Ramon Gander.
Dieses Vorgehen ist legal, denn die KonsumentInnen haben dem Detailhandel mit ihrer Unterschrift unter den entsprechenden Vertrag die Nutzungsrechte der persönlichen Daten übertragen. Die Unterlagen der Inkassofirmen stammen mehrheitlich aus dem Handelsregister und aus öffentlich im Internet zugänglichen Informationen.
«Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts», findet Sébastien Fanti, ein auf neue Medien spezialisierter Walliser Anwalt. Wie der Run auf das schwarze Gold kennt auch die Jagd auf die Daten ein sehr rasches Wachstum. Doch es gibt Organisationen, die darüber wachen, dass keine Grundrechte verletzt werden – oder zumindest nicht ohne guten Grund. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) hat die Aufsicht über die Sammlung und Analyse von Daten durch Private oder die Bundesverwaltung. Auch die Kantone haben eigene Beauftragte. Doch diesen Stellen fehlen häufig die Mittel. Für den EDÖB arbeiten gesamtschweizerisch 30 Leute, sagt seine Mediensprecherin Eliane Schmid. Seine Arbeit besteht im Wesentlichen in Information, Beratung und in Warnung vor Missbräuchen. Gewicht gelegt wird auf die Sensibilisierung. Isabelle Dubois und Eliane Schmid bedauern beide, dass ihnen keine griffigeren Instrumente zur Verfügung stehen. Denn in manchen europäischen Ländern können Fehlbare gebüsst werden, wenn sie etwa unerlaubterweise Personendaten an Dritte weitergeben.
Gesetzgebung weiterentwickeln
Das Bundesgesetz zum Datenschutz muss demnächst überarbeitet werden. «In einer Demokratie wie der Schweiz ist der rechtliche Rahmen häufig nicht adäquat, weil seine Entwicklung von der Meinung vieler Menschen abhängt. Deshalb gibt es Verzögerungen », erläutert Sébastien Fanti. Er unterstreicht, dass sich die Politik kohärent zu jener der Nachbarländer entwickeln sollte. Die gesetzgeberische Verspätung erklärt sich teilweise damit, dass man auf Beschlüsse der Europäischen Union wartet. Für Balthasar Glättli ist die Revision des Datenschutzgesetzes eine gute Gelegenheit, ein immer wichtiger werdendes Thema anzugehen: «Es braucht einen starken politischen Willen, um einen neuen Gesellschaftsvertrag abzuschliessen, der die persönlichen Freiheiten schützt.»
Von Jean-Marie Banderet
Fliegende Spione
Es sind raffinierte Spielzeuge: Mit flotter Beschleunigung schwirren ferngesteuerte Drohnen in der Gegend herum, weichen Hindernissen geschickt aus und filmen mit hochauflösenden Kameras die Umgebung. Dank Onlineverbindung können die Aufnahmen direkt ins Internet gestellt werden. Die immer günstigeren Geräte werden längst nicht mehr nur für professionelle Zwecke genutzt: Die Nachfrage von Privaten sei extrem gestiegen, wie die Firma Brack Electronics bestätigt, welche einfachere Modelle bereits unter 400 Franken anbietet.
Die fliegenden Augen werden mittlerweile für immer neue Zwecke eingesetzt: Von Staaten zur Überwachung von Demonstrationen und schützenswerten Anlagen oder für Vermessungen. Von Sportveranstaltern zum Filmen aus Vogelperspektive. Bauern suchen die Felder nach Rehkitzen ab und Paparazzi nutzen handgrosse Dröhnchen zum heimlichen Ablichten von Stars. Aber auch Kriminelle und natürlich auch die Geheimdienste verwenden die Geräte für ihre Zwecke.
So kann jeder zum kleinen Spion werden und heimlich Nachbars Leidenschaften auskundschaften. Vielen Hobby-PilotInnen ist unklar, wie schnell sie die Privatsphäre der Gefilmten verletzen und sich strafbar machen. Auch der Datenschutz ist tangiert, sobald Bilder von Personen veröffentlicht werden, ohne dass diese ihre Erlaubnis dazu gaben. Sorgen machen dem Datenschützer Hanspeter Thür die Drohnen schon lange. Er würde diese ferngesteuerten Kameras gerne bewilligungspflichtig machen, so seine Mediensprecherin. Doch das zuständige Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL könne nur in Sachen Flugsicherheit handeln. Bislang braucht es für Drohnen keine Bewilligung, solange der Pilot auf Sicht fliegt und sein Fluggerät nicht mehr als 30 Kilogramm wiegt.
Drohnen bedrohen allerdings nicht nur die Privatsphäre. Beim Absturz können sie gefährliche Verletzungen verursachen. Leistungsstärkere Drohnen können sogar den Flugverkehr gefährden. Grössere Drohnen lassen sich mit Waffen bestücken und können somit für kriminelle Zwecke eingesetzt werden. Während des Weltwirtschaftforums in Davos verhängten die Behörden aus Angst vor terroristischen Angriffen ein Flugverbot für Drohnen.
Schon länger werden unbemannte Fluggeräte für militärische Zwecke verwendet; sie veränderten die Kriegsführung, denn sie ermöglichen einen Einsatz aus grosser Distanz. Drohnen spionieren den Feind nicht nur aus, sondern wurden längst zu angreifenden Kriegswaffen. Wie Amnesty International dokumentierte, wurden bei Drohneneinsätzen der USA in Pakistan auch ZivilistInnen getötet.
Von Manuela Reimann Graf
Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von März 2014.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion