Eine Amnesty-Aktion auf die Beine zu stellen oder eine Gruppe zu leiten, verlangt den Mitgliedern genau das ab, was heute in jedem zweiten Stelleninserat gefordert wird: Kenntnisse in Projektmanagement, Präsentationstechnik und Führungskompetenz. Die Schweizer Sektion von Amnesty International bietet deshalb einen Kurs an, um ihre Mitglieder in diesen Bereichen noch fitter zu machen. Dieser Ausbildungsgang umfasst sieben Tage, verteilt auf drei Wochenenden. «Das ist ein grosser Zeitaufwand, aber für mich hat es sich total gelohnt», sagt Andri Heimann, der 2012 den Kurs besucht hat. Livia Kernen, die die letztjährige Ausgabe absolviert hat, stimmt zu: «Ich habe viel mitgenommen, das ich auch im Beruf oder im Privatleben verwenden kann», erklärt die Sozialanthropologin.
Der Leadershipkurs richtet sich an aktive Mitglieder von Amnesty Schweiz. Das bedeutet aber nicht, dass sich die Teilnehmenden schon seit Jahrzehnten bei der Organisation engagieren müssen. Livia Kernen ist dafür das beste Beispiel: Die Bernerin hatte Amnesty schon seit einiger Zeit finanziell unterstützt und einige Veranstaltungen besucht, gehörte aber keiner Gruppe an. Da sie sich stärker für die Menschenrechte einsetzen wollte, surfte sie 2013 auf der Amnesty-Website und wurde auf den Leadershipkurs aufmerksam. Die Verantwortlichen bei Amnesty akzeptierten ihre Bewerbung für den Kurs. Seither hat Livia Kernen intensiver Amnesty- Luft geschnuppert. «Ich war die einzige Kursteilnehmerin, die nicht in einer Gruppe aktiv war. Aber ich wurde sehr rasch integriert», erklärt sie und lobt die Atmosphäre im Leadershipkurs: «Die Stimmung war wirklich sehr angenehm, wir haben uns etwa bei den gemeinsamen Essen sehr gut unterhalten.» Andri Heimann betont, dass die einzelnen Module sehr intensiv gewesen seien, dank der verschiedenen Unterrichtstechniken und grosszügig eingeplanten Pausen seien die einzelnen Kurstage aber nicht zu anstrengend gewesen.
Spannende Dozenten
Von welchen Kursinhalten haben die beiden am meisten profitiert? «Sitzungskoordination, verschiedene Führungsstile, Projektmanagement », ist Andris Bilanz. Livia Kernen hat das Modul zu Präsentationstechnik Eindruck gemacht. Die Kursinhalte werden von ExpertInnen inner- und ausserhalb Amnestys vermittelt. Andri Heimann hat alle Dozierenden als kompetent und zugänglich in Erinnerung. Livia Kernen erwähnt die «Kaospiloten» besonders positiv: Die Leute von der Schule für kreative Führungskräfte hätten das Modul Leadership lebhaft und spannend gestaltet.
Teil des Kurses ist, dass alle Teilnehmenden ein eigenes Projekt realisieren. Denn das Gelernte soll möglichst rasch in der Praxis angewendet werden. Andri organisierte einen Informationsanlass in Solothurn, um Mitglieder für eine neue Jugendgruppe im Kanton Solothurn anzuwerben. Unterstützung bei der Vorbereitung erhielt er von Amnesty-Mitarbeiterinnen. Leider verzeichnete der Anlass keinen riesigen Publikumsaufmarsch, dennoch konnte an jenem Abend die Jugendgruppe gegründet werden. Andri leitet sie seither. Die Inhalte aus dem Leadershipkurs versucht er in den Gruppenalltag einfliessen zu lassen, «auch wenn wir uns in organisatorischer Hinsicht sicher noch verbessern könnten», wie er lachend sagt. Der Politologiestudent ist kürzlich ausserdem der Unigruppe Luzern beigetreten – was sich für ihn auch anderweitig lohnt: Er wird im Sommer in der Leuchtenstadt in eine WG ziehen, die er von anderen Amnesty- Mitgliedern übernehmen kann.
Livia Kernen beteiligte sich gemeinsam mit drei anderen Kursteilnehmerinnen an der Organisation einer Abendveranstaltung zur Demokratischen Republik Kongo, die Ende Mai in Bern über die Bühne ging. Auf dem Programm standen ein Referat und kongolesisches Essen. Livia Kernen bedauert, dass sie im Lauf der Vorbereitungen zurückbuchstabieren musste, weil sie erst einen einmonatigen Aufenthalt bei einer Flüchtlingsfamilie in der Westsahara einschob und anschliessend eine neue Arbeitsstelle in Zürich antrat. Doch solche Planänderungen gehören eben auch zum Leben einer Freiwilligen.
Positives Fazit
Der Leadershipkurs versorgte Andri Heimann und Livia Kernen mit Know-how und Motivation. Was könnte man verbessern? Andri Heimann überlegt und weist nochmals darauf hin, dass der Kurs zeitintensiv war – «aber ich habe ja auch ganz viel zurückerhalten ». Livia Kernen fiel auf, dass das Modul zu Menschenrechtsinhalten den langjährigen GruppenleiterInnen in ihrem Kurs nicht viel Neues bot. «Aber für mich war es perfekt, da ich ja zuvor noch nicht lange bei Amnesty International dabei gewesen war», erklärt sie. Wem würden die beiden den Kurs weiterempfehlen? «Einfach allen, die lernen möchten, wie man eine Gruppe leitet oder Aktionen organisiert! »
Von Carole Scheidegger