«Ich wollte einen Ort schaffen, der mehr als nur Büro ist. Er sollte zum Leben hin geöffnet sein, zum Bürgersteig, sollte neugierig machen», erzählt Atila Roque, Generalsekretär des neuen Amnesty-Büros in Rio de Janeiro. Der promovierte Politikwissenschaftler hatte jahrelang für Nichtregierungsorganisationen in Brasilien, Japan und den USA gearbeitet, bevor er sich für den Posten bei Amnesty bewarb. Er bezeichnet sich als «Kind der Zivilgesellschaft».
Grosse Organisationen und Unternehmen sitzen in Brasilien in der Regel in Geschäftsgebäuden mit Eingangskontrolle und Sicherheitszaun. Doch Amnesty hat ein Haus in Rios Stadtteil Laranjeiras gefunden, das an einem offenen Platz liegt. Dort treffen sich abends die MusikerInnen des Viertels und spielen Samba und Choro, einen temporeichen Mix aus europäischen und afrikanischen Rhythmen.
Wurzeln im Land
Inzwischen arbeiten 14 feste MitarbeiterInnen und viele Freiwillige für das brasilianische Büro. «Wir wollen in Brasilien eine internationale Organisation sein, die Wurzeln im Land hat, eine Organisation mit einer eigenen Stimme und einem eigenen brasilianischen Team. Das ist sehr wichtig in einem Land wie Brasilien, das so viel Wert darauf legt, seine Angelegenheiten selbst zu regeln», sagt Atila Roque.
Wie schwierig es sein kann, die lokale Agenda offen anzusprechen, erfuhr das Team während der Proteste im Juni 2013. Die Amnesty-AktivistInnen waren in diesen Wochen viel unterwegs, um zu vermitteln und die Wahrung der Menschenrechte einzufordern. Auch sie wurden mit Pfefferspray und Tränengas beschossen.
«Wir versuchen, mit der Polizei in einen Dialog zu treten. Ich habe den Innenminister und den Polizeichef schon mehrfach persönlich getroffen. Sie empfangen mich immer. Aber das Verhältnis ist etwas reserviert», erzählt Atila Roque. Grosse Sorgen macht er sich auch wegen der eskalierenden Gewalt aufseiten der Demonstranten.
2014: Ein hektisches Jahr
Amnesty Brasilien fordert mit grossen Kampagnen ein Ende der rechtswidrigen Zwangsräumungen in indigenen Gemeinden und in Favelas, in welchen WMBauten entstehen. Die Veranstalter und die Regierung müssen sich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung stellen.
Im Frühjahr jährte sich zudem der Militärputsch in Brasilien zum 50. Mal. Das Land gedenkt der Opfer der Diktatur. Gleichzeitig sorgt ein Amnestiegesetz dafür, dass die Verantwortlichen für Verfolgung, Folter und Verschwindenlassen weiterhin straffrei bleiben. Amnesty unterstützt die Arbeit der nationalen Wahrheitskommission und führt eine Kampagne für die Änderung des Amnestiegesetzes.
«Die grösste Herausforderung in diesem WM-Jahr besteht darin, den Wert der Menschenrechte im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern», sagt Atila Roque. «Wir müssen kreative Formen finden, die zeigen, dass Menschenrechte etwas Gutes sind und nichts Deprimierendes.»
Von Sara Fremberg, Mitarbeiterin der deutschen Amnesty-Sektion
Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von Juni 2014.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion