Auf der Videoplattform Youtube kursieren unzählige Filme aus Krisen- und Katastrophengebieten. Unter all dem hochgeladenen Filmmaterial finden sich immer wieder vermeintlich neue, aber tatsächlich uralte oder gar gefälschte Clips.
Für Menschenrechtsexperten, Journalistinnen oder Erste-Hilfe-Leistende ist es eine riesige Herausforderung, Fakten von Fiktion zu trennen. Nun hat Amnesty International eine Website lanciert, die in solchen Fällen nützlich sein kann. Das Citizen Evidence Lab (citizenevidence.org) stellt Werkzeuge zur Verfügung, mit welchen Videos rasch auf ihre Echtheit überprüft werden können.
Die grosse Herausforderung: Fakten von Fiktion zu trennen.
Vor kurzem flimmerte scheinbar neues Filmmaterial über meinen Bildschirm. Es zeigte Bewaffnete, welche auf Gefangene schossen. Der Film stammte angeblich aus Syrien. Er war am 3. Juli auf Youtube hochgeladen und auf sozialen Netzwerken geteilt worden. Mit dem neuen Tool benötigte ich nur zwei Minuten, um festzustellen, dass es sich um ein altes Video handelte.
Ein paar Monate zuvor machte ein sehr drastisches Video, angeblich aus dem Südsudan, unter Menschenrechtsgruppen die Runde. Es stellte sich heraus, dass derselbe Clip auf Youtube schon vor einigen Jahren zu sehen gewesen war – manche sagten damals, er stamme aus Kenia, andere ordneten ihn Myanmar zu.
In beiden Fällen reichte ein simpler Vorgang, um frühere Versionen des Filmmaterials ausfindig zu machen. Mit unserem neuen DataViewer-Werkzeug kann dies jedermann tun. In Krisensituationen ist es entscheidend, dass der Prozess der Informationsfilterung rasch geschieht.
Manchmal müssen wir Videos tiefergehenden Analysen unterziehen. Während der gewalttätigen Ausschreitungen in Kairo im August 2013 zirkulierte ein Film, der vermeintlich zeigte, wie Protestierende ein Polizeiauto von einer Brücke stiessen. Ich fand ein zweites Video, das die Geschehnisse aus einem neuen Winkel darstellte: Das Polizeiauto war mit einem anderen Wagen zusammengestossen und deshalb von der Brücke gefallen. Die Gebäude, die ich in den Videos sah – zum Beispiel ein Fussballstadion – konnte ich dank Tools wie Google Earth identifizieren und so den genauen Standort des ganzen Vorfalls ermitteln. Und das, obwohl ich während der ganzen Recherche in meinem Büro in Washington D.C. sass.
Natürlich erfordert der Verifizierungsprozess häufig noch weitere Schritte. Eine genaue Anleitung und eine Liste der Werkzeuge sind nun im Citizen Evidence Lab in einem interaktiven Guide verfügbar – quasi ein «Elchtest für Youtube-Videos».
Die Flut an Videos und Bildern, welche gewöhnliche BürgerInnen online teilen, haben meine Arbeit gewaltig verändert. Als ich vor sieben Jahren bei Amnesty International anfing, arbeitete ich mit Satellitenbildern, um Erkenntnisse über unzugängliche Konfliktgebiete zu gewinnen. Heute bin ich mit viel mehr und detaillierteren Informationen konfrontiert. Die Chancen und Herausforderungen, die sich daraus ergeben, rufen nach neuen Instrumenten und Fähigkeiten. Die Rückmeldungen von NutzerInnen weltweit werden es uns erlauben, das Citizen Evidence Lab ständig zu verbessern. Damit wir einen Vorsprung haben vor all jenen, die in Krisenzeiten Falschinformationen verbreiten.
Von Christoph Koettl. Der Autor arbeitet im Zentrum für Krisenprävention von Amnesty USA.