In einem Innenhof eines Hauses in Ouagadougou steht Bernadette Zida im Schatten eines Baumes und lacht. Das schallende Lachen, mit dem die 53-Jährige ihre Ausführungen unterbricht, kontrastiert mit dem, was die Sozialarbeiterin an diesem drückend heissen Nachmittag über die Situation der Frauen und Mädchen in Burkina Faso zu berichten weiss. Zida ist Präsidentin des nationalen Aktionskomitees der Marche Mondiale des Femmes. Die feministische Organisation setzt sich weltweit für die Rechte der Frauen und Mädchen ein. Im westafrikanischen Land, das im Uno-Entwicklungsindex den viertletzten Rang belegt und wo jeder Zweite unter der Armutsgrenze lebt, ist dieses Engagement eng verknüpft mit dem Kampf gegen die Armut. «Die Armut ist weiblich», konstatiert Bernadette Zida. Viele Frauen könnten sich kaum eine Mahlzeit pro Tag leisten. Auch seien Frauen und Mädchen besonders von Analphabetismus betroffen, und wegen schlechter hygienischer Bedingungen grösseren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt.
Die tägliche Gewalt
Vor allem aber wehrt sich die Marche Mondiale gegen die alltägliche Gewalt an Frauen und Mädchen in Burkina Faso. «Die Übergriffe passieren überall und jederzeit, aber sie sind schwierig zu beweisen», sagt Bernadette Zida. Denn viele Frauen zögen es vor zu schweigen, insbesondere bei Vergewaltigung in der Ehe. Und wagten die Frauen es doch, einen Übergriff bei der Polizei zu melden, «werden sie gleich wieder nach Hause geschickt». Einen besonders krassen Fall machte die Marche Mondiale den Behörden bekannt: Den Frauen war zu Ohren gekommen, dass ein Lehrer neun Schülerinnen seiner eigenen Klasse missbraucht haben soll. Die Behörden versetzten daraufhin den Mann kurzerhand an einen anderen Posten. Zu einer Strafanzeige kam es aber nicht, obwohl Vergewaltigung zum Deliktskatalog des Strafgesetzes gehört. Weil es kaum griffige Sanktionen gibt, setzen die Frauen der Marche Mondiale vor allem auf Sensibilisierung, etwa mit Strassentheatern, didaktischem Schulmaterial, Plakaten und Radiosendungen.
Auf dem Papier gehört Burkina Faso in Sachen Frauenrechten zu den fortschrittlicheren Ländern Afrikas. Doch die Realität sieht anders aus.
Auf dem Papier gehört Burkina Faso punkto Gleichstellung und Frauenrechten zu den fortschrittlicheren Ländern Afrikas. Sowohl die Genitalverstümmelung wie auch die Verheiratung von Minderjährigen sind seit Jahren verboten. Auch sind die politischen Parteien gesetzlich verpflichtet, auf ihren Wahllisten mindestens 30 Prozent Frauen zu nominieren. «Die Realität sieht aber anders aus», sagt die 34-jährige Soziologin Judith Somda, die als lokale Programmkoordinatorin für die Westschweizer NGO E-CHANGER arbeitet. «Trotz Verboten werden Beschneidungen und Zwangsheiraten nach wie vor praktiziert». Und nach wie vor würden viele Mädchen nicht zur Schule geschickt, weil sie als Arbeitskräfte im Haus und auf dem Feld gebraucht werden. Dies führe wiederum dazu, dass schlecht ausgebildete Frauen bei Abstimmungen und Wahlen als «Stimmvieh» oder Listenfüllerinnen benutzt werden, ohne dass man sie wirklich fördern wolle. «Es reicht nicht, einfach Gesetze zu erlassen, sondern es braucht eine riesige Sensibilisierungsarbeit », betont Somda. Eltern müssten begreifen können, welche Vorteile es bringe, ihre Töchter tatsächlich auch zur Schule zu schicken. Dazu brauche es aber auch Vorbilder: Hebammen, Ärztinnen, Richterinnen. Die kulturell geprägte Vorstellung, «dass eine Frau niemals den Platz eines Mannes einnehmen kann», sei immer noch tief verankert. Trotzdem ist Judith Somda zuversichtlich, dass ihre eigene, besser ausgebildete Generation die Gleichstellung im Land vorwärts bringen kann.
Die Rolle der Männer
Zu dieser neuen Generation gehört auch Michel Ouoba. Der 30-jährige Jurist ist Programmverantwortlicher von Todi Yaba (wörtlich übersetzt: «gegenseitige Hilfe »). Die Organisation hat ihren Sitz in Fada N’Gourma, im Osten des Landes, der flächenmässig grössten Region von Burkina Faso, wo der Grossteil der Bevölkerung von der Viehwirtschaft lebt. «Die Frauen sind ein besonders marginalisierter Teil der Bevölkerung», konstatiert auch Ouoba. Todi Yaba setzt sich in den Dörfern für eine Besserstellung der Frauen ein, insbesondere auch für den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Familienplanung. Dazu gehört auch das Verteilen von Kondomen – auch solchen für Frauen. Gerade Strassenverkäuferinnen setzen diese Kondome präventiv ein. Nicht etwa aus Lust, sondern aus purer Not: Diese besonders exponierten Frauen werden oft Opfer von Vergewaltigungen.
Dass ein kultureller Wandel nicht ohne Unterstützung der Männer geht, zeigt eine eindrückliche Veranstaltung, die im Mai auf dem Hauptplatz von Fada N’Gourma stattgefunden hat. Unter der Schirmherrschaft des zeremoniellen Chefs der Region («Chef Coutumier») versammelten sich die Behördenmitglieder von 34 Dörfern, um in einer feierlichen Zeremonie der auf dem Land nach wie vor verbreiteten Praxis der Zwangsheirat abzuschwören. Das Ritual ist der Schlusspunkt einer Kampagne, welche die NGO Mwangaza Action mit Unterstützung von Todi Yaba in der Region durchgeführt hat. «Diese öffentlichen Plädoyers haben eine grosse Wirkung in der ländlichen Bevölkerung», betont Michel Ouoaba. Damit zeigten die Hüter der Traditionen der Bevölkerung, dass sie ihre Meinungen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft ändern können.
Von Theodora Peter. Die Autorin ist freischaffende Journalistin.
«Appell von Ouagadougou» zur Familienplanung
Mit rund 6 Kindern pro Frau verzeichnet Burkina Faso zusammen mit anderen westafrikanischen Ländern eine der weltweit höchsten Geburtenraten. Diese geht mit einer hohen Mütter- und Kindersterblichkeit einher. Die 9 frankofonen Länder Westafrikas haben deshalb 2011 den «Appell von Ouagadougou» lanciert. Dieser plädiert für einen erleichterten Zugang zu Verhütungsmitteln, eine Abgabe auch durch nichtmedizinisches Personal und eine Dezentralisierung der Angebote. Denn die Hürden für junge Frauen und Männer, die eine Schwangerschaft verhüten möchten, sind nach wie vor hoch. Unter 18-Jährige und Unverheiratete haben aus gesetzlichen Gründen kaum Zugang zur Familienplanung. Auch erschweren soziale und religiöse Normen die Information. Das Sprechen über Sexualität und Verhütung ist ein Tabu. Eltern befürchten, dass Sexualaufklärung an Schulen ihre Kinder zu sexuellen Abenteuern verführt. Auch werden Mädchen beim Zugang zu Verhütungsmitteln diskriminiert, indem ihnen die Abgabe verweigert wird. Burkina Faso ist eines der Schwerpunktländer der Amnesty-Kampagne «My Body My Rights» von 2014 – 15; nebst Nepal, El Salvador, dem Maghreb und Irland. In Burkina Faso stehen der Zugang zu Verhütungsmitteln und die Durchsetzung des Mindestheiratsalters im Mittelpunkt.
(tp)
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von Juni 2014.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion