Vielleicht ist es der grösste Schrecken, den sich der Mensch für den Menschen ausgedacht hat: Wer einen anderen Menschen foltert, fügt ihm nicht nur Schmerzen zu, sondern er verwandelt ihn in ein Objekt, in ein blosses Stück Fleisch. «Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt», notierte einst der Schriftsteller Jean Améry.
Amnesty International setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 1961 für Menschen ein, denen Folter droht oder die zu Opfern von Folter geworden sind. Nicht zuletzt wegen dieses Einsatzes wurde die Menschenrechtsorganisation 1977 mit dem Friedensnobelpreis geehrt.
Als sich Amnesty erstmals intensiv mit Folter beschäftigte, betraf dies ausgerechnet ein Land, das als Wiege der europäischen Kultur gilt.
«Täglich erreichen uns Berichte, wonach Menschen gefoltert werden», sagte im Jahr 1968 Martin Ennals, damaliger Amnesty-Generalsekretär. Diese Berichte stammten keineswegs nur aus fernen Ländern der Dritten Welt. Als sich Amnesty erstmals intensiv mit Folter beschäftigte, betraf dies ein Land, das als Wiege der europäischen Kultur gilt: In Griechenland hatten sich am 21. April 1967 Offiziere an die Macht geputscht. Schon in der Nacht des Staatsstreichs liessen die Putschisten Tausende verhaften. Doch erst die Recherchen von Amnesty machten öffentlich, was im Ausland vorher nur geahnt wurde: Die neuen Machthaber liessen ihre Gefangenen systematisch foltern.
Was heute fast nicht mehr vorstellbar ist: Folter war zu diesem Zeitpunkt international kaum geächtet. Um dies zu ändern, startete Amnesty im Dezember 1972 eine erste weltweite «Kampagne zur Abschaffung der Folter». Die damals noch junge Menschenrechtsorganisation sammelte innerhalb nur eines Jahres mehr als eine Million Unterschriften. Dieser Aufschrei blieb nicht ungehört: Im Herbst 1973 verabschiedete die Generalversammlung der Uno einstimmig eine Resolution gegen Folter, die Amnesty angeregt hatte. Und im Jahr 1975 einigten sich die Uno-Mitgliedsstaaten auf die Antifolter- Deklaration, in der es heisst: «Kein Staat darf Folter oder andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe zulassen.»
Doch es handelte sich lediglich um eine Absichtserklärung. Die Staaten waren keineswegs verpflichtet, sie auch umzusetzen. Deswegen lancierte Amnesty im Jahr 1984 eine zweite gross angelegte Kampagne gegen Folter, mit dem Ziel, die Regierungen gesetzlich auf das Folterverbot zu verpflichten. Mit Erfolg: Noch im selben Jahr verabschiedeten die Vereinten Nationen die Antifolter-Konvention.
Ab jetzt konnten die Staaten im Zweifelsfall auch ausländische Täter strafrechtlich verfolgen. Wie etwa Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet, der 1998 während eines Aufenthalts in London verhaftet wurde. Zum Prozess kam es allerdings nicht, denn der britische Innenminister ordnete im Jahr 2000 an, den greisen General, der während seiner Herrschaft Tausende foltern liess, aus gesundheitlichen Gründen wieder freizulassen. Dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden, war denn auch eine der zentralen Forderungen der dritten globalen Antifolter-Kampagne, die Amnesty im selben Jahr startete.
Heute, dreissig Jahre nachdem die Antifolter-Konvention verabschiedet wurde, ist die Bilanz ernüchternd: Weiterhin werden in mehr als 140 Staaten Gefangene gefoltert oder misshandelt. Eine Welt ohne Folter – dies ist noch immer das Ziel, für das Amnesty International kämpft. Doch auf dem Weg dorthin bleibt noch viel zu tun.
Von Ramin M. Nowzad
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von August 2014.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion