«Sie haben meine Zähne herausgeschlagen. Die Narbe an meinem Kopf stammt von einem Schlag mit einem Maschinengewehr. Mein Arm ist gebrochen. Meine Wirbelsäule noch immer beschädigt.»
DER 80-JÄHRIGE LEOPOLDO GARCIA kann nicht vergessen, was ihm vor über 40 Jahren vom Pinochet-Regime in Chile angetan worden ist. Vor dem Putsch arbeitete er im Hippodrom in Santiago de Chile und war Mitglied der sozialistischen Partei. Sein Albtraum begann kurz nach dem Putsch. Garcia wurde verhaftet und ohne Kontakt zur Aussenwelt eingekerkert. Mittels Folter wollten die neuen Machthaber die Namen von anderen Parteimitgliedern aus ihm herausprügeln. Sein Martyrium dauerte Monate, danach folgten eineinhalb Jahre Haft. Eines Tages wurde ihm die Entlassung in Aussicht gestellt – sofern er das Land verlassen würde. Garcia floh am 12. Juli 1975 mit einem Teil der Familie nach London – sie konnten nur wenige Habseligkeiten mitnehmen und sprachen kein Wort Englisch. Fast 40 Jahre später gewann er als erster Folterüberlebender des Pinochet-Regimes einen aufsehenerregenden Prozess: Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte entschied im November 2013, dass Chile Garcias Folterer so schnell wie möglich ausfindig machen und bestrafen müsse und dass ihm eine Entschädigung zustehe. «Ich bin England sehr dankbar dafür, dass es mich aufnahm. Ich werde hier sterben. Aber es ist Chile, das endlich Verantwortung übernehmen muss», sagt Leopold Garcia.
Brutal verprügelt. Mit Elektroschocks gefoltert. So schlimm zugerichtet, dass er nicht mehr selbst gehen konnte und nun auf einem Ohr taub ist.
SERGEJ GURGUROW wurde im Oktober 2005 im bitterarmen Moldawien festgenommen. Man warf ihm vor, ein Mobiltelefon gestohlen zu haben. Auf der Wache wurde er gefoltert. Ein halbes Jahr später nahm ihn die Polizei erneut fest und verunmöglichte damit die Fortsetzung der medizinischen Behandlung, die wegen der Folter notwendig geworden war. Nach seiner erneuten Freilassung wollte Gurgurow Gerechtigkeit. Der junge Mann gelangte schliesslich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser stellte fest, dass Moldawien tatsächlich das Folterverbot verletzt hatte und sprach Gurgurow 2009 eine Entschädigung von 45000 Euro zu. Der osteuropäische Staat bezahlte Gurgurow diesen Betrag auch tatsächlich und eröffnete eine Untersuchung. Wermutstropfen: Die für die Folter Verantwortlichen wurden noch nicht vor Gericht gestellt.
Die Ärztin wurde verhaftet, weil sie den Armen half. Einzelhaft. Psychische Folter.
AURORA PARONG behandelte nach ihrem Medizinstudium Menschen in armen philippinischen Gemeinden. 1982 gründete sie ihre eigene Klinik. Drei Monate später wurde sie verhaftet, weil sie angeblich einen Rebellen medizinisch versorgt haben soll. Es folgten Gefängnis, Einzelhaft, psychische Folter. Seit ihrer Entlassung kämpft die Philippinin für die Rehabilitation der Folteropfer von Präsident Marcos’ autoritärem Regime (1972-1986). Sie leitete sieben Jahre lang die Amnesty- Sektion auf den Philippinen. Heute ist Aurora Parong Mitglied des staatlichen Menschenrechtsgremiums für Beschwerden von Folteropfern. Ähnlich wie die Wahrheitskommissionen in anderen Ländern, hat das Gremium die Aufgabe, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und anzuerkennen. Für Folteropfer kann ein solches Eingeständnis des Staates, dass er an ihnen Unrecht begangen hat, mindestens so wichtig sein wie ein Gerichtsurteil oder eine Entschädigung.
Sie zwangen ihn, sich auszuziehen. Schlugen ihn. Zogen ihm Windeln an. Fotografierten ihn nackt. Führten einen Schlauch in seinen Anus ein und verpassten ihm einen Einlauf.
DER DEUTSCHE KHALED AL-MASRI wurde im Januar 2004 in Mazedonien festgenommen und drei Wochen lang in der Hauptstadt Skopje festgehalten. Dann übergaben die örtlichen Behörden den damals 41-Jährigen einem CIA-Team. Ein Agent führte die rechts beschriebenen Handlungen aus – offenbar eine Standardprozedur des Geheimdienstes, um Gefangene für den Transport gefügig zu machen. Er wurde nach Afghanistan geflogen und vier Monate lang in Kabul in Haft gesteckt. Am Ende, nachdem die CIA bemerkt hatte, dass al-Masri irrtümlicherweise festgenommen worden war, wurde er nach Europa zurückgeflogen und in Albanien an einem Strassenrand ausgesetzt. Al-Masris Klagen vor US-Gerichtshöfen wurden abgewiesen, seine Folterer nie juristisch zur Rechenschaft gezogen. Im Dezember 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber, dass die Überstellung al-Masris durch Mazedonien an die CIA eine schwere Grundrechtsverletzung war. Die RichterInnen sprachen dem Familienvater ein Schmerzensgeld in der Höhe von 60000 Euro zu. Al-Masri wurde seit seiner Entlassung mehrmals gewalttätig, unter anderem gegen den Bürgermeister seines Wohnorts Neu-Ulm. Er wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, weil er einen Justizvollzugsbeamten verprügelt hatte. Für diese Straftaten machen Psychiater seine schwere Traumatisierung durch die Folter verantwortlich.
Sie zogen ihm eine Plastiktüte über den Kopf, so dass er zu ersticken glaubte.
ALEKSANDR GERASIMOW begab sich 2007 auf einen Polizeiposten in Kasachstan, weil er seinen Stiefsohn suchte, der in einer Morduntersuchung verhaftet worden war. Statt Auskunft über dessen Verbleib erhielt Gerasimow Schläge und wurde mit einer Plastiktüte gequält. Die Polizisten warfen Die Ärztin wurde verhaftet, weil sie den Armen half. Einzelhaft. Psychische Folter. Aurora Parong behandelte nach ihrem Medizinstudium Menschen in armen philippinischen Gemeinden. 1982 gründete sie ihre eigene Klinik. Drei Monate später wurde sie verhaftet, weil sie angeblich einen Rebellen medizinisch versorgt haben soll. Es folgten Gefängnis, Einzelhaft, psychische Folter. Seit ihrer Entlassung kämpft die Philippinin für die Rehabilitation der Folteropfer von Präsident Marcos’ autoritärem Regime (1972-1986). Sie leitete sieben Jahre lang die Amnesty- Sektion auf den Philippinen. Heute ist Aurora Parong Mitglied des staatlichen Menschenrechtsgremiums für Beschwerden von Folteropfern. Ähnlich wie die Wahrheitskommissionen in anderen Ländern, hat das Gremium die Aufgabe, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und anzuerkennen. Für Folteropfer kann ein solches Eingeständnis des Staates, dass er an ihnen Unrecht begangen hat, mindestens so wichtig sein wie ein Gerichtsurteil oder eine Entschädigung. auch ihm plötzlich einen Mord vor und wollten ein «Geständnis» herauspressen. Jetzt muss die Polizei für diese Folter Verantwortung übernehmen. Das entschied ein Gericht in Kasachstan im letzten Januar. Es bestätigte damit ein Urteil einer niedrigeren Instanz, wie Eurasianet berichtete. Dem heute 44-Jährigen Gerasimow stehen umgerechnet 11000 Franken zu.
Von Carole Scheidegger
Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von August 2014.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion