Protest auf Bangkoks Strassen, nachdem die Armee im Mai 2014 geputscht hatte. © REUTERS/Damir Sagolj
Protest auf Bangkoks Strassen, nachdem die Armee im Mai 2014 geputscht hatte. © REUTERS/Damir Sagolj

MAGAZIN AMNESTY Thailand Gefängnis wegen vier SMS

Ein falsches Wort über den König kann in Thailand zu einer harten Gefängnisstrafe führen. Nach dem Putsch vom Mai nutzt die Junta das scharfe Gesetz gegen Majestätsbeleidigung, um Kritikern und Kritikerinnen den Mund zu stopfen. Wer sich im Internet kritisch über das Königshaus äussert, wird als «Abfall» bezeichnet.

Nach dem Militärputsch in Thailand am 22. Mai 2014 hat die Junta schnell zu verstehen gegeben, dass sie keinen Widerstand duldet. Bereits kurz nach dem Staatsstreich marschierten in Bangkoks Innenstadt mit Sturmgewehren bewaffnete Soldaten in voller Kampfmontur auf, um die ersten spontanen Proteste im Keim zu ersticken.

Am Victory Monument, einem grossen Kreisel im Norden des Zentrums, sah es einige Tage nach dem Putsch ebenfalls so aus, als wäre Krieg: Mehr als tausend Soldaten und Polizisten sicherten den Platz. Der Grund: In den Tagen zuvor hatten sich auch dort immer wieder GegnerInnen des Putsches zu Protesten versammelt. Versammlungen von mehr als fünf Personen sind unter dem verhängten Kriegsrecht verboten, ebenso alle Kritik an der Militärjunta.

Wem es zukünftig richtig an den Kragen gehen soll, sind KritikerInnen des Königshauses: Fälle von sogenannter Majestätsbeleidigung sollen seit einer entsprechenden Anordnung der Junta zukünftig vor Militärgerichten verhandelt werden. Wer von einem solchen Gericht wegen Majestätsbeleidigung verurteilt wird, hat keine Möglichkeit, in Berufung zu gehen.

Königsfamilie ist tabu

Dabei war in Thailand bereits vor dem Staatsstreich eines der weltweit schärfsten Gesetze gegen «Lèse Majesté» (Majestätsbeleidigung) in Kraft. Artikel 112 des Strafgesetzbuchs sieht 3 bis 15 Jahre Gefängnis für jede Person vor, die den König, die Königin, den Thronfolger oder den Regenten «diffamiert, beleidigt oder bedroht». Thailands Gerichte legen das Gesetz oft derart weit aus, dass es praktisch unmöglich ist, überhaupt öffentlich über die königliche Familie zu sprechen.

Frank La Rue, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Meinungsfreiheit, forderte Thailand bereits vor einiger Zeit dazu auf, das Gesetz zu ändern. Das Land verstosse damit gegen internationale Menschenrechtsverpflichtungen, die es verbindlich unterzeichnet hatte.

Doch bereits die Kritik am Gesetz ist gefährlich. Seit dem Staatsstreich hat das Militär Hunderte kritischer JournalistInnen, AkademikerInnen und AktivistInnen vorgeladen. Viele von ihnen sprechen sich seit Jahren für eine Reform des drakonischen Gesetzes aus. Die Vorgeladenen wurden mehrere Tage lang festgehalten und dabei zum Teil stundenlang über ihre politischen Ansichten befragt. Viele mussten die Zugangsdaten zu ihren E-Mail-Konten sowie zu ihren sozialen Netzwerkseiten preisgeben. Gegen etwa ein Dutzend von ihnen hat die Armee anschliessend Verfahren wegen Majestätsbeleidigung eingeleitet. In ihren E-Mails oder auf sozialen Netzwerkseiten sollen monarchiekritische Äusserungen gefunden worden sein.

Langer Arm der Junta

Der Akademiker Somsak Jeamteerasakul, ein bekannter Kritiker des Lèse Majesté-Gesetzes, ist nach dem Putsch ins Ausland geflohen. Aus gutem Grund: Armeechef und Putschistenführer Prayuth Chan-ocha hat Somsak bereits vor einiger Zeit als «geisteskranken Akademiker» bezeichnet, der die Monarchie abschaffen wolle. Wegen seiner Kritik am Gesetz wurde Somsak bereits vor dem Putsch mit einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung bedroht.

Doch auch im Ausland sind die DissidentInnen vor den Fängen des thailändischen Staates derzeit nicht mehr sicher: Die Junta hat die Pässe von Somsak und von rund zwei Dutzend weiteren Kritikern annullieren lassen. So sollen sie dazu gezwungen werden, nach Thailand zurückzukehren.

David Streckfuss, ein US-amerikanischer Forscher, der in Khon Kaen im Nordosten Thailands lebt, sagte kürzlich, das Durchgreifen der Armee gegen vermeintliche KritikerInnen des Königshauses illustriere, dass es für Putsche einen Feind brauche, um erfolgreich zu sein. Die Junta «versucht Beweise dafür zu sammeln, dass es weit verbreitete Verstösse gegen das Lèse Majesté-Gesetz gebe, um von einer Antimonarchie-Bewegung sprechen zu können.»

Mehr Anklagen

Die Zahl der Anklagen unter Artikel 112 hat seit 2006 dramatisch zugenommen. Damals haben monarchietreue Generäle den Premierminister Thaksin Shinawatra aus dem Amt geputscht. Thaksin war eine hochgradig polarisierende Figur: Der Telekommunikations- Milliardär aus dem Norden des Landes hat sich in den fünf Jahren, in denen er im Amt war, im Nordteil des Landes eine riesige Schar von AnhängerInnen gesichert. Bangkoks Mittelschicht hat sich – nicht zu Unrecht – über seinen autokratischen Führungsstil und seine offene Vetternwirtschaft empört. Bangkoks Elite, zu der traditionell unter anderem die Bürokratie, die Armee und die Justiz gehören, sah in dem Aufsteiger jedoch vor allem eine Gefahr für ihre Sonderstellung. Nach Protesten in Bangkok warf die Armee den Politiker aus dem Amt.

Die Vertreter dieser traditionellen Elite stürzten auch sämtliche folgenden, demokratisch gewählten Pro-Thaksin-Regierungen: Gerichte entfernten wegen angeblicher Verfehlungen drei gewählte Premierminister und eine Regierung aus dem Amt. Im Mai dieses Jahres putschte das Militär erneut.

Dem Konflikt liegt eine gesellschaftliche Verschiebung zugrunde, die Bangkoks Mittelschicht und Elite offenbar nicht zu verstehen in der Lage sind. Der Wirtschaftsboom hat seit den 1980-Jahren eine neue Schicht «urbaner DorfbewohnerInnen» entstehen lassen: Menschen, die aus den ärmeren Landesteilen vor allem im Nordteil des Landes stammen, aber in Bangkok leben und arbeiten. Zugleich ist auch auf dem Land eine neue Mittelschicht entstanden. Die VertreterInnen dieser beiden Schichten, die es zum Teil zu erheblichem Wohlstand gebracht haben, fordern seit einigen Jahren immer stärker ihr Recht auf politische Partizipation ein. Thaksin hat diese Entwicklung erkannt und ist auf Forderungen der aufsteigenden Mittelschicht eingegangen. Die bestehende Mittelschicht und die Elite in Bangkok zeigten sich empört: Thaksins Politik sei nichts anderes als «Populismus». Die Menschen vom Land seien zudem zu «ungebildet ». Sie verstünden nicht, was gut für Thailand sei.

Auf der Gegenseite steht eine Oberschicht, die sich nicht davor scheut, ihren immensen Reichtum so offen wie möglich zur Schau zu stellen. In Bangkoks Innenstadt gehören die neuesten und teuersten Luxuslimousinen und Sportwagen zum Strassenbild. Thailand hat eine der hierarchischsten Sozialstrukturen der Welt, die noch aus den Zeiten des Feudalismus stammt. Das Wohlstandsgefälle zwischen Bangkok und dem Rest des Landes ist unübersehbar. Die Elite begründet ihre Sonderstellung mit ihrer Nähe zum Königshaus. Und verteidigt die gegenwärtige Gesellschaftsordnung daher mit aller Macht.

König begrüsste Kritik

Die Verfolgung Andersdenkender steht jedoch in Kontrast zu einer Rede, die Thailands König Bhumibol Adulyadej 2005 gehalten hat. Damals erklärte er, es solle möglich sein, ihn zu kritisieren. «Wenn der König nicht falsch liegen kann, dann ist das so, als schaue man auf ihn herab», sagte der Monarch damals. «Denn dann wird der König nicht wie ein menschliches Wesen behandelt.» Er begrüsse Kritik, da diese dabei helfe, die Monarchie informiert zu halten und Fehler zu korrigieren.

Die Gerichte trieben die Strafverfolgung tatsächlicher oder angeblicher KritikerInnen des Königshauses trotzdem weiter voran. Seit 2006 hat es Hunderte Anklagen wegen Majestätsbeleidigung gegeben. Die Verfahren werden meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Wie viele Menschen derzeit wegen Lèse Majesté unter Anklage stehen oder sich in Haft befinden, ist nicht bekannt. Amnesty International bezeichnet einige der Lèse Majesté-Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene.

Ein Fall hat 2012 für besonderes Entsetzen gesorgt: Der Lèse Majesté-Gefangene Amporn Tangnoppakhun starb in Haft an einer Krebserkrankung. Mitgefangene berichten, Amporn sei trotz starker Schmerzen nicht vernünftig medizinisch behandelt worden. Ein Gericht hatte den 61-Jährigen ein Jahr zuvor aufgrund sehr dünner Beweise zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er soll vier SMS-Nachrichten mit monarchiekritischem Inhalt an einen konservativen Politiker geschickt haben. Ultra-Monarchisten legten später nahe, Gegner des Königshauses hätten absichtlich eine falsche Fährte auf Amporn gelegt, um die Monarchie durch dessen Verurteilung zu diskreditieren.

Viele überzeugte MonarchistInnen sind mehr als bereit, die Junta in ihrem Kampf gegen Kritik an der Monarchie zu unterstützen. Bereits vor dem Putsch hat Rienthong Nanna, ein Krankenhausdirektor aus Bangkok, eine Gruppe gegründet, der er den Namen «Abfall-Einsammelungs-Organisation» gegeben hat. Mit «Abfall» sind Personen gemeint, die sich im Internet kritisch über das Königshaus äussern. Rienthong und seine AnhängerInnen, allesamt selbsternannte VerteidigerInnen der Monarchie, durchforsten das Internet nach monarchiekritischen Artikeln und Kommentaren und erstatten, wenn sie fündig werden, Anzeige.

Von Somchai Fauzi

Erschienen in «AMNESTY - Magazin der Menschenrechte» von August 2014.
Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion