Ein paar vereinzelte AnwältInnen warten im Aussenbereich des Frauengefängnisses Ilopango. Insassinnen stapeln hier in gelben T-Shirts mit der Aufschrift «Ich ändere mich» Blechwannen mit Essensresten. Schliesslich öffnet die Wächterin das Tor einen Spalt breit und winkt fünf der Wartenden heraus. Als die Frauen ihre Anwältin ausmachen, lächeln sie. Daniela Ramos gehört zum Anwaltsteam der «Bürgerschaftlichen Vereinigung für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs », die eine mittlerweile weltweit laufende Kampagne für die Begnadigung der «17» startete, die in El Salvador wegen Mordes zu Haftstrafen von 30 bis 40 Jahren verurteilt wurden. Angezeigt wurden die Frauen wegen Abtreibung.
Tödliche Rollenbilder
Schwangerschaftsabbruch ist in El Salvador seit 15 Jahren unter allen Umständen verboten: selbst wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist, selbst wenn der Fötus nicht lebensfähig ist, selbst wenn die Schwangerschaft aus einer Vergewaltigung hervorgegangen ist. Auch Teodora, Kenia, Carmen, Alma und Teresa, die jetzt in Ilopango den Sicherheitsbereich A betreten, wurden wegen Abtreibung verurteilt. Ihnen wurde nicht geglaubt, dass sie eine Frühgeburt mit Todesfolgen für das Baby erlitten. Vom Krankenhaus ging es direkt ins Gefängnis. Auch die übrigen «17» teilen dieses Schicksal. Ein von Vorurteilen und veralteten Rollenbildern geprägtes Gesundheits- und Rechtssystem wurde ihnen zum Verhängnis. Einer Frau, die blutend in die Notaufnahme eines öffentlichen Krankenhauses gebracht wird und offensichtlich schwanger war, wird in El Salvador sofort unterstellt, sie habe abgetrieben. Weder Ärzte noch Polizei stellen Untersuchungen oder Nachforschungen an.
Ein Tag nachdem ihr Kind tot zur Welt gekommen war, wurde sie in die düsteren Zellen der Untersuchungshaft gebracht.
Teodora, die sich mit ihren vier Leidensgenossinnen auf einem kleinen Mäuerchen niederlässt, erinnert sich. Wie ihre Wehen an einem regnerischen Abend so stark wurden, dass sie verzweifelt die Nummer der Polizei wählte. Wie sie das Haus im heruntergekommenen Zentrum von San Salvador verliess, weil sie vergeblich auf die Ambulanz wartete. Wie sie auf nasser Strasse ausrutschte und ohnmächtig wurde. Als sie im Krankenhaus aus der Narkose aufwachte, stand ein Polizist neben ihrem Bett. Ein Tag nachdem ihr Kind tot zur Welt gekommen war, wurde sie in die düsteren Zellen der Untersuchungshaft gebracht, trotz starker Blutungen und noch ganz benommen von der Narkose.
Acht Tage später findet sich Teodora im Gefängnis von Ilopango wieder; acht Monate später steht das Gerichtsurteil fest: 30 Jahre wegen Mordes. Seitdem sind acht Jahre vergangen. «Wenn du rauskommst, dann studieren wir gemeinsam », hat ihr erstgeborener Sohn gesagt. Seine Mutter hat nur die Grundschule besucht. Sie hat den Jungen seit einem Jahr nicht mehr gesehen.
Auch Alma teilt dieses Schicksal. «Meine beiden Mädchen nicht zu sehen, ist schrecklich», sagt die kleine Frau mit den grossen braunen Augen. Ihr drittes Kind war von der Nabelschnur erwürgt worden. Fernab jeder Klinik hatte Alma es zu Hause zur Welt gebracht. Ihre Familie aus Ahuachapán ist so arm, dass sie sich die Fahrt nach Ilopango nicht leisten kann, um sie zu besuchen. Von ihren Töchtern kann Alma deshalb nur noch träumen, wenn sie nachts dicht an dicht mit 280 Frauen auf dem Boden eines zur Zelle umfunktionierten Saales liegt. Wie alle Gefängnisse des Landes ist auch der Frauenknast mehrfach überbelegt.
«Hier werden immer wieder junge Frauen ankommen, denen das Gleiche passiert ist wie uns.»
Die nun laufende Kampagne für die «17» gebe ihnen Kraft und Hoffnung, erzählen sie. Dass sich Menschen in aller Welt mit ihnen solidarisch zeigen und Briefe an die salvadorianischen Behörden senden, rührt die Frauen sehr. Doch auch sie fühlen sich solidarisch. «Das hört ja mit uns nicht auf», erklärt Teresa, die in einer Fabrik arbeitete und nicht wusste, dass sie schwanger war, bis die Wehen einsetzten. «Hier werden immer wieder junge Frauen ankommen, denen das Gleiche passiert ist wie uns. Frauen, die sich keine Privatklinik und keinen Anwalt leisten können.» Ihren Strafverteidiger sah Teresa erstmals in der Gerichtsverhandlung; er kannte noch nicht mal ihren Namen.
Auch nach der Haft gefährdet
Zu leiden haben die Frauen auch unter dem Stigma der «Kindsmörderinnen». «Viele sagen: ‹Hoffentlich verrecken sie in Ilopango›», berichtet Teodora. Auch im Gefängnis werden sie bedroht. «Wenn wir uns draussen noch mal wiedersehen, dann bringen wir euch um», sagten Mitgefangene, darunter viele Bandenmitglieder, die wegen Gewaltverbrechen im Gefängnis sind.
«Eins dürft ihr nie vergessen», sagt Daniela Ramos, die Anwältin: «Ihr sitzt hier zu Unrecht. Und wir werden alles tun, damit ihr eure Freiheit wiedererlangt. » Bei diesen Worten schiessen den fünf Frauen, die sich bisher zusammengerissen haben, die Tränen in die Augen. Und dann schliesst sich das grosse gusseiserne Tor des Sektors B auch schon wieder hinter Teodora, Carmen, Teresa, Alma und Kenia.
Diffamierungen
Daniela Ramos’ Tag ist noch nicht vorbei. Ein Taxi bringt sie durch den dichten Verkehr ins angrenzende San Salvador zurück. Dort holt die Anwältin Mirna von der Arbeit ab. Mirna ist eine der «17», die nach 12 Jahren Haft im offenen Strafvollzug ist. Sie hatte das Glück, dass ihre Tochter die Frühgeburt in einer ärmlichen Latrine überlebte. «Nun wartet diese Tochter, die der Grund ist, warum ihre Mutter im Gefängnis sitzt, sehnsüchtig darauf, dass Mirna endlich freikommt», erklärt die Anwältin seufzend. Mirna erwartet sie, eine zierliche Frau mit in Silber eingefassten Zähnen. Hastig packt sie ihre Sachen zusammen, denn gleich schliesst das staatliche Wohnheim in Santa Tecla, in das sie jeden Abend zurückkehrt, die Tore.
Die Abtreibungsgegner in El Salvador sind eng verbunden mit den Sphären der Macht.
Eine Stunde später fährt Daniela Ramos endlich zum Büro zurück. Seitdem die Kampagne der «17» so erfolgreich voranschreitet, ist ihre Organisation ins Schussfeld der salvadorianischen Abtreibungsgegner geraten. Diese sind eng verbunden mit den Sphären der Macht. Nach Recherchen der Wirtschaftsjournalistin und ehemaligen Direktorin des salvadorianischen Frauenentwicklungsinstitutes ISDEMU, Julia Martínez, existiert eine «Troika» zwischen Opus Dei, einer ultrarechten Gruppierung innerhalb der katholischen Kirche, der selbsternannten Lebensschutzorganisation «Sí a la Vida» und dem «Diario de Hoy», einer der beiden grössten Zeitungen des Landes. Personifiziert wird diese Troika durch die Kolumnistin Julia Regina de Cardenal, die einer der reichsten Familien des Landes angehört.
«Diario de Hoy» veröffentlichte Mitte August einen Artikel, in dem der «Bürgerschaftlichen Vereinigung für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs» unterstellt wird, grosse Summen für die «Bewerbung und Unterstützung von Abtreibungspraktiken » von USamerikanischen Stiftungen zu erhalten. «Diese Schmutzkampagne schadet nicht nur unserem Ruf; sie kann uns auch zum Verhängnis werden », sagt Sara García, die für die Organisation das Radioprogramm «Aus dem Krankenhaus ins Gefängnis» macht. Die Rufschädigung könne tätliche Übergriffe nach sich ziehen. Dass es der konservativen Elite tatsächlich um den «Schutz des ungeborenen Lebens» geht, glaubt Sara García nicht. «Es geht hier nicht um die Babys. Es geht um die gesellschaftliche Kontrolle über den Körper von Frauen. Sie sollen in ihrer traditionellen reproduktiven Rolle verbleiben.»
«Wir sind nicht alle»
Zwei Autostunden entfernt flattert die blauweisse Fahne El Salvadors über dem Parlament. Hier wurde das Begnadigungsgesuch für die «17» eingereicht; hier muss es abschliessend ratifiziert werden. Die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch ist in dem mittelamerikanischen Staat erneut entbrannt. Präsident Salvador Sánchez Cerén von der einstigen Guerilla- Organisation und heutigen Partei FMLN hat sich hinsichtlich eines Dialoges über mögliche Gesetzesreformen positiv geäussert.
Doch zu den Fällen von Teresa, Carmen, Alma, Teodora, Mirna will sich im Regierungsviertel des katholisch geprägten El Salvador niemand so recht äussern. Andere aber stehen lautstark für sie ein. «Wir sind nicht alle – es fehlen die ‹17›!», rufen die Angehörigen der Jugendorganisation CoIncidir, die sich für die sexuellen Rechte von Jugendlichen einsetzt. Während eine Schulkapelle mit Cheerleaderinnen in engen Korsetts zur offiziellen Veranstaltung anlässlich des «Tages der Jugend» zieht, schreit eine Bande junger Mädchen «Alarm!» und «Begnadigung!» und winkt mit Schildern, auf denen die Namen der «17» stehen. Bis Ende des Jahres sollte die Entscheidung über deren Begnadigung endlich gefällt sein.
Von Kathrin Zeiske