Wärter bringen einen Guantánamo-Häftling auf seine Zelle. © US DoD
Wärter bringen einen Guantánamo-Häftling auf seine Zelle. © US DoD

MAGAZIN AMNESTY USA Besuch auf Guantánamo

Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2015. Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion
In welchem Licht wollen die USA das Gefangenenlager Guantánamo präsentieren, das weltweit als Symbol für Menschenrechtsverletzungen gilt? Die USA-Korrespondentin des Schweizer Fernsehens fühlte sich auf einer Pressefahrt in einen quasi totalitären Mikrokosmos versetzt.

Das also sind sie, die berüchtigten Gefangenen von Guantánamo: Hinter einer Glaswand sehe ich Männer in weissen T-Shirts und beigen Hosen. Sie sitzen an einem Stahltisch und sehen fern. Ich fühle mich wie im Zoo. Der Gang, in dem wir stehen, ist abgedunkelt. Die Gefangenen sollen keine Journalisten sehen. Mit ihnen Kontakt aufnehmen? Strengstens verboten! Hinter mir und dem Kameramann steht ein Dutzend Männer in Militäruniformen, sie beobachten uns mit Argusaugen. Man will uns zeigen, dass Guantánamo nicht anders aussieht als jedes andere Hochsicherheitsgefängnis in den USA. Ist aber nur einer dieser Gefangenen angeklagt? Der Wärter winkt ab. «Das kann ich nicht beantworten.»

Keine Gesichter, keine kritischen Fragen

Was werden wir überhaupt filmen können? Das Militär wird zudem jeden Abend alle Filmaufnahmen sichten und Bilder nach Gutdünken löschen.

Drei Tage vorher: Mein Kameramann und ich sitzen in einer Bar in Fort Lauderdale, Florida. Von hier aus fliegt der Charter auf die US-Militärbasis auf Kuba. Die Stimmung in der Bar ist ausgelassen, wir aber sehen uns besorgt an. Was werden wir überhaupt filmen können? Das Pentagon hat uns eine 13-seitige Liste unterschreiben lassen: keine Gesichter von Gefangenen, keine Gesichter von Militärangestellten, keine Türschlösser und nur genau definierte Aufnahmen des Lagers. Zudem wird das Militär jeden Abend alle Filmaufnahmen sichten und Bilder nach Gutdünken löschen.

Pressesprecher warten vor dem Bungalow. Sie werden uns nicht aus den Augen lassen, bis wir zu Bett gehen. «Neck down!» Bloss keine Gesichter filmen. Ob sie Angst vor einem Vergeltungsschlag habe, frage ich die junge Soldatin, deren Name ich nicht veröffentlichen darf. Sie stockt. «Ich muss erst das Kommando fragen.» Sie wird die Frage nie beantworten, das Pentagon verbietet «persönliche Fragen».

Erste Station: Camp X-Ray. Der Pressebus hält vor leeren Gitterkäfigen, die mittlerweile von Unkraut überwuchert sind. Hier hat nach 9/11 alles begonnen. Die USA stampften das Freiluftgefängnis Ende 2001 aus dem Boden, um der ganzen Welt zu zeigen, was sie mit angeblichen Terroristen machen. Wir zucken zusammen: Eine Klapperschlange huscht durchs Gras. Hier also haben die Männer in den orangen Overalls mit geschwärzten Taucherbrillen, Kopfhörern und Mundschutz am Boden gekauert.

«Was ist das?» Ich stehe in einem Käfig und schaue auf ein am Gitter befestigtes Rohr, in das die Gefangenen in der brütenden Hitze pinkelten. «Anus» hätten die Soldaten es genannt. «Keine schlechte Idee», meint der Pressesprecher schmunzelnd, schliesslich seien das gefährliche Terroristen gewesen. Doch selbst die US-Regierung hat mittlerweile eingeräumt, dass 90 Prozent der 779 Häftlinge, die seit 2001 auf Guantánamo eingesperrt waren, keine al-Kaida-Kämpfer sind.

«Erweiterte Verhörmethoden»

Einer von ihnen trug die Nummer 10005: Lakhdar Boumediene. Der Algerier, der in Bosnien lebte, wurde sieben Jahre lang auf Guantánamo festgehalten. Ohne Anklage, ohne Beweise. «Ein Schock», erzählt mir der frühere Mitarbeiter einer Hilfsorganisation. Nach 9/11 verdächtigten ihn die USA, einen Anschlag auf die US-Botschaft in Sarajewo zu planen. Dass die bosnische Justiz keine Beweise dafür fand, kümmerte die USA nicht. Die Amerikaner nahmen Boumediene fest und flogen ihn 2002 nach Guantánamo.

Aktuell sind noch 122 Gefangene im Lager, die US-Regierung hat die Freilassung von 62 Häftlingen angeordnet. Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte kritisiert, die USA halte Menschen willkürlich fest. Admiral Richard Butler, während unseres Besuches Leiter des Gefängnisses, winkt ab: Guantánamo sei Teil des weltweiten Krieges gegen den Terror. «Ich habe ein gutes Gefühl bei diesem Einsatz.» Und wie lange soll der von den USA definierte Krieg noch dauern? Der Admiral zuckt mit den Schultern.

Ich merke: Je kritischer die Fragen, desto kürzer die Führung. Als ich ihn zu den Verhörmethoden befrage, verstummt der Führer.

Vor den Gitterkäfigen mahnt der junge Pressesprecher zur Eile. Ich merke: Je kritischer die Fragen, desto kürzer die Führung. Die Holzhütten neben Camp X-Ray bekommen wir nur aus der Ferne zu sehen. Dort wurden die Gefangenen während rund drei Jahren verhört. Als ich ihn zu den Verhörmethoden befrage, verstummt der Führer. Nur zu gut erinnert sich Lakhdar Boumediene, der heute in Frankreich lebt und von der Fürsorge abhängig ist, da er keine Arbeit findet. Jeder Inspektor habe sein Spiel gespielt. «Der erste schlägt dich, der zweite lässt dich stundenlang auf einem Stuhl stehen, bis du runterfällst.» Die Soldaten hätten ihn in der Nacht gezwungen, mit ihnen zu rennen. Als er erschöpft zusammenbrach, hätten sie ihn auf dem Boden mitgeschleift, bis er blutete.

Kein Kommentar zu den «erweiterten Verhörmethoden». Heute aber, sagt der Pressesprecher, würden alle Gefangenen so behandelt, «wie wir es selber gerne hätten». Ich denke an die Zwangsernährung der Häftlinge im Hungerstreik. Im Gefängnisspital wird uns der mit Hand- und Fussfesseln versehene Stuhl erst auf Nachfrage vorgeführt. Ein Militärarzt zeigt auf eine Büchse Olivenöl. So würde der durch die Nase eingeführte Schlauch «problemlos» in den Magen gleiten. «Folterstuhl », sagt Lakhdar Boumediene: «Wenn du erbrichst, hören sie kurz auf, dann schütten sie weiter in dich rein.»

Das Spital versorgt die Häftlinge in den Hochsicherheitsgefängnissen Camp 5 und Camp 6. In Camp 5 sehen wir nur leere Zellen. Alles Isolationszellen, in denen die für ungefährlich befundenen Häftlinge monatelang festgehalten werden können, wenn sie die Hausregeln verletzt hätten. Die Wärter zeigen auf rote und braune Flecken an der Decke. Die Häftlinge würden sie mit Exkrementen und Blut bewerfen, wenn sie ihnen das Essen durch die Luke reichen. Sie sprechen von «Splashings». Guantánamo, so denke ich, ist die Hölle für alle, die mit dem Gefangenenlager zu tun haben. Umso unverständlicher, dass es auch sechs Jahre nach dem Schliessungsbefehl durch Barack Obama immer noch in Betrieb ist.

«Nährboden für Terroristen»

Die Verantwortung dafür trägt vor allem der Kongress. Seit Jahren schreibt das Parlament im Verteidigungsbudget fest, dass die Häftlinge nicht in ein Gefängnis in den USA verlegt werden dürfen. Die neue republikanische Mehrheit beider Kammern liegt auf einer Linie mit der US-Bevölkerung. In einer Umfrage sprachen sich im vergangenen Juni 66 Prozent gegen die Schliessung von Guantánamo aus.

Mit seiner Dauerkritik am Kongress macht es sich der Präsident aber einfach: Als Oberbefehlshaber der Armee könnte Obama Guantánamo eigenmächtig schliessen.

Macht Guantánamo die USA sicherer? «Ja!», sagt Admiral Butler. Auf meine Bemerkung, der US-Präsident behaupte das Gegenteil, schaut er verwirrt. Lange bevor der US-Journalist James Foley von IS-Terroristen in einen orangen Overall gesteckt und geköpft wurde, hatte Obama schon betont, Guantánamo sei ein Nährboden für Terroristen. Mit seiner Dauerkritik am Kongress macht es sich der Präsident aber einfach: Als Oberbefehlshaber der Armee könnte Obama Guantánamo eigenmächtig schliessen. Immerhin, seit den Zwischenwahlen im November scheint Obama den Transfer von Gefangenen in Drittstaaten zu beschleunigen. Zwölf Gefangene sind seither freigelassen worden. Gemäss anonymen Quellen aus dem Weissen Haus beabsichtigt Obama, in den nächsten sechs Monaten so viele Gefangene wie möglich frei zu lassen, um das Lager dann notfalls per Exekutivbefehl zu schliessen.

Drei Tage dauert die Pressefahrt, die Häftlinge bekommen wir gerade mal drei Minuten zu Gesicht. Niemand sagt es, aber alle wissen: Keiner der Männer in Camp 6 ist angeklagt. Und wo befinden sich die sieben mutmasslichen al- Kaida-Terroristen? «Diese Frage ist nicht erlaubt, damit ist die Führung beendet.» Auf dem Weg nach draussen fällt mein Blick auf die Presseunterlagen. Auf allen steht: «Sicher, legal, human, transparent.»

Von Karin Bauer.
Karin Bauer war bis Ende 2014 USA-Korrespondentin des Schweizer Fernsehens.