Er war einmal Anwalt für Bürgerrechte und Professor für Verfassungsrecht. Und so trat Barack Obama denn auch 2009 sein Amt mit einem klaren Bekenntnis zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit an. Davon ist nicht viel übrig
geblieben. Im «Krieg gegen den Terror» bleiben die Menschenrechte auf der Strecke. Und zwar auch in den Vereinigten Staaten selbst.
«Wir werden niemals damit aufhören, uns für die Menschenrechte aller Menschen – sowohl in den USA als auch im Ausland – einzusetzen. Das macht uns als Volk aus und dafür stehen wir als Nation.» Barack Obama, 9. Dezember 2014
Es wäre naiv, zu glauben, dass sich allein mit der Wahl eines neuen Präsidenten die Menschenrechtslage in den USA grundlegend ändern würde. Viele politische und institutionelle Faktoren beschränken die präsidentielle Macht: Die Blockade durch den republikanisch dominierten Kongress. Die ChefbeamtInnen, die sich weniger den politischen Zielen des Präsidenten als der langfristigen Sicherung ihrer Posten verpflichtet fühlen. Oder auch die föderale Struktur der USA. Und schliesslich natürlich das Damoklesschwert, das über jedem Amtsträger schwebt: die nächste Wahl, die man durch zu mutige Schritte nicht gefährden will.
Auch positive Entwicklungen
Es wäre daher unredlich, von einem Präsidenten zu erwarten, grundlegende Menschenrechtsprobleme wie die Armut eines grossen Teils der Bevölkerung oder die strukturelle Diskriminierung von Minderheiten in sechs Jahren lösen zu können. Und man sollte auch nicht vergessen: Obama hat in seiner bisherigen Amtszeit durchaus einiges zum Positiven verändert oder zumindest zu verändern versucht. So erliess er beispielsweise im vergangenen Jahr ein Dekret, das die Diskriminierung von Homosexuellen in Unternehmen, die für die Regierung arbeiten, verbietet. Eine weiterreichende Regelung, die für alle Firmen gegolten hätte, war vom republikanisch dominierten Repräsentantenhaus blockiert worden. In einem anderen Streitpunkt hat sich Obama durchgesetzt: Homosexuellen Soldaten und Soldatinnen ist es mittlerweile erlaubt, öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung zu stehen. Nach seinem Kampf für höhere Mindestlöhne setzte sich Obama auch für die Lohngleichheit der Frauen ein. Und er machte vorwärts bei der Legalisierung von EinwanderInnen.
Gegen das eigene Volk
Und doch muss sich Obama an seiner Gesamtbilanz messen lassen. Im «Krieg gegen
den Terror» wurden unter Obama die gezielten Tötungen von «Terrorverdächtigen» mit Drohnen ausgeweitet. Es sind aussergerichtliche Hinrichtungen, bei denen die USA auch in Kauf nehmen, dass Zivilpersonen getötet werden. Selbst wenn die Folterungen, Entführungen und unmenschlichen Behandlungen durch die CIA nicht in Obamas Amtszeit geschahen: Der Bericht des US-Senats hat uns kürzlich daran erinnert, dass auch unter Obama die Verantwortlichen bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Im Umgang mit tatsächlichen oder vermeintlichen Kriminellen verletzen die USA auf ihrem eigenen Boden die Menschenrechte: Beispiele sind miserable Haftbedingungen in US-Gefängnissen, die Todesstrafe, ausufernde Polizeigewalt – wie die Beiträge dieses Dossiers zeigen.
Die in der Bush-Ära betriebene Überwachung des eigenen Volks hat Obama nicht beendet – im Gegenteil. Als Senator hatte er den «Patriot Act» noch verurteilt, der es Ermittlungsbehörden erlaubt, in der Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern herumzuschnüffeln. Doch 2011 verlängerte Obama das Gesetz um vier Jahre und verschärfte es bei dieser Gelegenheit gleich noch – mit der Begründung, dass dies notwendig sei, um die USA vor Terrorakten zu schützen. So mussten in den vergangenen Jahren auch ganz unbescholtene Bürgerinnen, Steuerzahler und Wählerinnen dabei zusehen, wie ihre Grundrechte weiter eingeschränkt wurden. Übrigens auch Journalistinnen und Journalisten, die darüber schreiben wollten.
Von Manuela Reimann Graf