In den USA werden immer weniger Hinrichtungen vollstreckt: 35 Häftlinge wurden im vergangenen Jahr hingerichtet, so wenige wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. © Pixel 4 Images/shutterstock.com (Foto)
In den USA werden immer weniger Hinrichtungen vollstreckt: 35 Häftlinge wurden im vergangenen Jahr hingerichtet, so wenige wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. © Pixel 4 Images/shutterstock.com (Foto)

MAGAZIN AMNESTY USA Mit Waffe und Bibel

Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2015. Herausgegeben von Amnesty International, Schweizer Sektion
Gewalt und Diskriminierung prägen die Gesellschaft der USA bis heute. Doch es gibt auch gute Nachrichten. Ein Kommentar von Patrick Walder, Kampagnenkoordinator der Schweizer Amnesty-Sektion.

«Die Weissen haben Amerika mit Waffe und Bibel erobert und regieren noch immer damit.» Dieses Zitat eines Black-Power-Aktivisten aus den sechziger Jahren kann auch heute noch dazu dienen, Phänomene in den USA wie die Anwendung der Todesstrafe, den Kult um das Waffentragen, die verbreitete Gewalt und die Diskriminierung von Minderheiten zu erklären.

Wie anders als mit dem Blick auf die einst militante Siedlergemeinschaft wäre sonst zu erklären, dass die USA die Todesstrafe immer noch anwenden und gar zu den fünf Ländern mit den meisten Hinrichtungen weltweit zählen. Die USA, die sich selber gerne als Vorbild für Demokratie und Menschenrechte sehen, finden sich in diesem Club der Henker mit Ländern wie China, Iran, Saudi-Arabien und Irak.

Schwarze landen häufiger im Gefängnis, werden
häufiger von Polizisten erschossen und enden
häufiger im Todestrakt.

Auch die immer wiederkehrenden Vorfälle, bei denen Polizisten vorschnell ihre Schusswaffe ziehen, zeugen von der hohen Gewaltbereitschaft, die sich mit einem tiefsitzenden Rassismus problematisch verbindet. Statistiken zeigen, dass Schwarze häufiger im Gefängnis landen, dass sie häufiger von Polizisten erschossen werden und häufiger im Todestrakt enden. Gewalt und Diskriminierung prägen die USA auch ein halbes Jahrhundert nach der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre.

Die Gesellschaft denkt um

Es gibt aber auch gute Nachrichten aus den USA. Nicht nur die massiven Proteste gegen exzessive Polizeigewalt deuten ein gesellschaftliches Umdenken an. Auch in Sachen Todesstrafe gibt es positive Entwicklungen: Sowohl die Zahl der Hinrichtungen als auch die Zahl der Todesurteile sind in den vergangenen 15 Jahren deutlich gesunken. Auch die Anzahl der Bundesstaaten, die die Todesstrafe noch anwenden, wird immer kleiner; seit 2007 haben sechs weitere Bundesstaaten sie abgeschafft, 32 halten noch an ihr fest. Schliesslich ist auch die Zustimmung zur Todesstrafe in der Bevölkerung heute auf dem tiefsten Stand seit 1972. Allerdings spricht sich immer noch eine Mehrheit für die Todesstrafe aus.

Dass die erste Präsidentschaft eines schwarzen Amerikaners nicht zu einem weiteren Umdenken in dieser Frage geführt hat, zählt zu den Enttäuschungen, die Obamas Amtszeit gebracht hat. Während andere PolitikerInnen ihre Stimme gegen den Mainstream erheben, wie beispielsweise die Gouverneure von Oregon und Colorado mit ihrem Entscheid für ein Moratorium, hat sich Präsident Obama nie klar gegen die Todesstrafe ausgesprochen. Dabei braucht es solche Stimmen, um mit der Politik von Waffe und Bibel endlich brechen zu können. Und sie müssten vor allem aus den USA selbst kommen.

Immerhin kann sich die amerikanische Gesellschaft auch auf ein ganz anderes Erbe aus ihrer Frühzeit berufen. Noch vor der Französischen Revolution war es die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776, die die unveräusserlichen Rechte auf Leben und Freiheit erstmals proklamiert hatte.