«Man kann keine tiefen Veränderungen bewirken ohne ein Minimum an Verrücktheit», sagte Thomas Sankara einmal. Mitten in eine Zeit, in der Denken und Träumen in Afrika riskant waren, platzte er hinein und wurde am 4. August 1983 nach einem Staatsstreich Präsident von Obervolta. Ein Jahr später taufte er den westafrikanischen Staat in «Burkina Faso» um – das «Land der aufrechten Menschen». Der charismatische Führer, der oft ein marxistisches Vokabular benützte, schwor die Bevölkerung auf Revolution ein.
«Wer einem zu essen gibt, will einem
auch seinen Willen aufzwingen.»
Sankara plante insbesondere die landwirtschaftliche Selbstversorgung seines Landes und wehrte sich vehement gegen jede Form von Imperialismus und Neokolonialismus, denn er wusste: «Wer einem zu essen gibt, will einem auch seinen Willen aufzwingen.» Damit kritisierte er offen die Mächtigen der Politbühne. Die Bekämpfung von Hunger, Analphabetismus und Korruption sowie der Zugang zu Bildung und einem Gesundheitswesen waren seine Ziele. Während seiner Präsidentschaft stieg der Anteil der Kinder, die eine Schule besuchten, von sechs auf 22 Prozent. Sankara war in vielen Bereichen seiner Zeit voraus. Er kämpfte für die Emanzipation der Frauen, weil er erkannte, dass es «ohne Ausbildung der Frauen kein Weiterkommen gibt». Auch beim Umweltschutz war Sankara ein Vorreiter. Er machte klar, dass die Menschen für die Ausdehnung der Wüste verantwortlich seien und sprach sich gegen Abholzung aus. Unter seiner Ägide wurden 10 Millionen Bäume gepflanzt.
Am 15. Oktober 1987, erst 38-jährig und nach nur vier Jahren Amtszeit, wurde Thomas Sankara bei einem Putsch des Militärs ermordet. Die Hintergründe sind bis heute nicht restlos geklärt. Seinem langjährigen Weggefährten Blaise Compaoré wird angelastet, den Putsch organisiert zu haben. Compaoré wurde der Nachfolger Sankaras und blieb bis 2014 Präsident des Landes.
Der Schweizer Regisseur Christophe Cupelin hat für seinen Film «Capitaine Thomas Sankara» 25 Jahre lang Schrift-, Ton- und Bildarchive akribisch durchgekämmt. Entstanden ist das faszinierende Porträt eines schillernden Politikers, der Revolutionär, Ikone und Hoffnungsträger zugleich war. Was der Film verschweigt: Thomas Sankara ist eine umstrittene Figur. Seine Verdienste stehen ausser Frage, aber Amnesty International wirft Sankara auch schwere Verstösse gegen die Menschenrechte vor: Er liess politische Gegner willkürlich inhaftieren und foltern. Der Film geht darauf nicht ein. Schade, es hätte dem Porträt gut getan.
Das neue Regime Burkina Fasos hat sich stets bemüht, die Erinnerung an die Präsidentschaft Sankaras auszulöschen. Doch trotz aller Versuche bleibt unbestritten, dass er einer der wichtigsten afrikanischen Führer des 20. Jahrhunderts war. Mit diesem Film erhält Thomas Sankara eine neue Stimme.
Von Sandra Allemann
Capitaine Thomas Sankara.Von Christophe Cupelin. Ab 18. Juni im Kino.