«Schon als kleines Kind fühlte ich, dass ich anders war als meine Familie. Ich verstand es nicht und dachte, ich sei krank. Ich habe Blut und Salz auf mich geschmiert, um gesund zu werden. Im Senegal wird Homosexualität nicht toleriert. Es drohen Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren oder Geldbussen. Man spielt stets Versteck mit dem eigenen Umfeld.
Jemand kann dich völlig willkürlich als homosexuell bezeichnen. Dann steht plötzlich die Polizei im Haus und bringt dich ins Gefängnis. Und dort geht der Spass erst richtig los! Die Polizisten freuen sich, wenn sie sagen können: ‹Aha, eine Homosexuelle!›. Sie werden dich verprügeln. Nach einer Woche ist die betreffende Person verschwunden, niemand weiss, ob sie noch lebt. Wenn ein Homosexueller im Senegal ins Gefängnis kommt, ist er so gut wie tot.» Das sind die Worte von Anta, einer 33-jährigen senegalesischen Flüchtlingsfrau mit ansteckendem Lächeln.
Sie floh aus ihrer Geburtsstadt Saint-Louis im Nordwesten des Landes, nachdem ihr Vater gegen sie gewalttätig geworden war, weil sie nicht den Mann heiraten wollte, den er für sie ausgesucht hatte. Und weil sie offen zeigte, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. «Meine Mutter zog mir immer Röcke an. Ich versuchte schon als kleines Kind, daraus Hosen zu machen. Niemand verstand, warum. Ich mochte Röcke nie. Ich fühlte mich zu Frauen hingezogen, ich fand sie grossartig. Einmal, mit acht Jahren, sprach ich mit meiner Mutter darüber. ‹Sag das nie wieder›, erklärte sie in Panik. Ich fragte sie, ob meine Gefühle normal seien oder nicht. Sie betonte aber nur: ‹Das darf man nie sagen›. Mein Vater wurde bald argwöhnisch. Er sagte: ‹Mein Mädchen, was hast du?›. Als ich 15 Jahre alt war, beschloss er, mich zu verheiraten: ‹Du musst heiraten, du bist 15, du hast Brüste, bist in der Pubertät, du musst heiraten.›» Als Anta sich weigerte, akzeptierte das der Vater nicht: «Er behandelte mich wie einen Gegenstand. Er schlug mich und sperrte mich in ein kleines Zimmer ein. Ich war nie bei einem Tätowierer, aber auf meinem Körper gibt es alle möglichen ‹Tattoos›. Er hat mich gebrannt, verprügelt, mit dem Gürtel geschlagen und zerkratzt, weil ich mich geweigert habe zu heiraten.»
«Jemand kann dich willkürlich als homosexuell bezeichnen. Dann steht die Polizei im Haus und bringt dich ins Gefängnis.»
Ein paar Jahre später schlug Antas Vater ihr einen neuen Bräutigam vor. Wieder weigerte sie sich. Wieder begann die Gewalt. Der Vater schlug sie, die Brüder durften mit ihr machen, was sie wollten. «Mein Vater ist sehr religiös. Sein eigener Vater hat den muslimischen Glauben in den Senegal gebracht, er hat die erste Moschee gebaut. Für meinen Vater war es eine Frage des Stolzes, dass sich seine Tochter verheiratet, auch wenn sie sich nicht zu Männern hingezogen fühlt. In seinem Dorf ist Homosexualität etwas, das es gar nicht gibt. Eine Tochter, die kein Kopftuch trägt, keine Röcke trägt, die eher wie ein Junge aussieht: Eine solche Tochter wollte er nicht haben.»
Anta wollte lieber sterben, als die Heirat zu akzeptieren. Um den Misshandlungen zu entkommen, verliess sie ihre Familie und lebte auf der Strasse. «Es war das Einzige, was ich machen konnte. Auf der Strasse lebte ich mit den ‹Talibé›- Kindern. So nennt man bei uns Strassenkinder, die weder Vater noch Mutter haben. Ich schlief auf einem Stück Karton, trotzdem fühlte ich mich sicherer als zuvor. Auf der Strasse verfolgte mich meine Familie nicht mehr.» Nach einigen Monaten gab ihr eine Bekannte Arbeit als Hausmädchen. Der Vater fand sie daraufhin rasch. Er sagte zu ihr: «Entweder du heiratest oder du stirbst.» Anta floh erneut. Sie fand eine Stelle auf einem Kreuzfahrtschiff. Der Chef erlaubte ihr, auf dem Schiff zu schlafen. Zweieinhalb Jahre lang setzte sie keinen Fuss mehr auf festen Grund. Schliesslich floh sie nach Europa.
Doppeltes Leben
Eric, ein 34-jähriger Kameruner, kann gut erzählen. Er berichtet ruhig, mit Humor und Distanz über sein Leben. Er verliess sein Land, nachdem ihn Nachbarn in Duala in flagranti ertappt hatten: nackt, mit seinem Freund. Eine Gruppe Männer verprügelte die beiden. Danach gerieten sie glücklicherweise an Polizisten, die sie ins Spital brachten. Von dort aus traten sie die Flucht nach Europa an.
«Meine Mutter und ich, wir sprechen nicht über Homosexualität. Das ist ein Tabu. Selbst als ich noch in Kamerun war, sagte sie, das gebe es nicht. Als ich hier in der Schweiz eine eingetragene Partnerschaft einging, berichteten ihr Kameruner, dass ich einen Mann geheiratet habe. Ich habe sie angelogen und gesagt: ‹Glaubst du mir oder diesen Leuten?› Ich will nicht mit ihr über meine Homosexualität sprechen und sie traumatisieren. Wir können über genügend andere Dinge reden.
In Kamerun war ich gezwungen, eine Freundin zu haben, mit der ich zwei Kinder habe. Deshalb glaubt meine Mutter nicht, dass ich homosexuell bin.»
Wie Eric betont, sehen sich Schwule in seinem Land häufig gezwungen zu heiraten. «Mit 30 oder gar 35 Jahren unverheiratet zu sein? Das geht nicht. Die Familien setzen die Männer unter Druck, zu heiraten und ein Doppelleben zu führen.»
Gesetze legitimieren Schikanen
In 35 afrikanischen Ländern ist Homosexualität verboten. Im Sudan, in Mauretanien, im Norden Nigerias und im Süden Somalias droht sogar die Todesstrafe. Nicht alle Länder wenden ihre homophoben Gesetze auch tatsächlich an, doch müssen Schwule und Lesben vielerorts Übergriffe und Misshandlungen durch Polizei und Bevölkerung fürchten. Staatliche und religiöse Autoritäten bezeichnen Homosexualität oft als «unafrikanisch» und «vom Westen eingeschleppt». Doch die meisten Gesetze gegen gleichgeschlechtliche Beziehungen sind ein Erbe der Kolonialzeit. Evangelikale Prediger aus westlichen Ländern heizen die Homophobie in Afrika zusätzlich an. Die Kriminalisierung und Tabuisierung von Homosexualität erschwert in Afrika auch den Kampf gegen AIDS. Amnesty International hat zum Beispiel den Fall von neun Männern aus der senegalesischen Hauptstadt Dakar dokumentiert, die verhaftet wurden, nachdem sie an HIV-Präventionsseminaren teilgenommen hatten und weil es anonyme Vorwürfe betreffend ihres Sexlebens gab.