Eine Frau wird ermordet, weil sie eine Frau liebt. Ein Mann muss ins Gefängnis, weil er einen Rock trägt: Auch im Jahr 2015 ist das noch Realität. Die eigene sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität ausleben zu können, ist ein Menschenrecht. Doch Lesben und Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle leben in vielen Ländern gefährlich.
Menschen, die nicht auf den ersten Blick als Mann oder Frau erkennbar sind; Frauen, die Sex mit Frauen haben; Männer, die Männer lieben: Es gibt sie seit Menschengedenken, sie sind in Kunst und Literatur aller Epochen und Kulturen zu finden. Der Platz und die Rechte, welche soziale Gemeinschaften, Religionen oder Staaten diesen Menschen zugestehen, waren allerdings im Lauf der Geschichte stets grossen Schwankungen ausgesetzt. Die Palette reicht auch heute noch von selbstverständlicher Integration bis hin zur Todesstrafe, und dies quer durch Kontinente, Kulturen und Gesellschaften.
«Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren», heisst es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, und: «Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeine Unterscheidung.» Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität als Teil der Würde und des Wesens eines jeden Menschen dürfen demnach nie als Grund für Diskriminierung, Gewalt oder Misshandlungen dienen. Nur: Die Realität sieht leider in sehr vielen Ländern anders aus.
Verbrechen aus Hass
Am 24. April 2011 wurde die 24-jährige lesbische Aktivistin Noxolo Nogwaza im südafrikanischen Township KwaThema, im Osten von Johannesburg, ermordet. Bis heute ist die Tat nicht aufgeklärt. Im August 2013 starb in Russland ein schwuler Teenager, nachdem er von einer faschistischen Gruppe gekidnappt und gefoltert worden war. Am 18. Februar 2014 wurde in Rio de Janeiro ein 8-jähriges Transmädchen von ihrem Vater zu Tode geprügelt. Er hatte sie lehren wollen, sich wie ein Mann zu benehmen.
Ein Mord alle eineinhalb Tage. Die wenigstens dieser Verbrechen werden je aufgeklärt.
Hunderte von Menschen werden jährlich ermordet, Tausende auf brutalste Weise misshandelt, weil sie gleichgeschlechtlich lieben, Transgender sind, sich nicht normgemäss kleiden oder sich offen für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender und intersexuellen Menschen (LGBTI) einsetzen. Der Interamerikanische Menschenrechtsausschuss registrierte zwischen Januar 2013 und März 2014 fast 500 Morde an LGBTI-Menschen in seinen 25 Mitgliedstaaten. Das Trans Murder Monitoring Project, das weltweit Hassverbrechen an Transmenschen dokumentiert, zählt für die letzten sieben Jahre weltweit über 1700 Tötungen in über 60 Ländern – einen Mord alle eineinhalb Tage. Die wenigstens dieser Verbrechen werden je aufgeklärt. Die Täterinnen und Täter bleiben auch deshalb unbestraft, weil die Opfer es nicht wagen, sich an die Justiz zu wenden – aus Angst, erneut diskriminiert, erniedrigt und nicht ernst genommen zu werden.
Staatlich legitimierte Diskriminierung
Noch immer stellen 76 Länder gleichgeschlechtliche Beziehungen und nichtgeschlechtskonformes Verhalten unter Strafe – in klarem Verstoss gegen Völkerrecht. In sieben Staaten gilt die Todesstrafe. Während homophobe Gesetze teilweise ein Erbe der Kolonialzeit sind, werden Politiker und Politikerinnen nicht müde, sie im Namen der eigenen Kultur und Tradition zu rechtfertigen und Homosexualität als Importartikel, Verbrechen gegen die Natur, Ausschweifung und Skandal zu verteufeln.
Auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit schränken manche Staaten drastisch ein. So wurde in Russland 2013 ein «Verbot homosexueller Propaganda» eingeführt.
Tausende von LGBTI werden jedes Jahr von Polizei und Sicherheitskräften schikaniert, misshandelt, unrechtmässig inhaftiert, im Gefängnis sexuell gefoltert. Auch das Recht auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit schränken manche Staaten für LGBTI drastisch ein. So wurde in Russland 2013 ein «Verbot homosexueller Propaganda» eingeführt: Öffentliches Reden über Schwule und Lesben vor Kindern und Jugendlichen wurde damit unter Strafe gestellt. In Uganda ist seit Jahren ein Gesetz in Diskussion, aufgrund dessen nicht nur homosexuelle Handlungen mit bis zu lebenslanger Haft bestraft, sondern auch Personen belangt werden sollen, die ihnen bekannte oder verwandte Schwule und Lesben nicht anzeigen. Bestraft würden zudem Medien und Organisationen, die sich für LGBTI-Rechte einsetzen. Solche Gesetze wirken sich nicht nur direkt, sondern auch indirekt auf die Menschenrechte und die Lebensqualität der Betroffenen aus: Zu den Folgen gehören unter anderem eine geringere Bereitschaft, ärztliche oder soziale Betreuung aufzusuchen, sowie höhere Selbstmordraten unter jugendlichen Homosexuellen.
Flucht als letzte Hoffnung
Manche LGBTI-Menschen sehen ihre Zukunft nur noch in der Flucht. Doch nur gerade 42 Staaten anerkennen Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung als Grund für Asyl. Allzu oft werden zu deren Nachweis erniedrigende Verhöre oder ärztliche Untersuchungen durchgeführt. Allzu oft bekommen LGBTI-Flüchtlinge auch zu hören, sie hätten sich doch nur unauffälliger zu benehmen, um nicht Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden. In zwei Urteilen aus den Jahren 2013 und 2014 hat der EU-Gerichtshof solche Praktiken inzwischen klar untersagt, weil sie die Person entwürdigten und ihre Privatsphäre verletzten. Das und viel Aufklärungsarbeit – wie sie unter anderem von der Flüchtlingsunterstützungsgruppe von Queeramnesty geleistet wird – haben auch in der Schweiz zu positiven Veränderungen geführt. Doch der Weg zu einem LGBTI-sensiblen Asylwesen bleibt noch lang.
Und die Zukunft?
Aufbruchstimmung erfasste am 17. Juni 2011 die weltweite LGBTI-Gemeinschaft: Zum ersten Mal in seiner Geschichte hatte der Uno-Menschenrechtsrat in Genf eine Resolution zu Menschenrechtsverletzungen aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität verabschiedet – gegen die Stimmen der meisten afrikanischen und arabischen Staaten. Im April 2015 legte der Hochkommissar für Menschenrechte einen Bericht zu den Entwicklungen seit der Verabschiedung dieser Resolution vor. Er vermeldet darin auch positive Entwicklungen: So haben 14 Staaten in den letzten vier Jahren ihre Gesetzgebung gegen Diskriminierung und Hassverbrechen verbessert. Zwei davon, Australien und Malta, haben den Schutz von Intersex-Personen in ihrer Gesetzgebung verankert. 12 Staaten haben die Ehe oder ein eheähnliches Institut für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Zehn Staaten haben die Anerkennung der Geschlechtsidentität für Transmenschen erleichtert. In Dutzenden Ländern wurden Richter, Polizistinnen, Sozialarbeiter, Ärztinnen und Lehrpersonen für den Umgang mit LGBTI sensibilisiert.
Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für LGBTI-Rechte einsetzen, sind in den vergangenen Jahren weltweit sichtbarer und hörbarer geworden. Da und dort hat ihr Engagement zu gesetzlichen Verbesserungen geführt, einige haben ihre Rechte erfolgreich vor Gericht erstritten. Sie brauchen einen langen Atem, Furchtlosigkeit – und unsere Solidarität.
Von Stella Jegher