«Die Regierung kann auch mich verschwinden lassen»: Abdullahi Boru Halakhe, Amnesty-Researcher in Nairobi. © AI
«Die Regierung kann auch mich verschwinden lassen»: Abdullahi Boru Halakhe, Amnesty-Researcher in Nairobi. © AI

MAGAZIN AMNESTY Ostafrika Das Vertrauen der Menschen gewinnen

Interview: Alexandra Karle. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2016.
Abdullahi Boru Halakhe arbeitet seit einem Jahr im Amnesty-Regionalbüro in Nairobi. Der ausgewiesene Menschenrechtsexperte erzählt, wie wichtig seine Arbeit ist – und wie gefährlich.
AMNESTY: Können Sie Ihre Arbeit im Regionalbüro Nairobi beschreiben?

Abdullahi Boru Halakhe: Ich bin seit Februar 2015 bei Amnesty International als Ostafrika-Researcher tätig und beschäftige mich hauptsächlich mit dem Dossier «Terrorismus und Sicherheit». Genau genommen untersuche ich Menschenrechtsverletzungen, die von Sicherheitskräften unter dem Deckmantel der Terrorabwehr begangen werden. Auf kenianischem Boden gab es einige Terroranschläge, seit Kenia im Oktober 2011 Soldaten nach Somalia entsandt hat. Wir konzentrieren uns bei unserer Arbeit im Moment auf aussergerichtliche Tötungen und das Verschwindenlassen von Menschen, die angeblich unter Terrorverdacht stehen. Die islamistischen al- Shabab-Milizen haben Kenia zum primären Ziel erklärt …

Sie sprechen von dem Massaker an christlichen Studierenden in Garissa im Osten des Landes im Frühling 2015 und von dem Überfall auf das Shoppingcenter in Nairobi im Herbst 2013?

Ja, aber zwischen diesen grossen Attacken gab es auch zahlreiche kleinere Angriffe. Al-Shabab überfällt Militäranlagen und Polizeistützpunkte, um an Waffen zu kommen. Dabei werden auch Menschen getötet, vor allem in Nordkenia. Meistens reagiert die Polizei dann unverhältnismässig. Unsere Polizei hat eine lange Tradition, was Straflosigkeit von Beamten angeht, es gab nie wirkliche Reformen trotz zahlreicher Versprechungen seitens der Politik. Das heisst, die Anti-Terror-Aktionen werden ohne jede übergeordnete Kontrolle durchgeführt. Die Folge: Etwa 500 Menschen sind einfach verschwunden, und das sind nur die, von denen wir wissen, vermutlich sind es viel mehr. Die Schwierigkeit für uns liegt darin, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, mehr zu erfahren als nur die Aussage, dass der Sohn oder der Mann verschwunden ist.

Sie reisen durch das Land und interviewen Angehörige?

Die meisten Militär- und Polizeieinsätze gegen mutmassliche Terroristen finden an der Küste, im Norden Kenias und in Nairobi statt. Leider können wir nicht überall recherchieren, deshalb konzentrieren wir uns jetzt auf die Küstenregion. Denn dort sind die Islamisten besonders aktiv, versuchen, junge Leute zu radikalisieren und Kämpfer anzuwerben.

Das Ziel Ihrer Arbeit ist also, Sicherheitskräfte für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen?

Das ist ein Teil unserer Arbeit und entspräche natürlich unserer Idealvorstellung. Wir wollen, dass die Straflosigkeit von Sicherheitskräften für Menschen- weiteres Ziel ist, dass nicht jede Militäroder Polizeioperation als «Kampf gegen den Terror» deklariert wird. Normalerweise würde man ja davon ausgehen, dass uns die Öffentlichkeit bei unserer Arbeit unterstützt, beim Thema Terrorismus hört die Unterstützung aber sofort auf. Kein Wunder nach all den Anschlägen. Die Menschen wollen, dass die Regierung handelt und für Sicherheit sorgt. Wir richten unsere Appelle also nicht nur an die Sicherheitskräfte, sondern auch an die Bevölkerung mit der Botschaft: Auch du oder deine Familie könnte jederzeit unter Terrorverdacht geraten und verhaftet oder beseitigt werden.

Das versuchen wir in Europa und den USA auch …

Die westlichen Länder unterstützen Kenia mit Geld, Ausrüstung und Training, um gegen Terroristen vorzugehen. Hier wird diese Unterstützung so verstanden, dass die kenianischen Sicherheitskräfte alles richtig machen. Deshalb verbessert sich die Menschenrechtssituation in unserem Land nicht wirklich. Wer darauf aufmerksam macht und Änderungen fordert, gerät in Kritik: Das Wort «Aktivismus» ist seit den letzten Wahlen verpönt, Menschenrechtsaktivisten sind Störenfriede. Keine leichte Aufgabe also, dafür zu kämpfen, dass auch mutmassliche Terroristen Rechte haben, bestehende Gesetze eingehalten werden müssen und unabhängige Gerichte über Schuld oder Unschuld urteilen sollen. Bis heute hat nämlich noch kein einziger Fall von mutmasslichem Terrorismus vor Gericht Bestand gehalten, niemand wurde deshalb verurteilt. Deshalb tötet die Polizei Verdächtige lieber gleich, statt Beweise zu sammeln und vor Gericht zu gehen.

Wissen Sie auch von Folter?

Natürlich. Manche werden ja freigelassen, völlig traumatisiert und eingeschüchtert. Man hat ihnen gedroht, dass ihnen und ihren Familien viel Schlimmeres passieren würde, falls sie mit jemandem über die Folter reden. Deshalb ist es auch so schwer, die Menschen zum Sprechen zu bewegen. Es gibt Folter, Tötungen. Nicht nur die Polizei, auch das Militär ist beteiligt. Wir wissen von mindestens drei militärischen Einrichtungen, zwei in Nordkenia und eine auf der Ferieninsel Lamu, in denen es so etwas wie Folterkeller gibt. Wir haben Hinweise auf Massengräber.

Wie gefährlich ist es für Ihr Team, solche Untersuchungen durchzuführen? Haben Sie Angst?

Ja, ich habe Angst. Ich habe eine Frau und zwei kleine Kinder, die hier in Nairobi leben. Die Regierung ist hochsensibel, was den Bereich Terror und Sicherheit angeht. Sie kann auch mich verschwinden lassen, das ist die grösste Gefahr. Aber sie kann mir auch einfach das Leben schwer machen.

Schützt Sie die Tatsache, dass Sie für Amnesty International arbeiten?

Nein, im Gegenteil. Das macht es noch schwerer. Anderswo mag es wie ein Schutzschild sein, für Amnesty zu arbeiten. Hier nicht, hier bereitet es noch mehr Probleme. Es ist hart. Ich schrecke oft nachts hoch wegen eines Geräuschs und mache sofort alle Lichter an und schaue nach. Der Druck steigt ständig, vor allem, solange ich nur recherchiere und der Bericht noch nicht veröffentlicht ist. Danach kann ich einfach untertauchen für eine Weile, von der Bildfläche verschwinden, lange Ferien machen, ausser Landes gehen … Manchmal werde ich wirklich paranoid,  gehe nicht mehr an mein Telefon. Ich muss einfach sehr vorsichtig sein, verlasse das Haus nie gleichzeitig mit meiner  Tochter, gehe sowieso nicht ohne Grund nach draussen. Meine Frau ist sogar noch vorsichtiger.