Über 400 Asylsuchende und Flüchtlinge leben in solchen Unterkünften auf Nauru. Die Temperaturen in den Zelten können bis 50° Celsius erreichen. © Amnesty International
Über 400 Asylsuchende und Flüchtlinge leben in solchen Unterkünften auf Nauru. Die Temperaturen in den Zelten können bis 50° Celsius erreichen. © Amnesty International

MAGAZIN AMNESTY Migration Die pazifische Lösung

Von Manuela Reimann Graf in Zusammenarbeit mit Amnesty Australien. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom August 2016.
Australien hindert Asylsuchende mit allen Mitteln daran, ins Land zu gelangen. Boote werden auf hoher See zurückgeschickt oder man verfrachtet die Menschen auf benachbarte Inseln. Der Preis, den Flüchtlinge für die harte Asylpolitik bezahlen, ist hoch. Neue Recherchen bestätigen die krassen Misstände auf der Pazifikinsel Nauru.

Drei Jahre musste er auf der Insel Nauru ausharren. Dann setzte er seinen Körper in Flammen. Einen Tag später starb Omid im Spital im australischen Brisbane. Der 23-jährige iranische Flüchtling ist nicht der erste, der die Lebensbedingungen im Flüchtlingscamp auf Nauru nicht mehr aushielt und Selbstmord beging. Vor ihm versuchten schon andere, so der Hoffnungslosigkeit zu entkommen. Eine 21-jährige Somalierin folgte seinem Beispiel nur eine Woche später, sie kam mit Verletzungen davon.

Zurückgeschickt

Keine Asylsuchende, kein Flüchtling soll einen Fuss auf australischen Boden setzen, wenn sie oder er per Boot kommt – so die Doktrin der konservativen Regierung Australiens. Ohne ihr Asylgesuch zu prüfen, werden die «Boat People» des 21. Jahrhunderts auf dem Meer abgewiesen und zurückgeschickt. Diese Politik der «Pushbacks » verletzt mehrere Menschenrechtsstandards und Flüchtlingsrechte, die Australien einhalten müsste. Doch die australische Regierung verbietet den Flüchtlingsbooten nicht nur das Anlegen, sie geht noch weiter: Wie Amnesty im Mai 2015 herausfand, haben Beamte Menschenschmuggler bezahlt, damit diese ihr Boot mit 65 Asylsuchenden nach Indonesien zurücksteuern. «Wir haben starke Beweise, dass australische Beamte nicht nur beteiligt waren, sondern die Aktion selbst geplant hatten», sagt Amnesty-Flüchtlingsexpertin Anna Shea. Die Menschen seien unter einem Vorwand an Bord des australischen Patrouillenboots gelockt und dort mehrere Tage eingesperrt worden. Beamte hätten die Flüchtlinge dann mit wenig Nahrung und Benzin auf zwei kleinere Boote verteilt, den Schleppern 32 000 US-Dollar sowie Seekarten gegeben und sie damit zurück nach Indonesien geschickt. Die indonesische Polizei habe die Geldscheine bei den Schleppern gefunden. Ein zweiter Fall sei ähnlich abgelaufen.

Eingesperrt

Andere Asylsuchende, die nicht schon auf dem Meer aufgehalten werden können, werden auf die Pazifikinsel Nauru oder auf die zu Papua- Neuguinea gehörende Insel Manus verfrachtet. Im Rahmen der sogenannten pazifischen Lösung werden Asylsuchende in Auffanglager untergebracht, die von Australien finanziert werden. Die Menschen sollten nur vorübergehend in diesen Zentren bleiben, aber ihr Aufenthalt kann sehr lange dauern. Oft auch dann noch, wenn sie bereits als Flüchtlinge anerkannt wurden. Diese Camps waren schon früher von Australien zur Unterbringung von Asylsuchenden genutzt worden, nämlich 2001 bis 2008 unter der liberalen Howard- Regierung. Die linksstehende Labor- Partei schloss die Camps aufgrund massiver, auch internationaler Kritik. Und doch war es die Labor-Regierung, die 2012 die Lager wieder öffnete. Ende Mai 2016 warteten 847 Menschen auf Manus und 466 auf Nauru in den Zentren auf ihre Verfahren, darunter auch Dutzende Kinder. Hier müssen sie unter völlig inakzeptablen Bedingungen leben. Schon im November 2013 stellte Amnesty International in einem Bericht fest, dass die Lebensbedingungen auf der Insel Manus die Menschenrechte der Anwesenden massiv verletzen: Die Unterkünfte seien komplett überfüllt, viele Menschen litten unter physischen oder körperlichen Gesundheitsschäden und oft komme es zu sexuellen Übergriffen, auch gegenüber Minderjährigen, heisst es in dem Bericht. Nebst konstantem Wassermangel müssten die Flüchtlinge für das Essen unter stechender Sonne oder auch im Regen anstehen, und es gebe nicht genug Toiletten und Duschen, sodass die hygienischen Bedingungen katastrophal seien. Im Januar 2015 begannen Hunderte Männer, die zum Teil schon über 18 Monate auf der Insel Manus festsassen, einen Hungerstreik. Einige fügten sich auch selbst Verletzungen zu, indem sie Chemikalien oder Rasierklingen verschluckten. Im Vergleich zu einem früheren Protest im Februar 2014, bei dessen Niederschlagung es zu massiver Gewaltanwendung mit einem toten und 70 verletzten Insassen gekommen war, wurde dieser Hungerstreik mit «einer gewissen, angemessenen Gewalt» beendet, wie der australische Einwanderungsminister Peter Dutton erklärte. Auch auf dem 3000 Kilometer von Australien entfernten Inselstaat Nauru, dem drittkleinsten Land der Welt, sieht es nicht besser aus: «Wir haben Berichte von Vergewaltigung, sexuellen Übergriffen und weiteren physischen sowie psychischen Gewaltformen erhalten», sagt Champa Patel, Amnesty-Expertin für Südostasien. Amnesty International durfte die Lager auf Nauru seit 2012 nicht mehr besuchen, und für ausländische Medien wurde im Oktober letzten Jahres ein Einreiseverbot verhängt. Immerhin gab die naurische Regierung bekannt, dass die BewohnerInnen der Camps sich nun frei bewegen dürften. Ausserdem wolle man die restlichen Asylanträge rasch abarbeiten, doch bislang ist das nicht geschehen. Australien mag es ebenfalls nicht, dass man über die Lebensbedingungen in den Lagern berichtet: Im Juli 2015 wurde das Gesetz «Border Force Act» erlassen, das es den in den Camps Arbeitenden unter Strafandrohung verbietet, Informationen über die Zustände in den Lagern weiterzugeben. Andernfalls drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis.

Chancenlos

Auf Papua-Neuguinea entschied im April 2016 das höchste Gericht, dass diese Durchgangszentren illegal sind – drei Jahre nach deren Einrichtung. Der Inselstaat hatte mit Australien ein Abkommen abgeschlossen, laut dem er 900 Asylsuchende übernimmt. Dieses Übereinkommen muss nun geändert werden. Seither ist es den CampbewohnerInnen erlaubt, das Lager zu verlassen und die nahe Stadt Lorengau zu besuchen. Sie haben nun also zwar einige Bewegungsfreiheiten erhalten, doch stecken sie in einer juristischen Klemme: Sie wissen nicht, wie es weitergeht, wohin sie gehen können. Sie dürfen auch nicht arbeiten. Nur eines ist klar: Nach Australien dürfen sie nicht. Dies obwohl die Hälfte von ihnen bereits als Flüchtlinge anerkannt sind. Eine Heimkehr kommt für sie, die meist vor Krieg, Folter und Diskriminierungen geflohen sind, nicht in Frage. Viele Australierinnen und Australier bleiben aus Angst vor Überfremdung und Terror gegenüber der Asylpolitik ihres Landes still. Aber die Stimme, die sich gegen die Migrationspolitik erhebt, wird doch lauter. Mit der Kampagne #LetThemStay kritisierten empörte Bürgerinnen und Bürger das oberste Gericht, das im Februar dieses Jahres die erneute Abschiebung einer Gruppe von Flüchtlingen für rechtens erklärte: Unter ihnen sind 160 kranke und genesende Erwachsene, die in australischen Spitälern behandelt worden waren, sowie 91 Kinder, die teilweise in Australien geboren sind. 


Aktuelle Entwicklungen


Manus: Kurz vor Erscheinen des Amnesty-Magazins hat am 17. August der Premierminister von Papua-Neuguinea, Peter O'Neill, mitgeteilt, dass er mit dem australischen Immigrationsminister Peter Dutton übereingekommen sei, das Lager für Flüchtlinge auf der Insel Manus zu schliessen. ohne ein Datum für die Schließung zu nennen, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. - derstandard.at/2000042942247/Australien-schliesst-umstrittenes-Fluechtlingslager-auf-Manusohne ein Datum für die Schließung zu nennen, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. - derstandard.at/2000042942247/Australien-schliesst-umstrittenes-Fluechtlingslager-auf-ManusEs wurde aber noch kein Datum für die Schliessung bekanntgegeben.
Mehr dazu auf amnesty.org (in Englisch)

 

Nauru: Im Juli 2016 gelang es ResearcherInnen von Human Rights Watch und Amnesty International sich 'undercover' 12 Tage lang auf Nauru aufzuhalten und mit 84 Flüchtlingen und Asylsuchenden aus Iran, Irak, Pakistan, Somalia, Bangladesh, Kuwait und Afghanistan zu sprechen, darunter 29 Frauen. Sie sprachen auch mit Angestellten der Lager, die bereit waren Auskunft zu geben, obwohl sie Sanktionen befürchten mussten. Die Befragten bestätigten die Vorwürfe über die Lebensbedingungen, die Amnesty und weitere Menschenrechtsorganisationen seit Jahren beanstanden. Ausserdem veröffentlichte der «Guardian» Mitte August Auszüge von mehr als 2100 Berichten des Personals in dem Flüchtlingslager auf Nauru. Dokumentiert sind demnach etliche Fälle von sexuellen Übergriffen, Kindesmissbrauch und Selbstverletzungen. In mehr als der Hälfte der Fälle seien die Opfer Kinder.

Weitere Informationen zur Recherche (in Englisch)

 


 

No Way

«Wenn ihr ohne Visum in unser Land kommt, wird Australien niemals eure Heimat werden: Familien mit Kindern, Kinder ohne Begleitung, auch wenn sie gebildet oder begabt sein sollten – es wird keine Ausnahme geben.» So warnt Armeechef Angus Campell in einem Internetvideo in 17 Sprachen alle Einwanderungswilligen vor der Einreise. Er ist der Leiter der «Operation für sichere Grenzen», die vom Militär geführt wird, seit die Regierung den Schutz der australischen Grenzen vor Bootsflüchtlingen in die Hände des Militärs gelegt und der Geheimhaltung unterstellt hat. Die Abschreckungskampagne hat mehrere Millionen Dollar gekostet, was zu Protesten in der australischen Öffentlichkeit geführt hat.