Illustration: Anne-Marie Pappas
Illustration: Anne-Marie Pappas

MAGAZIN AMNESTY Dossier Schriftsteller/-innen Der neue Nobelpreisträger

Von Guy Krneta

Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Literaturnobelpreisträger, dessen Name wir am Radio eben zum ersten Mal gehört und uns nicht haben merken können, in der Schweiz lebt?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Literaturnobelpreisträger, dessen Name zu den grossen der Literatur aus Afrika gehören soll und dessen Werke in mehrere Sprachen übersetzt wurden, vor vier Jahren in die Schweiz gekommen ist und hier einen Asylantrag gestellt hat?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass aufgrund dieser Tatsache der für Kultur zuständige Bundesrat dem neuen Literaturnobelpreisträger in einem Tweet gratulierte, während eine entsprechende Reaktion aus dem eigentlichen Herkunftsland des Ausgezeichneten ausblieb?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass etliche Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich via Facebook den Glückwünschen des obersten Kulturchefs angeschlossen haben, obwohl auch sie den Namen des Ausgezeichneten bis vor Kurzem nicht gekannt haben?

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Würden wir uns freuen daran erinnert zu werden, dass der letzte und bisher einzige Literaturnobelpreis an einen in der Schweiz Geborenen vor hundert Jahren verliehen wurde?

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Würden wir uns freuen daran erinnert zu werden, dass erst vier Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Afrika den seit 1901 alljährlich verliehenen Preis erhalten haben?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass es auch kritische Stimmen gibt, die das Werk des Ausgezeichneten für überschätzt und die Wahl des Komitees mehr für ein politisches Zeichen denn ein profundes literarisches Urteil halten?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Literaturnobelpreisträger in seiner Heimat gefoltert wurde und darüber einen ausgezeichneten Roman verfasst haben soll, der nächstes Jahr auch auf Deutsch erscheint?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Literaturnobelpreisträger längere Zeit nicht ausfindig gemacht werden konnte, da sein Asylantrag in der Schweiz nach drei Jahren Wartezeit abgelehnt und der Autor aber nicht ausgeschafft wurde, weil mit dem Herkunftsland kein Übernahmeabkommen besteht?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass die für Migration zuständige Bundesrätin in einem Tweet versprochen hat, auf eine Ausschaffung mindestens bis zur Preisverleihung in Stockholm zu verzichten?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass in Online-Foren und Kommentarspalten bereits eine Kontroverse entbrannt ist, ob es in der Schweiz zweierlei Recht gebe, eines für Prominente und eines für Nichtprominente?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Roman des neuen Literaturnobelpreisträgers, der die Entscheidung in Stockholm massgeblich beeinflusst haben soll, in der Schweiz spielt?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Roman des neuen Literaturnobelpreisträgers die Schweiz als fremdenfeindliches Land zeichnet, welches die Grenzen schliesst für Kriegsflüchtlinge und aber gleichzeitig internationalen Firmen Schutz bietet für Steuerbetrug?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Roman des neuen Literaturnobelpreisträgers die fiktive Geschichte eines abgewiesenen Asylbewerbers und einer aus psychischen Gründen arbeitslos gewordenen Schweizerin erzählt, denen von Behördenseite die Heirat verweigert wird?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass die fiktive Geschichte im neuen Roman des neuen Literaturnobelpreisträgers aus autobiografischen Elementen besteht?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass Schweden dem neuen Literaturnobelpreisträger Asyl angeboten und Deutschland nachgezogen hat, sollte er mit seiner Schweizer Partnerin die Schweiz verlassen wollen?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass der neue Literaturnobelpreisträger in seiner Dankesrede in Stockholm die Schweiz mit keinem Wort erwähnt hat?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass dem neuen Literaturnobelpreisträger in Online-Foren und Kommentarspalten Arroganz und Undankbarkeit vorgeworfen und bereits laut darüber nachgedacht wird, ob in Zeiten des Internets und des sich wandelnden Buchmarkts ein Literaturnobelpreis noch zeitgemäss sei?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass Schweizer Behörden angekündigt haben, dem neuen Literaturnobelpreisträger den dreijährigen Aufenthalt in der Schweiz und die damit verbundenen Unkosten von mehreren tausend Franken in Rechnung zu stellen, was angesichts der hohen Nobelpreissumme von gegen einer Million Franken mehr als nur angebracht sei?

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Würden wir uns freuen zu erfahren, dass Personen und Handlung in dieser Geschichte frei erfunden und Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig sind?

Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2017.