«Zuerst ist da nur ein Boot mit Menschen. Manche knien und beten, andere blicken erwartungsvoll in die Ferne.» Fawaed Abdin überlegt lange, dann formt sie am Bug der Ton-Skulptur einen Baum. «Das ist die Hoffnung», sagt die Syrerin, die alleine mit ihren zwei Kindern vor dem Krieg in die Schweiz geflüchtet ist und seither versucht, nicht mehr nur zu überleben, sondern auch ein neues Leben in der Fremde aufzubauen. In einem Atelier im zweiten Stock des Berner Kulturzentrums Progr treffen sich seit April wöchentlich Frauenflüchtlinge, um an Skulpturen zu arbeiten. Sie kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Irak, Aserbaidschan, dem Iran oder der Türkei und haben ganz unterschiedliche Biografien. Manche waren bereits in ihrer Heimat künstlerisch tätig. Für andere ist es eine neue Erfahrung. Was die Frauen verbindet, sind die Fluchterfahrung und die Herausforderungen der Integration in der Schweiz.
Unter Schwestern
«Gerade für Frauen aus muslimischen Ländern ist die Nähe zu Männern in der Öffentlichkeit, wie sie hier üblich ist, ungewohnt. In diesem Raum aber können sie sich frei entfalten. Sie sind gewissermassen unter Schwestern», sagt die angehende Kunsttherapeutin Tanja Gasser. Sie hat zusammen mit ihrer Studienkollegin Beatrice Pulver den Workshop «Starke Frauen» initiiert. «Wir bieten den geflüchteten Frauen einen sicheren Raum, wo sie sich austauschen können und über das Gestalten zu innerer Stärke finden», erklärt Beatrice Pulver. «Im Moment, da die Frauen beginnen, kreativ zu arbeiten, entsteht eine Stille. Dann kommt plötzlich Erlebtes hoch und nimmt Gestalt an. Es findet nicht mehr nur im Kopf statt, sondern wird mit den Händen neu geschaffen.» Sie und ihre Kollegin arbeiten ehrenamtlich. Der Kurs ist für die Teilnehmerinnen gratis.
Kreativ-Asyl
Den Raum zur Verfügung stellt das «Kreativ-Asyl». Unter diesem Namen bietet der Progr seit Sommer letzten Jahres geflüchteten Kunst- und Kulturschaffenden die Möglichkeit, ihre Arbeit weiter auszuüben und sich professionell zu vernetzen. Rund ein Dutzend Maler, Musiker, Schauspielerinnen und Filmemacherinnen haben das Angebot bislang genutzt. Neben den Mietkosten für die Ateliers steht auch etwas Geld für Material und Reisekosten zur Verfügung. Das Budget von rund 60 000 Franken reicht laut der Projektleitung noch rund ein Jahr. Dann muss eine Anschlussfinanzierung gefunden werden. «Kreativ-Asyl» ist als eines von zwei Siegerprojekten aus dem Ideenwettbewerb für den Kunstpreis der Burgergemeinde Bern hervorgegangen, der im Jahr 2012 an den Progr verliehen worden war.