19 Jahre ist es her, dass Amnesty International die türkische Regierung aufforderte, den damaligen Bürgermeister von Istanbul freizulassen. «Er war festgenommen worden, weil er bei einer Demonstration ein Gedicht vorgelesen hatte», sagt Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty. «Amnesty betrachtete ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen und startete eine internationale Kampagne für ihn. Sein Name war Recep Tayyip Erdoğan.»
Heute sitzt ErdoGan nicht mehr im Gefängnis, sondern im Präsidentenpalast. Und Amnesty appelliert nicht mehr für, sondern an ihn.
Heute sitzt Erdoğan nicht mehr im Gefängnis, sondern im türkischen Präsidentenpalast. Und Amnesty appelliert nicht mehr für, sondern an ihn: Hunderte Aktivistinnen, Anwälte und Journalistinnen wurden in den vergangenen Monaten festgenommen – nun traf es auch Amnesty International. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschenrechtsorganisation sitzen sowohl der Vorstandsvorsitzende als auch die Generalsekretärin eines Landes in Haft.
Zunächst traf es Taner Kılıç: Am 6. Juni wurde der türkische Anwalt und Vorstandsvorsitzende der türkischen Amnesty-Sektion festgenommen. Die Behörden werfen ihm vor, Mitglied der Gülen-Bewegung zu sein, die von den türkischen Behörden als terroristische Organisation eingestuft wird. Als «Beweis» dient lediglich der Vorwurf, dass Kılıç die unter Gülen-AnhängerInnen angeblich verbreitete Messenger-App Bylock verwendet haben soll. Kılıç bestreitet, jemals von der App gehört zu haben, und weist unabhängig davon jegliche Verbindung zur Gülen-Bewegung von sich.
Einen Monat nach Taner Kılıçs Festnahme folgte der nächste Schlag: Die Generalsekretärin der türkischen Amnesty-Sektion, İdil Eser, wurde ebenfalls inhaftiert. Auch ihre Verhaftung wurde – wie die vieler weiterer JournalistInnen und RegierungskritikerInnen – mit dem Vorwurf begründet, dass sie eine «terroristische Organisation » unterstütze. Sicherheitskräfte nahmen İdil Eser am 5. Juli auf der Insel Büyükada nahe Istanbul fest, wo sie einen Workshop zur digitalen Sicherheit besuchte. Mit ihr wurden acht weitere türkische MenschenrechtsverteidigerInnen sowie zwei ausländische Referenten festgenommen. Die Behörden hielten den Aufenthaltsort der Gefangenen zunächst geheim und erlaubten ihnen erst nach 28 Stunden, Kontakt zu Familien und Rechtsbeiständen aufzunehmen. «Ich habe vor einem Jahr angefangen, für Amnesty International als Generalsekretärin zu arbeiten», schreibt İdil Eser in einem kurzen Statement, das ihr Anwalt nach ihrer Inhaftierung veröffentlichte. «Ich hatte mich für diesen Job entschieden, weil ich aus der Geschichte weiss, was mit Ländern passiert, in denen die Menschenrechte nicht respektiert werden, und weil ich daran glaube, dass Menschenrechtsarbeit wichtig ist. Um ehrlich zu sein, ich kämpfte dagegen, dass irgendjemand solche juristischen Absurditäten durchlaufen muss, wie ich sie gerade erlebe.»
Dennoch bleibt sie optimistisch: «Ich glaube daran, dass die Wolken, welche die Wahrheit verdecken, sich lüften werden. Gerechtigkeit wird herrschen und ich werde meine Arbeit genau dort wieder aufnehmen können, wo ich aufgehört habe.