Es gibt nicht vieles, das dem alten Tarok Angst macht. Er kennt das Meer. Er weiss, wo die Wellen brechen, wie die Haie jagen und wann die Stürme kommen. Tag für Tag, Jahr für Jahr, ein ganzes Leben hat er mit dem Ozean verbracht, und er hat ihn zu verstehen gelernt. Doch jetzt, nach all den Jahren auf dem Wasser, sitzt er auf seinem kleinen Auslegerkanu und blickt ratlos in die Fluten. Dort unten, am Grunde des Pazifiks, geht etwas Seltsames vor sich. Der alte Mann versteht sein Meer nicht mehr. Und er fürchtet sich um dessen Zukunft.
Goldrausch am Meeresgrund
Vor der Küste Papua-Neuguineas befindet sich ein Experiment in Vorbereitung. Weltweit erstmalig soll dort Tiefseebergbau betrieben, Tausende Meter unter der Meeresoberfläche nach Rohstoffen gegraben werden. Denn wo Eliuda Tarok, denn alle nur Tarok nennen, seine Netze auswirft, gibt es mehr als nur Fische. Gold, Silber, Kupfer, Zink – der Boden des Pazifiks gleicht einer riesigen Schatzgrube, gefüllt mit mehr als 300 Millionen Tonnen Metall. In Zeiten, in denen die Nachfrage nach Rohstoffen immer grösser und deren Abbau an Land immer aufwendiger und teurer wird, wittert die Industrie in den Tiefen des Ozeans ein ausserordentliches Geschäft. Es ist in greifbare Nähe gerückt, denn die technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahre haben aus der ehemaligen Utopie ein scheinbar rentables Geschäftsmodell gemacht.
Ob es sich wirklich rechnet – und wenn ja, um welchen Preis –, das weiss derzeit aber noch niemand. Weder ist die technische Machbarkeit bewiesen, noch herrscht gesichertes Wissen über die ökologischen und sozialen Auswirkungen, die das Abenteuer am Meeresgrund mit sich zu bringen droht. Trotzdem soll es gewagt werden – in der Bismarcksee, zwischen den papua-neuguineischen Inseln Neuirland und Neubritannien, nur 30 Kilometer von Taroks Heimatdorf entfernt. Während andernorts noch über Umweltverträglichkeit und gesetzliche Rahmenbedingungen des «Seabed Minings» diskutiert wird, werden hier bald die ersten Maschinen in Stellung gebracht.
Profitabel und hochriskant
Tarok hat Bilder von ihnen gesehen, und er runzelt noch heute die Stirn darüber. «Sie sehen aus wie weisse Kraken», sagt er, und es liegt Sorge in seiner Stimme. Denn die «Kraken» sind gross – bis zu 16 Meter lang, 8 Meter hoch und 250 Tonnen schwer –, und niemand hat ihm oder den anderen BewohnerInnen seines Dorfes bisher erklären können, was genau sie am Meeresboden tun werden. Sie könnten viel Staub aufwirbeln, befürchten Forscher und Aktivistinnen, und das Leben sowohl unter als auch über der Wasseroberfläche massiv beeinträchtigen. Gesteuert werden sie von Nautilus Minerals, einer in Kanada notierten Aktiengesellschaft mit Mehrheitseignern aus Russland und dem Oman. Vor einigen Jahren hat das Unternehmen hier in 1600 Meter Tiefe enorme Sulfidschichten entdeckt, jetzt will es sich mit seinen drei Unterwasserrobotern an deren Bergung machen. 2,3 Millionen Tonnen Erze sollen die Maschinen im Rahmen des Pilotprojekts Solwara 1 zu Tage fördern, und der Welt damit zugleich die Machbarkeit des Tiefseebergbaus demonstrieren. Es ist eine profitable, aber hochriskante Beweisführung – und sie findet in Tiefen statt, die weder wissenschaftlich noch juristisch ausgeleuchtet sind.
In Papua-Neuguinea gibt es kein Gesetz für den neuartigen Bergbau, ihre 13 Erkundungslizenzen an Nautilus hat die Regierung auf Basis der bestehenden Bergbaugesetze an Land vergeben. Die Kriterien für die Umweltverträglichkeitsprüfung, an die die Ausstellung einer Abbaugenehmigung geknüpft ist, entwickelte das Unternehmen wegen der Absenz eines bestehenden Regelwerks gar selbst mit. Dass die Prüfung 2009 bestanden und Solwara 1 für 20 Jahre genehmigt wurde, überrascht nicht – umso weniger, als der Staat selbst mit 15 Prozent an der Unternehmung beteiligt ist. Das Versuchsfeld der neuen Industrie befindet sich nicht nur in einer der sensibelsten Meeresregionen, sondern auch in einem der ärmsten und korruptesten Ländern der Erde. Ist das ein Zufall? Tarok schüttelt den Kopf. Es ist fast dunkel, als er sein Boot aus dem Wasser und in den Sand von Neuirland zieht, aber den Ärger in seinem Gesicht kann man noch erkennen. «Wieso probieren die weissen Männer ihre Geräte nicht bei sich zuhause aus? Sie haben doch selbst ein Meer.» Der alte Mann lacht grimmig, er kennt die Antwort wohl allzu gut. Es ist nicht das erste Mal, dass in Papua-Neuguinea Geschäfte auf dem Rücken der indigenen Bevölkerung abgewickelt werden.
Unsichtbarer Landraub
Einzigartige Ökosysteme drohen zerstört, Ernährungsketten kontaminiert, Wasser und Strände verschmutzt zu werden.
Während in den Finanzabteilungen internationaler Minenkonzerne bereits Gewinnprojektionen an die Wand gebeamt werden, sorgt man sich in Neuirland um die Kosten: Einzigartige Ökosysteme drohen zerstört, Ernährungsketten kontaminiert, Wasser und Strände verschmutzt zu werden. Für eine Gesellschaft, die traditionell vom Fischfang lebt, wären diese Auswirkungen existenzbedrohend. In den betroffenen Gemeinden mehrt sich deshalb die Furcht vor den wirtschaftlichen, gesundheitlichen und sozialen Folgen des Vorhabens, und zunehmend formiert sich der Widerstand dagegen. Die Gegner und Gegnerinnen wehren sich mit Demonstrationen und gerichtlichen Eingaben, und ihren Protest haben sie längst von den Küstenstreifen in das ganze Land getragen. So wie Tarok fragen sich immer mehr Menschen, warum der Tiefseebergbau ausgerechnet in ihren Gewässern stattfinden muss – und wieso sie nicht dazu gefragt wurden. Nach der papua-neuguineischen Verfassung stehen der Bevölkerung absolute Nutzungsrechte auf Land, Flüsse, Seen und Meeresgebiet zu, und diese Rechte gelten auch für die Böden dieser Naturflächen. «Was hier vor sich geht, ist ein unsichtbarer Landraub», sagt Natalie Lowrey von der Deep Sea Mining Campaign. Die australische Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin sieht durch Solwara 1 die UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker verletzt und das Prinzip einer freien, vorab durchgeführten und auf Information basierenden Zustimmung ignoriert. «Weder Nautilus noch die Regierung haben diese Zustimmung jemals eingeholt. Sie haben die Bevölkerung konsultiert, aber sie haben sie niemals um ihr Einverständnis gefragt.»
In Taroks Hütte würden sie es mit Sicherheit nicht erhalten. Zu später Stunde sitzen dort die Männer des Dorfes um ein Feuer, die Luft ist erfüllt von Rauch und Zorn. «Wir wollen Solwara 1 nicht», sagt ein junger Mann mit Betelnuss im Mund. «Und Solwara 6 und 8 und 12 auch nicht.» Insgesamt 500 000 Quadratkilometer Ozean deckt Nautilus mit seinen Erkundungslizenzen ab – das entspricht der Fläche aller südpazifischen Staaten gemeinsam –, und die Pläne für die weitere Ausbeutung harren längst in den Schubladen. Sollte der Test in der Bismarcksee gelingen, wäre der Industrialisierung des Meeresbodens der Weg geebnet. «Solwara lässt sich nicht zerstückeln», schimpft der junge Mann und spuckt seine Nuss ins Feuer. Tarok sagt nichts mehr. Er hat seinen schlafenden Urenkel auf seinem Schoss und blickt aus dem Fenster. Als «Solwara», das «salzige Wasser», wird in Papua-Neuguinea das Meer bezeichnet. Tarok kann es in der Dunkelheit nicht mehr sehen, aber er kann es hören. Er kennt das Geräusch. Hier wird es noch ein Unwetter geben.