Auf den ersten Blick haben Folter und Geschichtsschreibung nichts gemein. Auf den zweiten Blick sieht es anders aus: «Beim Verhör geht es zuerst um den Geist, erst dann um den Körper», sagt ein CIA-Mann in Viet Thanh Nguyens Roman «Der Sympathisant», als er Verhörtechniken des US-Geheimdienstes an südvietnamesische Verbündete vermittelt. Da ist Saigon, die Hauptstadt des Südens, noch nicht an den Vietcong gefallen. Nur wenige Jahre später ist es so weit, US-Militärs und -Diplomaten müssen Saigon Ende April 1975 unter starkem Beschuss verlassen. Mit ihnen dürfen auch einige US-treue SüdvietnamesInnen in die USA reisen.
Der Roman sprüht vor Lust am Spott. Und er lehrt: Gerechtigkeit kann die seltsamsten Formen annehmen.
Viet Thanh Nguyen widmet sich diesen Auswanderern, indem er einen namenlosen Erzähler in ihrem amerikanischen Exil platziert, der ausgerechnet für das Drehen des Vietnam-Spielfilms «Apocalypse Now» als Authentizitätsberater angeheuert wird. Es ist zwar eine klare Niederlage, die die USA in Vietnam erfahren, doch den folgenden Kampf um die Deutung der Ereignisse – also um den Geist – gewinnen die USA. Egal in welchen Medien, ob in Büchern oder Filmen: Im Zentrum der Aufarbeitung stehen die USA, während sich die VietnamesInnen mit Statistenrollen abfinden müssen.
Ein Mann mit zwei Gesichtern
Ein Produkt dieses Geistes ist Francis Ford Coppolas «Apocalypse Now» aus dem Jahr 1979. Und nun soll also der Protagonist dieses Romans dem mächtigen US-Geist im Kino einen winzigen Hauch des realen Vietnams geben. An diesen Stellen sprüht «Der Sympathisant» nur so vor Lust am Spott.
Nguyens Protagonist ist ein Spion des kommunistischen Vietnams, der die in Kalifornien lebenden ExilvietnamesInnen beobachten soll. «Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern», lautet der erste Satz des Romans. Ein Spionageroman ist «Der Sympathisant» aber nur am Rande, vielmehr besteht das Buch aus feinfühliger Prosa, die den «zwei Gesichtern» nachspürt, die das Verhältnis von US-AmerikanerInnen und VietnamesInnen prägen. Nicht nur der «Geist» des Krieges wird erkundet, sondern auch seine biografischen Folgen. Hohe südvietnamesische Armeeangehörige erfahren in Los Angeles Demütigungen «durch das, was hier im Exil aus ihnen geworden war. Als Küchenhilfe, Kellner, Gärtner, Feldarbeiter, Fischer, Hilfsarbeiter, Wachmann oder einfach als Arbeitslose oder Unterbeschäftigte verschmolzen diese schäbigen Exemplare von Lumpenproletariern mit dem Hintergrund, vor dem sie gerade standen.»
Viet Thanh Nguyen arbeitet sich filigran durch die vielen Schichten materieller und kultureller Migrationsmissverständnisse. Seine sprachliche Präzision und sein teils offener, teils versteckter Humor beeindrucken. Als der Protagonist schliesslich nach Vietnam zurückkehrt und sein Handeln dort vor einem Politkommissar rechtfertigen muss, antwortet dieser: «Wir haben jetzt die Macht, und wir brauchen jetzt keine Franzosen oder Amerikaner mehr, die uns verarschen. Wir verarschen uns jetzt ganz wunderbar selbst.» Wir lernen: Gerechtigkeit kann auch seltsame Formen annehmen.