Der syrische Jurist Mazen Darwish © Monika Skolimowska/dpa
Der syrische Jurist Mazen Darwish © Monika Skolimowska/dpa

MAGAZIN AMNESTY Jetzt erst Recht «Es geht nicht um Rache»

Interview von Markus Bickel. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Dezember 2017.
Der Anwalt Mazen Darwish war selbst Opfer des Assad-Regimes. Nun kämpft er dafür, dass syrische Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden.

AMNESTY: Sie leben inzwischen in Deutschland und haben dort syrische Geheimdienstoffiziere angezeigt. Glauben Sie wirklich, dass Sie damit Erfolg haben werden?
Mazen Darwish: Wir haben von Anfang an davor gewarnt, die Erwartungen zu hoch zu hängen – nicht zuletzt, um Enttäuschung auf Seiten der Opfer zu vermeiden. Der Gang vor ein deutsches Gericht allein bedeutet keine Gerechtigkeit, und er wird auch nicht unbedingt dafür sorgen, dass die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen vor Gericht landen. Dennoch sendet die Anklage eine klare Botschaft: Straflosigkeit wird nicht hingenommen.

Russland und China verhindern durch ihr Veto im Uno-Sicherheitsrat, dass sich der Internationale Strafgerichtshof mit den in Syrien begangenen Verbrechen befasst.
Politiker entscheiden immer nach ihren Interessen, das wird sich nicht ändern. Worum es mir geht, ist ein nachhaltiger Frieden in Syrien. Deshalb sind Gerichtsprozesse auch kein Instrument der Rache, sondern unabdingbar, um nach dem Krieg ein gerechteres System aufzubauen. Wir müssen wissen, was passiert ist – und wer dafür verantwortlich ist. Und wir können die syrischen Flüchtlinge in Europa und anderswo nicht auffordern, in ein Land ohne Übergangsjustiz zurückzukehren. Eine politische Lösung, die die Kriegstreiber aller Seiten belohnt und die Interessen der Opfer ignoriert, kommt deshalb nicht in Frage.

Die Uno-Ermittlerin Carla Del Ponte ist im Sommer frustriert zurückgetreten. Nun haben die Vereinten Nationen eine neue Behörde namens International Impartial and Independant Mechanism geschaffen, die Kriegsverbrechen nachgehen soll. Reicht das?
Das Gute an der neuen Behörde ist, dass sie an die Uno-Vollversammlung angedockt ist, nicht an den Sicherheitsrat. Das schafft politische Alternativen, die es vielleicht in ein, zwei Jahren ermöglichen, dass die Vereinten Nationen einen neuen Weg einschlagen. So könnte es gelingen, ein Uno-Sondertribunal für Syrien zu schaffen.

Das Sondertribunal für den Libanon in Den Haag hat zehn Jahre nach seiner Gründung noch keinen einzigen Verantwortlichen für die Ermordung des einstigen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri zur Rechenschaft gezogen.
Das stimmt. Aber das Tribunal arbeitet noch, und sollten sich die politischen Verhältnisse eines Tages ändern, lägen alle Dokumente auf dem Tisch, um einen Prozess zu führen. Und dass erstmals überhaupt die Namen der mutmasslichen Mörder Hariris von einem Uno-Gericht genannt werden, ist bereits ein Erfolg.

Wird Baschar al-Assad jemals zur Rechenschaft gezogen werden?
Eines Tages, ja. Aber noch wichtiger ist es, zu verhindern, dass das von ihm und seinem Vater geschaffene System weiterbestehen kann. Auch dafür sind Gerichtsverfahren dienlich: Sie können zeigen, dass das Regime auf Folter, Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen basiert.