Mit Grenzüberschreitungen kennt sich die britische Elektro-Musikerin M.I.A. aus. «Grenzen? Was ist damit?», fragt sie im Song «Borders», der ihr jüngstes Album AIM eröffnet. Provokant hinterfragt sie darin das westliche Privileg, sich über die Marke des eigenen Smartphones zu definieren, während andere ihr Leben riskieren müssen, um an unserem Wohlstand teilhaben zu können. Der Song lässt sich als Frage nach den viel beschworenen Werten des Westens lesen. Konkret: Wie viel Wert besitzt das Leben eines Menschen, der an die Tür unserer Wohlstandsgesellschaft klopft?
In dem dazugehörigen Video, das lange vorab veröffentlicht wurde, liess sie eine Armee namenloser junger Männer
aufmarschieren, die sich am Strand zu Menschenpyramiden auftürmten und an Gitterzäunen hochkletterten. Die Szenen erinnern nicht zufällig an die Grenzbefestigung von Ceuta und Melilla sowie an die surrealen Bilder von Salvador Dalí. Später sieht man die Sängerin in einer überfüllten Barke auf hoher See, von einer schweigenden Menge junger Männer umringt. Am Ende sind alle in golden glänzende Notfalldecken gehüllt, wie sie den Ankömmlingen in Lesbos und Lampedusa übergeworfen werden.
Das Thema Flucht zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Album AIM. Die 42-jährige Maya Arulpragasam, Künstlername M.I.A., ist für plakative politische Statements bekannt und für ihre knallige Fusion aus Elektro-Beats mit Ethno-Einschlag. Als Kind von Flüchtlingen, in London geboren, liegt ihr das Thema nahe. Ihr Vater war in einer militanten tamilischen Gruppe aktiv, und sie selbst kehrte mit neun Jahren mit ihrer Mutter aus Sri Lanka nach London zurück, um der Gewalt auf der Insel zu entfliehen. Mit ihrer Familie kam sie in einem Flüchtlingsheim unter, bevor sie nach ihrem Schulabschluss am Londoner Saint Martins College of Art erst Kunst und Film studierte und anschliessend als M.I.A. Weltkarriere machte.
Kalkulierter Eklat
Für ihr fünftes Album AIM hat sie sich mit ihrem Ex-Partner Diplo sowie dem Produzenten Blaqstarr zusammengetan, das Ergebnis ist quirlig und ästhetisch überwältigend. Mehr als früher schimmert ein indisch anmutender Bollywood-Sound durch die Beat-Girlanden. Die Stücke sind gewohnt kämpferisch, neben dem Thema Flucht behandeln sie die Grenzkontrollen zwischen den USA und Mexiko («Visa») oder die Dauerüberwachung durch Drohnen und GPS-Daten («Fly Pirate»). Ein Verweis auf das Video zu «Borders»: Dort trug M.I.A. ein Trikot des Fussballclubs Paris Saint-Germain, dessen Sponsoren-Slogan «Fly Emirates» sie zu «Fly Pirates» abgeändert hatte. Ein kalkulierter Eklat: Die Anwälte des Clubs reagierten prompt mit einer Abmahnung, die ihr nur zusätzliche Publicity bescherte.