Der mächtigste Twitter-Troll der Welt: US-Präsident Donald Trump. © Josh Haner/The New York Times/Reduxf/laif
Der mächtigste Twitter-Troll der Welt: US-Präsident Donald Trump. © Josh Haner/The New York Times/Reduxf/laif

MAGAZIN AMNESTY Populismus «Trump ist Profiteur der neuen Medienwelt»

Interview: Ramin Nowzad. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2018.
Facebook, Fake News und Filterblasen: Seit Trumps Wahlsieg diskutieren wir über die unheimliche Macht des Internets. Bedrohen die neuen Medien unsere Demokratie? Und was lässt sich gegen Hetze und Desinformation im Netz tun? Fragen an den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen.
AMNESTY: Donald Trump sitzt im Weissen Haus. Ist daran eigentlich das Internet schuld?

Bernhard Pörksen: Das Internet war im US-Wahlkampf ein entscheidender Faktor, ohne Frage. Viele der online kursierenden Fake News – man denke nur an Pizzagate und die Behauptung, Hillary Clinton sei Mitglied in einem Pädophilenring – wurden offensichtlich geglaubt. Das Team um den heutigen Präsidenten hat zudem sehr intensives Targeting betrieben, das heisst: Man hat mit Hilfe von Facebook spezielle Zielgruppen definiert und dann ganz gezielt agitiert. Und Trump hat darüber hinaus über Twitter und andere soziale Medien eine Art Direktkanal zu seinen Anhängern aufgebaut, ein eigenes Selbstbestätigungsmilieu kreiert. Aber es wäre falsch, nur das Netz schuldig zu sprechen.

Haben auch traditionellen US-Medien Trumps politischen Aufstieg befeuert?

Donald Trump ist der Profiteur einer veränderten Medienwelt. Es gab ein fatales Zusammenspiel: Das grassierende Misstrauen gegenüber den klassischen Medien, das Spektakelinteresse des Fernsehens – wenn Trump auf Sendung ging, stiegen die Einschaltquoten um bis 160 Prozent –, die Möglichkeit, barrierefrei Propaganda zu verbreiten, die Neigung der journalistischen Elite, den Mann zuerst überhaupt nicht ernst zu nehmen, also seine Betrügereien zunächst allenfalls nachlässig zu recherchieren, all das hat ihm, so muss man sagen, genützt.

Auch Wladimir Putin soll Trump unter die Arme gegriffen haben. Hat der russische Geheimdienst versucht, die öffentliche Meinung in den USA zu manipulieren?

So viel wissen wir: Es gab Versuche von russischer Seite, die öffentliche Meinung mit Propagandapostings auf Twitter und anderen sozialen Netzwerken zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen; das ist Fakt. Aber wir wissen vieles noch nicht genau genug. Man denke nur an die geleakten E-Mails der Clinton-Mitarbeiter, die Wikileaks in einem entscheidenden Wahlkampfmoment bekannt gemacht hat. Ich hoffe hier auf weitere Aufklärung, die sich um die Frage dreht: Wie ist es gelungen, einen Netzaktivisten wie Julian Assange in eine Art Wahlkampfhelfer für Trump zu verwandeln?

Geht von solchen Desinformationskampagnen eine Gefahr für unsere Demokratien aus?

Unbedingt. Dies schon allein deshalb, weil Demokratien, aller konkreten Kritik zum Trotz, vom grundsätzlichen Vertrauen in ihre Informationsmedien leben. Desinformation verunsichert. Und sie erzeugt eine Stimmung der gefühlten Manipulation. Man weiss irgendwann nicht mehr, was stimmt. Das ist ein elementarer, zutiefst schädlicher Effekt des verdeckten Informationskrieges.

Früher gab es Wahrheitsautoritäten, die im Zweifelsfall darüber entschieden, was der Fall ist: Journalisten, Wissenschaftlerinnen, Richter. Schwindet im digitalen Zeitalter der Glaube an solche Autoritäten?

So scharf würde ich es nicht formulieren, aber man kann zeigen: Autorität ist heute umstrittener und angreifbarer denn je. Und es können sich eben auch diejenigen verbünden und vernetzen, die klassische Autoritären ablehnen. Das ist prinzipiell eine gute Nachricht, aber sie setzt konkret ein Höchstmass an Mündigkeit und Verantwortungsbewusstsein voraus.

Deutschland geht nun per Gesetz gegen den Hass auf Facebook vor, in Frankreich will Präsident Macron Fake News verbieten. Nennt man sowas nicht Zensur?

Die aktuelle Gesetzgebung in Deutschland zielt im Kern nicht gegen Fake News, das wäre schrecklich, falsch und einer Demokratie unwürdig: eine Art Wahrheitsinstanz in Gestalt der Regierung, die festlegt, was man glauben darf und was nicht. Es geht eher um die Frage, wie man strafbare Inhalte löscht, die Plattformbetreiber aus ihrer Haltung der Gleichgültigkeit und der organisierten Unverantwortlichkeit heraus zwingt. Ich bin kein grosser Freund des jetzigen Gesetzesentwurfs – und doch: Strafbare Hasskommunikation muss verschwinden. Das ist keineswegs Zensur.

Jeder darf mitreden, alle können sich vernetzen – die grosse Verheissung des digitalen Zeitalters scheint nun als Schreckensvision wiederzukehren. Begünstigt das Internet die ideologische Radikalisierung unserer Gesellschaften?

Es begünstigt eine Gefühlslage der grossen Gereiztheit, weil sich alle zuschalten können, Konflikte nicht mehr eingrenzbar sind, immer wieder angeheizt werden können. Wir sehen alles sofort: das Banale, das Bestialische, die rührende Geschichte und die relevante Information.

Was wir auf Facebook und Google konkret zu sehen bekommen, entscheiden unsichtbare Algorithmen. Welche Macht haben die Konzerne damit auf unsere Weltwahrnehmung?

Algorithmen sind so etwas wie die Geheimrezepte der Wirklichkeitskonstruktion im digitalen Zeitalter. Das Problem ist, dass wir schlicht nicht genau wissen, wer uns auf welche Weise die Realität zurechtschneidet. Hier braucht es mehr Transparenz – auf dem Weg zu einer grösseren Filtersouveränität des Einzelnen. Man müsste, schon durch Voreinstellungen und in Kenntnis der Wahlmöglichkeiten, mitentscheiden können, was einem gezeigt werden soll. Primär klassische Nachrichten? Die Postings von Freunden? Das Video, das gerade aktuell viral geht?

In Ihrem neuen Buch «Die grosse Gereiztheit» beschreiben Sie unsere Gegenwart als eine medienhistorische Krisenzeit. Wie kommen wir da heraus?

Meine im Letzten optimistische Antwort lautet: durch Bildung. Wir brauchen eine Erziehung zur Medienmündigkeit.

Aber Bildung braucht Zeit. Die digitalen Innovationen verändern unsere Welt nicht nur immer radikaler, sondern auch immer schneller. Wie sollen Schulen mit dem Innovationsstakkato Schritt halten können?

Gar nicht, weil der verzweifelte Versuch, dem Innovationstempo gerecht zu werden, den Charakter von Erziehung zum Negativen verändern würde. Schulen müssen ein geschützter Raum bleiben, ein Labor mit der richtigen Mischung aus Realitätsnähe und Realitätsdistanz. Medienerziehung ist so verstanden immer auch Werteerziehung. Was mir vorschwebt, ist die Utopie einer redaktionellen Gesellschaft: Weil jeder zum Sender geworden ist, sollte jeder heute auch als sein eigener Redaktor handeln, Quellen einschätzen lernen. Es geht darum, dass die Grundfragen des guten Journalismus – was ist glaubwürdige, relevante, veröffentlichungsreife Information? – zu einem Element der Allgemeinbildung werden. Sie gehen heute alle an.