Manche Frauen müssen vor ihren Ehemännern flüchten, sie leben im Verborgenen. © Klaus Petrus
Manche Frauen müssen vor ihren Ehemännern flüchten, sie leben im Verborgenen. © Klaus Petrus

MAGAZIN AMNESTY Albanien Gewalt ist uncool

Von Andrea Jeska (Text) und Klaus Petrus (Bilder). Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom März 2018.
Sie sollen aufhören, ihre Frauen zu schlagen und zu Männern werden, die das nicht nötig haben. Mit Hilfe eines Präventionsprojekts lernen Täter in Albanien, auf Gewalt und Drogen zu verzichten und Frauen zu achten.

Wie geht das? Wie kann man als Mann die Männerbilder in einer traditionellen Gesellschaft verändern? Wenn man selber nicht recht weiss, wie er denn sein sollte, der moderne Mann. Ein Mann, der nicht zuschlägt, wenn es schwierig wird? Der eine gleichberechtigte Beziehung führen kann, der auch abwäscht und das Kind wickelt? Der sich dabei nicht als Schwächling fühlt, sondern dennoch als Mann?

«Ich war den Männern, die ich therapieren soll, oft sehr ähnlich.»
Endrit Uligaj, Sozialarbeiter

«Tja, wie geht das?», fragt Endrit Uligaj seufzend. «Nur wenn man bei sich selber anfängt.» Bei der eigenen Wahrnehmung von Männlichkeit und dem Verhalten Frauen gegenüber. Er habe viel über sich lernen müssen, sagt Uligaj. «Ich war den Männern, die ich therapieren soll, oft sehr ähnlich.»

Ein wenig verlegen ob dieser Antwort streicht Uligaj mit den Händen über den langen Konferenztisch im Büro seiner Organisation, die eigentlich eine Frauenorganisation ist. Der 39-jährige Sozialarbeiter hat eine Spezialausbildung in psychologischer Betreuung und beschäftigt sich nun mit gewalttätigen Männern. Das Ziel des 2014 begründeten Präventionsprogramms besteht darin, den Männern das Schlagen abzugewöhnen. Und die Jugend so zu bilden, dass sie gar nicht erst damit anfängt.

Gesetz bewirkt wenig

Seit der Gründung dieses Gewaltpräventionsprogramms haben gerade einmal 36 Männer den Weg in Uligajs Büro gefunden. In Albanien, wo Gewalt gegen Frauen oft nicht als Gewalt gilt, ist das schon viel. Es gibt zwar ein Gesetz gegen häusliche Gewalt, aber wenige Männer landen deshalb tatsächlich vor Gericht oder im Gefängnis.

Gerne hätten wir aus dem Mund dieser Männer gehört, ob sich ihr Verhältnis zu Gewalt durch die Gespräche änderte. Ob sie bedauern, sich gar schämen? Doch Uligaj ist überzeugt, dass nicht einer mit der Presse sprechen würde. «Vor Fremden würden sie niemals über ihre Gefühle sprechen!» Sie alle seien nämlich verurteilte Gewalttäter, denen es zur Bewährungsauflage gemacht wurde, die Gewaltspirale mit Hilfe eines Anti-Aggressions- Programms zu durchbrechen.

Uligaj Endrit Uligaj (links) in seinem Büro in Shkodra: «Man muss bei sich selber anfangen. Mit der eigenen Wahrnehmung von Männlichkeit. Und dem Verhalten Frauen gegenüber.»

Uligajs Büro liegt in einer kleinen Strasse in der Stadt Shkodra in Nordalbanien, in der die Zahl der Gewaltdelikte gegen Frauen besonders hoch sei. Shkodra, bis 1920 Albaniens Hauptstadt, ist ein beschauliches Städtchen mit einer jungen Bevölkerung, einer Universität, vielen Cafés, Restaurants und Bars. Es fällt schwer, in den flanierenden Studentinnen mit ihren kurzen Röcken und hohen Absätzen Töchter zu sehen, die schon bald mit einem Fremden verheiratet werden und fortan dessen Familie dienen sollen. Doch auf den zweiten Blick sieht man, dass in den meisten Cafés nur Männer sitzen und die jungen Frauen von Männern begleitet werden, die wohl nicht ihre Freunde, sondern eher ihre Brüder sind.

Eine Stunde Fahrt entfernt von Shkodra beginnen die albanischen Alpen: Eine Bergregion, von der man behauptet, dass dort keine staatlichen Gesetze gelten würden, sondern der Kanun, ein uraltes Regelwerk, aus dem auch die Blutrache hervorgegangen ist. 10'000 der 96'000 Bewohnerinnen und Bewohner von Shkodra sind Zugewanderte aus diesen armen Bergdörfern. Sie brachten den Kanun und ihre Sitten in die Stadt und damit die Regel, dass Männer alle Rechte und Frauen so gut wie keine haben.

Viele Gewalttaten sind in Albanien der Armut, der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung geschuldet.

Viele Gewalttaten sind in Albanien der Armut, der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung geschuldet. Wie die anderen Balkanländer ist auch Albanien jung, das Durchschnittsalter liegt bei 33 Jahren. Für die wenigsten gibt es Arbeit ausserhalb der Landwirtschaft. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist seit dem Ende der Diktatur im Jahr 1990 ins Ausland migriert. Oder vom Land in die Städte, wodurch dort der soziale und wirtschaftliche Druck wächst.

Gewalt ist nicht männlich

«Bëhu burrë»: «Sei ein Mann!» steht an einer Wand von Uligajs Büro. Es ist das Motto einer gross angelegten Bildungsinitiative in den Balkanländern, die das gängige Männerbild infrage stellt. Nicht allein, um Frauen und Kinder vor der Gewalt ihrer Väter, Brüder und Ehemänner zu schützen, sondern auch, um die männliche Jugend dieser Länder vor einem Abrutschen in Kriminalität, mafiöse Kreise oder Drogenabhängigkeit zu bewahren. Die Botschaft: Gewalt und Drogen sind nicht cool oder männlich. Ändere dich. Ändere die Spielregeln. Ändere die Gesellschaft.

Teil dieser Initiativen sind Workshops in Schulen und Universitäten, in denen Männerbilder untersucht und aufgebrochen werden, Anti-Gewalt-Kurse, Ausstellungen, Fotowettbewerbe, Strassenfeste. In Theaterstücken und Filmen wird vermittelt, dass ein guter Mann kein Macho ist, sondern sich für die Rechte von Mädchen einsetzt und Bildung besser findet als Boxen. In Kosovo ist die Initiative bislang am erfolgreichsten, dort geht es inzwischen auch um die Rechte von Homosexuellen und gleichgeschlechtliche Beziehungen.

«Wir kämpfen gegen zwei Dinge: Traditionen und Perspektivlosigkeit.» Endrit Uligaj

«Davon sind wir weit entfernt», sagt Uligaj. In Albanien gehe es zunächst mal um die Grundlagen: Die Betrachtung einer Frau als Eigentum ihres Mannes, zum Beispiel. «Wir kämpfen gegen zwei Dinge: Traditionen und Perspektivlosigkeit.»

Wie viele Männer ihre Frauen schlagen, darüber hat auch Uligajs Team keine verlässlichen Zahlen. In den vergangenen Jahren gab es aber einen Anstieg der gemeldeten Gewalttaten. Deshalb nimmt Uligaj an, dass die Aufklärungsarbeit über häusliche Gewalt inzwischen Erfolg habe. «Früher haben die Frauen erduldet und nie darüber gesprochen. Das war ein Tabu. Jetzt zeigen mehr und mehr Frauen ihre Männer an.»

Weil die Männer nicht freiwillig zu Uligaj kommen, ist es oft schwer, sie überhaupt zu erreichen. «Wir starten weit im Minus», so Uligaj. «Die Männer sagen: Erzähl mir nicht, was ich mit meiner Frau machen darf und was nicht. Ich habe sie geheiratet, ich ernähre sie, ich gebe ihr ein Dach über dem Kopf und meinen Namen.» Man müsse sehr behutsam sein, damit die Männer nach der ersten Sitzung überhaupt wiederkämen. Wie kann man sich das vorstellen? Uligaj wendet sich einem imaginären Gesprächspartner zu, streckt leicht die Hände wie eine Willkommensgeste vor, sagt dann: «Ich bin froh, dass du hier bist. Das ist ein grosser Schritt, den du heute getan hast. Ich schätze deinen Mut.» Und das funktioniert? «Nicht immer, nicht sofort. Da ist ein grosser Widerstand. Aber die Männer, die hier sitzen, leiden ja auch unter ihrer Aggressivität. Viele ekeln sich oft vor der Gewalt, die sie ausüben. Und sie müssen einsehen, dass ihre Handlungen kriminell sind.»

Alle einbeziehen

Dass Endrit Uligaj sein eigenes Männerbild infrage zu stellen begann, liegt nicht nur an seinem Job, sondern auch an Atila Uligaj. Die 27-Jährige ist seine Ehefrau und Leiterin der Hilfsorganisation Gruaja tek Gruaja (Frauen für Frauen), die sich um die Opfer von Männern kümmert, wie sie Endrit therapiert. Frauen, die aus Zwangsehen flohen und nicht wissen wohin, weil ihre Familien sie nicht zurücknehmen. Die untertauchen müssen, weil ihre Ehemänner sie bedrohen, und juristische und psychologische Hilfe brauchen. Dies seien 150 bis 200 Frauen pro Jahr, sagt Atila Uligaj. «Viele dieser Frauen sind über lange Zeit massiv misshandelt worden, haben Knochenbrüche und andere Verletzungen erlitten.»

«Viele der Frauen sind über lange Zeit massiv misshandelt worden, haben Knochenbrüche und andere Verletzungen erlitten.» Endrit Uligaj

Das Problem der Gewalt sei komplex und vielschichtig, man könne es ohnehin nur ganzheitlich lösen, sagt Atila Uligaj. «Familie, Opfer, Täter, Kinder, manchmal die Nachbarschaft: Alle müssen einbezogen werden, um etwas zu ändern.» Auch das Paar Uligaj sei noch vom klassischen Rollenverhalten geprägt. «Wir kommen aus Familien, in denen die Väter das Sagen hatten und die Frauen sich unterordneten. Als Paar wiederholen wir dieses Verhalten oft, trotz unserer aufgeklärten Wahrnehmung.»

Die Hoffnungen auf andere Zeiten ruhen auf der Generation, die nach dem Ende des Kommunismus geboren wurde, mit Fernsehen und Internet aufwuchs, mit anderen Männerbildern. Sie seien nun erwachsen und hätten anderes im Kopf als Ehre und Rache, als dieses ganze patriarchalische Verhalten, sagt Endrit Uligaj. «Sie werden die alten Strukturen abschaffen.»