In unaufgeregtem Tonfall thematisiert Toni Morrison die Brutalität der Sklaverei und welche Folgen diese Praxis im kulturellen Gedächtnis ihres Landes hinterlassen hat. Im Essayband «Die Herkunft der Anderen», der auf einer 2016 an der Harvard-Universität gehaltenen Vortragsreihe basiert, spürt die berühmte Autorin den offenkundigen oder manchmal auch nur sublimen Rassismus in Werken der US-amerikanischen Literatur auf.
Sie schildert ihre Erfahrung als Lektorin in einem Literaturverlag (1967 bis 1983): ihre erfolgreichen Versuche, möglichst viele exzellente afroamerikanische AutorInnen in das Programm zu bringen, aber auch das ausbleibende Interesse an dieser Literatur bei weissen LeserInnen.
In einem anderen Text beleuchtet die Literatur-Nobelpreisträgerin von 1993 auch ihr eigenes Werk. Sie beschreibt, wie sie versucht habe, dem «Hautfarbenfetischismus » etwas entgegenzusetzen, indem sie in ihren Romanen darauf verzichtete, die Hautfarbe der Personen zu nennen. Nicht immer wurde sie von ihren Verlagen in dieser Haltung unterstützt. Toni Morrison gibt Denkanregungen. Sie will nicht den Anschein erwecken, als gäbe es gegen das Phänomen des Rassismus eine einfache Lösung. In der Überzeugung, dass Rassismus erlernt sei, plädiert sie für eine Gesellschaft, die in einem andauernden Prozess lernt, Unterschiede auszuhalten, die Vielfalt als Chance wahrzunehmen. Das Andere, die Anderen sind für sie «verschiedene Versionen unserer selbst, von denen wir viele nicht realisiert haben.»
Denn: «So etwas wie Rasse gibt es gar nicht. Unsere Rasse kann wissenschaftlich, anthropologisch nur als Mensch definiert werden. Rassismus ist ein soziales Konstrukt und hat Vorteile. Man kann Geld damit machen, Leute, die sich nicht mögen, können sich dadurch besser fühlen, bestimmte Verhaltensmuster können erklärt werden – Rassismus hat eine soziale Funktion.»
Das Vorwort des Journalisten und Autors Ta-Nehisi Coates verortet die Texte, die in der Regierungszeit Obamas entstanden sind, in der Gegenwart. Er nennt die Bewegung Black Lives Matter, entstanden als Reaktion auf die schrecklichen Vorkommnisse zum Beispiel in Ferguson, Baltimore oder New York. Er sieht die Vereinigten Staaten einmal mehr an einem Anfang stehen. Auch wenn Toni Morrison keine Anleitung geben könne, wo der Ausweg aus dem Klammergriff der Geschichte zu suchen sei, gebe sie «doch eine willkommene Hilfe zum Verständnis, wie wir in unsere heutige Situation geraten konnten.»
Toni Morrison: Die Herkunft der Anderen Über Rasse, Rassismus und Literatur Rowohlt Verlag, Reinbek, 2018 112 Seiten.