© AI
© AI

MAGAZIN AMNESTY 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte «Amnesty muss besser zuhören»

Von Malene Haakansson, Amnesty Dänemark. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Dezember 2018.
Der neue Generalsekretär der internationalen Menschenrechtsbewegung sieht den 70. Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Wendepunkt. Ein Gespräch mit Kumi Naidoo.

Vom Westen finanzierte Bomben töten Zivilpersonen im  Jemen. Geflüchtete und MigrantInnen ertrinken auf ihrem  Weg nach Europa im Mittelmeer. Myanmars Militär hat  einen Genozid an den Rohingya verübt und scheint ohne Strafe  davonzukommen. Man muss sich schon fragen, ob es am  10. Dezember überhaupt etwas zu feiern gibt. 

Auch der neue internationale Generalsekretär von Amnesty,  Kumi Nadioo, glaubt, dass die Menschenrechte noch  weit von ihrem Ziel entfernt sind: «Als die Berliner Mauer  fiel, glaubten viele Menschen, dass nun alle in Frieden leben  würden und es eine Explosion der Demokratie geben würde.  Doch die Realität sieht heute ganz anders aus: In viel zu vielen  Ländern ist die Zivilgesellschaft unter Druck. Versammlungsfreiheit,  Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit  sind bedroht. Nicht nur in Staaten, in denen Demokratie und  gesellschaftliche Teilhabe schon lange eingeschränkt  sind,  sondern auch in solchen, die sich jahrzehntelang in der Geschichte  als überzeugte Anhänger der Menschenrechte verstanden  haben.» 

Die Menschenrechtsbewegung solle jetzt nicht einfach  zusehen, wie die Menschenrechte immer weiter verdrängt  werden, fordert Kumi Naidoo. Sie solle dieses Jubiläum stattdessen  als Wendepunkt nutzen und den Kampf um die Menschenrechte  wiederaufleben lassen.   

Ängste ernst nehmen  

Der Südafrikaner glaubt,  dass die Menschenrechte in einer Krise stecken, weil korrupte  und eigennützige Politikerinnen und Politiker das Vertrauen  der Menschen missbrauchen und nicht wirklich  versuchen,  deren Ängste und Sorgen zu verstehen. «Menschenrechtsaktivisten  müssen unterscheiden zwischen den  Menschen, die rechte und nationalistische Parteien wählen,  und den Politikern, die diese unmenschliche Politik predigen  », so Naidoo. «Wir müssen die Ängste dieser Wählerinnen  und Wähler ernst nehmen. Wir müssen uns überlegen,  wie wir zu ihnen durchdringen und sie davon überzeugen  können, die Menschenrechte zu respektieren.» 

«Aktivismus bedeutet nicht, Menschen anzusprechen, die ohnehin unserer Meinung sind. Das ist fauler Aktivismus.»

Amnesty International müsse hierfür bescheidener werden  und besser zuhören. «Aktivismus bedeutet nicht, Menschen  anzusprechen, die ohnehin unserer Meinung sind.  Das ist fauler Aktivismus. Wir müssen mit denjenigen das  Gespräch suchen, die unsere Standpunkte nicht teilen. Wir  müssen mit Respekt und ohne Arroganz überzeugen. Auf  diese Weise können wir wieder mehr Menschen für eine Kultur  der Menschenrechte gewinnen.»   

Menschen mit anderen Meinungen anzusprechen, ist ein Ansatz des neuen internationalen Generalsekretärs. Doch darüber hinaus muss der Aktivismus selbst schlagkräftiger werden, um wirklich etwas zu bewegen: «Wir müssen die Mächtigen – Regierungen und Konzerne – konfrontieren, die sich gegen Menschenrechte wehren. Wir müssen den Mut haben, ihnen friedlich, aber unerschütterlich entgegenzutreten. Ich bin davon überzeugt, dass ziviler Ungehorsam die richtige Waffe ist gegen mächtige Politiker, die uns sonst zugrunde richten werden.»

Ungehorsam, aber friedlich

Mit zivilem Ungehorsam meine er, dass man «bereit sein muss, ein Gesetz zu brechen, wenn es ungerecht ist oder zu Unrecht führt». Er fügt rasch hinzu, dass es keinen Grund zur Besorgnis gebe – ziviler Ungehorsam solle stets friedlich bleiben und sich an den Umständen vor Ort orientieren. «Man muss sich nur die Geschichte ansehen: Rosa Parks in den USA, Nelson Mandela in Südafrika und Mahatma Gandhi in Indien. Auf dem Höhepunkt ihres Widerstands gegen das Unrecht wurden sie alle für ihren Einsatz diffamiert. Sie wurden inhaftiert und unterdrückt. Heute jedoch sind Denkmäler errichtet worden, um sie zu feiern.»

Als Aktivistin oder Aktivist müsse man sich auch mal unbeliebt machen, sagt Naidoo. Er sehe keinen Widerspruch zwischen Dialog und Engagement auf der einen Seite und friedlichem, aber unangepasstem Aktivismus auf der anderen. Vielmehr mache es Amnesty International als Bewegung stärker, beide Ansätze zusammenzubringen.

Kumi Naidoo möchte noch einen weiteren Wandel vorantreiben: mehr Zusammenarbeit mit Unternehmen. «Wir dürfen nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren. Wir müssen die progressivsten unter ihnen von unseren Werten überzeugen. Während meiner Zeit als Direktor von Greenpeace International habe ich es geschafft, dass Geschäftsführer grosser Unternehmen sich mit mir an einen Tisch setzten. Einer sagte einmal zu mir: Wir wollen lieber mit dir am Tisch sitzen und reden als zur Zielscheibe deiner Kampagne werden.»

Kumi Naidoo glaubt, dass Regierungen und Unternehmen Amnesty International ernst nehmen müssen, weil die Organisation gründliche Recherche mit Aktivismus vereint. «Sie wissen, dass wir ihrem Ruf schaden können. Heutzutage kann das Ansehen ebenso wichtig für den Erfolg sein wie herkömmliches Kapital.»