Vor einiger Zeit wurde ich zum Intendanten eines belgischen Stadttheaters gewählt, des NTGent. Die ersten sechs Monate verwendeten wir darauf, das Theater komplett umzustrukturieren, gemäss einer vielleicht etwas altertümlich-humanistischen Devise: Theater ist ein Menschenrecht.
Ich will Sie hier nicht mit den Details langweilen, denn es geht um eine sehr einfache Sache: Das Theater, das in Westeuropa zu einer Freizeitbeschäftigung einer kleinen Elite geworden ist, soll wieder für die ganze Gesellschaft geöffnet werden. Natürlich wird jedes Theater behaupten, dass es das längst ist; nur stimmt das leider strukturell meist nicht.
Denn inklusiv heisst in der Kulturarbeit ganz simpel: erschwinglich und interessant. Zum Beispiel senkten wir die Ticketpreise, da sich in Gent kaum jemand unter 30 oder über 65 einen Abend für 25 Euro leisten kann. Zudem übertiteln wir alle Aufführungen für die nicht flämischsprachige Bevölkerung, in Gent etwa ein gutes Viertel. Wir strichen die ewig gleichen Klassiker vom Spielplan und brachten aktuelle Themen auf die Bühne. Das Ensemble, vorher ein All-Stars-Verein alter Herren, öffneten wir für Laien und Profis aus allen Bevölkerungsschichten.
Die Sache scheint zu funktionieren – wie auch nicht, wenn einen betrifft, was im Theater passiert? Das Schwierigste war aber, das NTGent selbst wieder zu einem kreativen Ort zu machen. Denn auch im Kultursektor hat sich in den letzten Jahren neoliberale Leere breitgemacht. Wie David Graeber in seinem klugen Buch «Bullshit Jobs» festhält, multiplizierten sich im Lauf der sogenannten Rationalisierungen absurderweise die unproduktivsten, für die Gesellschaft oft sogar schädlichen Jobs wie Firmenanwalt, Manager oder Personalberater. Die wirklich wichtigen Arbeiten – vom Handwerker bis zum Altenpfleger – jedoch wurden, konnte man sie nicht komplett nach China auslagern, immer schlechter bezahlt.
Kurz gesagt: Es galt im Neoliberalismus als peinlich, etwas Sinnvolles, gar Produktives zu tun. Natürlich machte auch das NTGent hier keine Ausnahme. Immer mehr Menschen, die die Arbeit immer weniger anderer organisierten, wurden eingestellt, während die tatsächlich wichtigen Abteilungen (etwa die Werkstätten) immer weiter verkleinert wurden. Am Ende wurde eine hart arbeitende Minderheit nicht nur an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit getrieben, sondern zusätzlich mit Evaluationsgesprächen genervt. Denn bedauerlicherweise kann man das Herstellen von Theaterstücken nicht nach China outsourcen.
Das Schlimmste aber war: Die Kulturmanager fühlten sich, da sie ja nicht blöd waren, überflüssig. «Manager an die Werkbank», lautet deshalb die wichtigste Devise des Genter Modells. Denn es ist nicht nur ein Menschenrecht, ins Theater zu gehen. Es ist auch ein Menschenrecht, dort sinnvolle Arbeit zu verrichten.