© Detlef Surrey
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MAGAZIN AMNESTY 70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Weiter gehts

Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» vom Dezember 2018.
Eine Welt, in der die Menschenrechte für alle gelten: was für ein schönes Versprechen. Doch um dieses durchzusetzen, muss man selbst in demokratischen Staaten wie Deutschland, Österreich und der Schweiz kämpfen. Wir präsentieren Fortschritte aus drei Ländern.

Nur die Liebe zählt

Der Verfassungsgerichtshof hat den (gleich- und verschiedengeschlechtlichen) liebenden Paaren in Österreich das denkbar schönste Weihnachtsgeschenk gemacht: umfassende gleiche Wahlfreiheit für alle und für gleichgeschlechtliche Paare Würde und Gleichberechtigung nach Jahrhunderten der Diskriminierung und Verfolgung. Damit ist der österreichische Verfassungsgerichtshof das erste Gericht Europas, das das Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare aufgehoben hat. Und Österreich das erste Land Europas, das die Ehegleichheit als Menschenrecht anerkennt und verwirklicht. Beides ab 1. Januar 2019. In den anderen europäischen Ländern wurde die Eheöffnung auf politischem Weg realisiert.

Österreich hat bisher gleichgeschlechtlichen Paaren genau die gleichen Familiengründungsrechte wie verschiedengeschlechtlichen Paaren auch gewährt. Dennoch mussten ihre Kinder bisher zwangsweise unehelich sein. Ihre Eltern durften, anders als die Eltern ihrer AltersgenossInnen, nicht heiraten – bloss weil sie zwei Väter oder zwei Mütter sind anstatt eine Mutter und ein Vater. Das hat der Verfassungsgerichtshof nun beendet. Oder anders gesagt: Österreich hat den zweiten, dritten, vierten Schritt vor dem ersten gemacht. Auch für das Wohl der Kinder musste das Eheverbot fallen. «Ehe Gleich!» ist damit die erfolgreichste Bürgerinitiative aller Zeiten in Österreich.

Noch nie zuvor hat es eine Bürgerinitiative erreicht, dass ihr Anliegen nicht nur umgesetzt, sondern auch noch als Menschenrecht verfassungsrechtlich abgesichert wird. Aufrichtigsten Dank von tiefstem Herzen an die 14 RichterInnen, die sich wahrlich einen würdigen Platz in der Geschichte gesichert haben!

Dr. Helmut Graupner ist Erstunterzeichner der Bürgerinitiative «Ehe Gleich!» und Rechtsanwalt von fünf Familien, die vor dem Verfassungsgerichtshof erfolgreich waren. Dieser Text erschien ursprünglich im Magazin «Jus Amandi».

 

Mehr als zwei Geschlechter

Es war eine historische Entscheidung: Im Oktober 2017 erkannte das Bundesverfassungsgericht, das höchste Gericht Deutschlands, an, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt – und dass intergeschlechtliche Personen das Recht auf eine positive Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität haben. Die bisherige Regelung, wonach ein Geschlechtseintrag offen gelassen werden kann, reicht nicht aus. Denn: «Kein Geschlecht bin ich ja nun auch nicht», wie eine intergeschlechtliche Person dem Deutschen Institut für Menschenrechte sagte.

Für Amnesty International ist das Urteil ein grosser Erfolg. Seit Jahren setzen wir uns für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz intergeschlechtlicher Personen ein und gegen medizinische Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern, die dazu dienen, sie an das männliche oder das weibliche Geschlecht anzugleichen. Wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bestätigt hat, sind diese völlig unnötig – denn intergeschlechtliche Menschen sind gut so, wie sie sind!

Inzwischen hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Umsetzung des Urteils vorgelegt. Er stellt leider nur eine Minimallösung dar und wird von vielen Seiten kritisiert, da er die Pathologisierung intergeschlechtlicher Menschen fortsetzt. Das heisst, sie können nicht selbstbestimmt über ihren Geschlechtseintrag entscheiden, sondern müssen ein ärztliches Attest vorlegen. Vanja, die das Urteil begleitet von der Kampagne «Dritte Option» erstritten hat, kritisiert, dass es nicht Aufgabe der Medizin oder der Psychologie sei, über das Geschlecht zu entscheiden.

Das sieht auch Amnesty International so. Der Gesetzesentwurf muss dringend nachgebessert werden und mehr Rechte und Selbstbestimmung für transgeschlechtliche Menschen garantieren. Trotzdem ist das Urteil ein wichtiger Schritt. Um es mit Vanjas Worten zu sagen: «Es ist eine erste offizielle Anerkennung der Tatsache, dass es eben nicht nur Männer und Frauen gibt, obwohl das ja oft behauptet wird.»

Maja Liebing ist bei Amnesty Deutschland Referentin für LGBTI-Rechte.

 

Verbindliche Regeln für Konzerne rücken näher

Das Ziel: Unternehmen mit Sitz in der Schweiz müssen bei ihren Geschäften Menschenrechte und Umweltstandards achten – auch bei Auslandstätigkeiten. Es soll endlich verbindliche Regeln geben gegen Verstösse wie Kinderarbeit, Trinkwasserverschmutzung, Zwangsarbeit und Missachtung von internationalen Umweltstandards. Das fordert die Konzernverantwortungsinitiative, die 2016 eingereicht wurde.

Doch es war mit einigem Gegenwind aus der Wirtschaft zu rechnen. Bestes Beispiel dafür ist die turbulente Abstimmung, die 2015 im Parlament stattfand: Der Nationalrat akzeptierte zunächst eine Motion für gesetzliche Regeln zur Verantwortung von Konzernen. Dann aber kam es auf Drängen von Economiesuisse zur Wiederholung der Abstimmung. Nur eineinhalb Stunden später wurde der Antrag doch noch abgelehnt.

Jetzt aber ist Bewegung in der Sache. Die Koalition hinter der Konzernverantwortungsinitiative umfasst mittlerweile mehr als 100 Organisationen, auch einige Unternehmen und Verbände stellen sich dahinter. Der Nationalrat produzierte nach einigem Hin und Her einen indirekten Gegenvorschlag. Dieser macht zwar schmerzhafte Abstriche gegenüber der Initiative. Sein Zustandekommen zeigt aber auch, dass inzwischen ein grosser Teil des Parlaments den Handlungsbedarf erkannt hat und der Initiative eine gute Chance an der Urne einräumt.

Nun muss der Druck hochgehalten werden: Als Nächstes diskutiert der Ständerat über die Sache. Entweder wird der Gegenvorschlag angenommen, oder die ursprüngliche Initiative kommt vors Volk. Erfreulicherweise haben in einer Umfrage 74 Prozent der Befragten gesagt, dass sie der Konzernverantwortungsinitiative zustimmen würden. Die Leute lassen sich offenbar nicht mehr von den Unkenrufen gewisser Grosskonzerne einschüchtern, wonach das Anliegen der Wirtschaft schaden könnte. Sie sind vielmehr der Ansicht, dass der Schutz von Menschenrechten und Umwelt einem gut geführten Unternehmen nur nützen kann.

Carole Scheidegger