Hinrichtungszelle in Texas. © AP GraphicsBank
Hinrichtungszelle in Texas. © AP GraphicsBank

MAGAZIN AMNESTY Todesstrafe Schweizer Medikamente im Todestrakt

Von Julie Jeannet. Erschienen in «AMNESTY – Magazin der Menschenrechte» von März 2019.
Im vergangenen Sommer führte die Beschwerde einer Pharmafirma zum ersten Mal dazu, dass die Hinrichtung eines zum Tode Verurteilten ausgesetzt wurde. Die Firmen – darunter auch Schweizer Unternehmen – wehren sich gegen die Verwendung ihrer Substanzen bei Hinrichtungen.

Im Hochsicherheitsgefängnis Ely, nördlich von Las Vegas, hat Scott Dozier die letzten zehn Jahre seines Lebens verbracht. Eingeschlossen in eine Zelle, in der er kaum vier Schritte gehen kann. Der 48-Jährige wurde am 3. Oktober 2007 zum Tode verurteilt, weil er den 22-jährigen Drogendealer Jeremiah Miller umgebracht haben soll.

Es war nicht das erste Mal, dass von Schweizer Firmen hergestellte Medikamente in amerikanischen Todeszellen landeten.

Dozier sollte am 14. November 2017 durch Injektion eines aus drei Substanzen bestehenden Cocktails hingerichtet werden, der noch nie zur Tötung eines Menschen getestet worden war: Der als Valium bekannte Wirkstoff Diazepam soll den Verurteilen beruhigen; der Schmerzstiller Fentanyl zu Bewusstlosigkeit führen und das von Sandoz produzierte Cisatracurium Besilat schliesslich die Muskeln lähmen; dadurch kann der Todeskandidat allfällige Schmerzen nicht mehr zum Ausdruck bringen. Es war nicht das erste Mal, dass von Schweizer Firmen hergestellte Medikamente in amerikanischen Todeszellen landeten.

Die Hinrichtung Scott Doziers wurde im Juli 2018 zum zweiten Mal ausgesetzt, weil der Todescocktail zu unsicher und deshalb umstritten ist. Das oberste Gericht von Nevada hatte schon die erste Hinrichtung gestoppt, weil das von Sandoz produzierte Muskelrelaxans zum Tod durch Ersticken führen könnte. Die zweite Hinrichtung wurde aus einem ganz anderen Grund verschoben: Die Pharmafirmen hatten den Bundesstaat Nevada angezeigt. Die Basler Firma forderte die Rückgabe der Ampullen, allerdings ohne Erfolg. Dennoch ist Scott Dozier nun tot: Er hat sich am 5. Januar 2019 selbst getötet.

Heimliche Weiterverkäufe

Rückblick: Im Sommer 2010 war in den USA auf einmal kein Natriumthiopental mehr aufzutreiben. Der Wirkstoff wurde damals von den meisten Gefängnissen zur Betäubung der Gefangenen beim Verabreichen der Todesspritzen eingesetzt.

Hospira, der einzige Hersteller der Substanz in den Vereinigten Staaten, hatte die Produktion jedoch eingestellt. Die amerikanischen Bundesstaaten wandten sich deshalb an Hersteller in Europa. Am 11. Mai 2011 musste der Bundesrat eingestehen, davon gewusst zu haben, dass ein Sandoz-Wirkstoff bei mehreren Exekutionen eingesetzt worden war. Die Substanz war über Dream Pharma in die USA exportiert, worden – ein kleiner österreichischer Vertreiber, der seine Geschäfte in den Räumlichkeiten einer Autofahrschule im Westen Londons abwickelte. Laut der Organisation Reprieve sollen in Arizona und Georgia mindestens drei Personen mithilfe von Medikamenten getötet worden sein, die Dream Pharma geliefert hatte.

Im selben Jahr versuchte die in Oberwil BL niedergelassene Naari AG, ihr Produkt Natriumthiopental von einem indischen Zwischenhändler zurückzuerhalten, der die Substanz heimlich an Nebraska weiterverkauft hatte, statt sie wie angegeben als Anästhetikum nach Sambia zu liefern. Nach dieser Enthüllung gelangte die Basler SP-Nationalrätin Silvia Schenker mit einer Interpellation an den Bundesrat; dieser antwortete, die Schweiz habe keine gesetzliche Grundlage zur Einschränkung des Handels mit Natriumthiopental, das in verschiedenen Ländern bei chirurgischen Eingriffen verwendet wird. Er teilte zudem mit, Sandoz habe inzwischen alle Tochtergesellschaften angewiesen, dieses Produkt nicht in die USA zu exportieren und es auch nicht an Dritte auszuliefern, was der Mutterkonzern Novartis bestätigte.

Nach einer Skandalserie im Zusammenhang mit deutschen und dänischen Erzeugnissen untersagte die Europäische Union Ende 2011, Substanzen in die USA zu exportieren, die zur Vollstreckung von Todesurteilen dienen können. Im Jahr darauf verlangte die damalige Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer mit einer Motion, die Schweiz solle sich diesem Verbot anschliessen. Der Bundesrat ging jedoch nur zögerlich darauf ein: Erst dieses Jahr trat die Revision des Heilmittelgesetzes in Kraft, in welcher das Ausfuhrverbot integriert wurde.

Giftspritzen nicht humaner

Ab 2012 hatten die amerikanischen Behörden immer grössere Schwierigkeiten, die zur Hinrichtung zugelassenen drei Wirkstoffe zu besorgen. Also suchten sie nach anderen, verfügbaren Substanzen. Seit 2014 verwenden Florida, Ohio, Oklahoma und Arizona zur Betäubung der der zum Tod Verurteilten das 1976 vom Basler Pharmariesen Roche entwickelte Mittel Midazolam. Die betäubende Wirkung erwies sich jedoch bei mehreren Hinrichtungen als unzulänglich. Manche der Verurteilten erstickten und litten minutenlang an Krämpfen. Die Hinrichtung von Dennis McGuire am 16. Januar 2014 in Ohio dauerte 26 nicht enden wollende Minuten: Er erstickte qualvoll.

Nur wenige Monate später wurde Clayton Lockett in Oklahoma von Muskelkrämpfen geschüttelt, und dies noch zehn Minuten, nachdem er für bewusstlos erklärt worden war. Clayton Lockett erlag 43 Minuten nach der ersten Injektion schliesslich einem Herzinfarkt. Danach wurden die Hinrichtungen in Oklahoma ein halbes Jahr lang ausgesetzt. Am 23. Juli 2014 kam es zur längsten Hinrichtung der jüngeren Geschichte Nordamerikas: In Arizona starb der Verurteilte Joseph Wood erst nach einem zweistündigen Todeskampf. «Anfang der 1980er-Jahre gingen die Staaten vom elektrischen Stuhl, vom Erhängen und von den Erschiessungskommandos über zur Giftspritze, weil diese Methode humaner schien, was sich aber als Irrtum herausgestellt hat», erläutert Robert Dunham, Leiter des Informationszentrums zur Todesstrafe in Washington DC. «Midazolam lässt den Gefangenen manchmal bei Bewusstsein, die lähmende Substanz lässt ihn nach Luft ringen. Es ist, als ob er ertrinken würde. Spritzt man Kaliumchlorid, fühlt sich das wie Verbrennen von innen an, der Verurteilte stirbt schliesslich an einem Herzinfarkt.»

Fehlende Transparenz

Die Schweizer Firma Roche exportiert nach eigenen Aussagen seit 2004 kein Midazolam mehr in die USA. Roche hatte zwar das Molekül entwickelt, das Patent ist aber inzwischen abgelaufen, sodass heute verschiedene Firmen diese Substanz produzieren. Ob durch den Zwischenhandel doch Produkte von Roche an Hinrichtungen zum Einsatz kamen, ist unklar. Roche verweigert jede Antwort auf diese Frage. Einen Nachweis zu erbringen, ist schwierig, weil mehrere amerikanische Bundesstaaten neue Gesetze erlassen haben, dank welchen sie die Herkunft der Substanzen, ihre Konzentration und die Namen der bei der Hinrichtung Beteiligten geheim halten können. Für die Pharmafirmen wird es deshalb immer kniffliger herauszufinden, ob ihre Substanzen bei Hinrichtungen verwendet werden. Den Gefangenen und ihren AnwältInnen fehlen die Mittel, um in Erfahrung zu bringen, ob die Betäubung genügen wird.

«Die Vertriebskanäle der Medikamente zu kontrollieren, ist zurzeit noch sehr schwierig», kommentiert Robert Dunham vom Informationszentrum zur Todesstrafe: Die Bundesstaaten verschanzten sich hinter Ermessensregeln. Sie brächen Verträge und täuschten Vertriebe, um illegal an die Substanzen heranzukommen, so Dunham. Zudem hinderten sie die Pharmahersteller daran, den unsachgemässen Umgang ihrer Zwischenhändler mit den Produkten aufzudecken. «Die Staaten setzen die Todesstrafe ein, um dem Recht Genüge zu tun, brechen aber Recht, um ihre Gefangenen hinzurichten. Absurder könnte die Situation nicht sein!» Für die Anwältin Kelly A. Mennemeier ist die Geheimnistuerei rund um die Hinrichtungsprotokolle extrem problematisch: «Die Bundesstaaten halten entscheidende Informationen über die Wirkstoffe zurück. So kann nicht ermittelt werden, ob diese dem achten Zusatz der amerikanischen Verfassung entsprechen, der grausame und ungewöhnliche Bestrafungen verbietet.»

Für die amerikanische Bürgerrechtsunion ACLU sowie einige Medien ist das Thema der Transparenz zum Dauerbrenner geworden. Sie gehen immer wieder gerichtlich gegen die Gefängnisse vor, um sie dazu zu zwingen, Informationen über die Hinrichtungen zu liefern. «Durch die Geheimhaltungsgesetze bleiben die Hinrichtungen im Dunkeln», führt Brian Stull aus, der bei der ACLU für die Problematik der Todesstrafe zuständig ist. «Die Öffentlichkeit hat das Recht auf Information und auf Rechenschaft der Behörden, wenn diese eine so extreme Macht wie bei der Hinrichtung eines Menschen ausüben. Wir tun unser Möglichstes, um mehr Transparenz rund um die Todesstrafe zu erreichen, und wir wollen, dass sie abgeschafft wird.» Dank dem einen oder anderen Verfahren erfuhren die Pharmahersteller dann doch, dass die Gefängnisse im Besitz ihrer Medikamente waren. Insbesondere in Nevada ermöglichte das Eingreifen der ACLU drei Herstellern, darunter Sandoz, Klage einzureichen – was zur Aussetzung der Hinrichtung von Scott Dozier im vergangenen Jahr führte.

Der eingangs erwähnte Todescocktail durfte in Nevada zwar nicht zum Einsatz kommen. Er wurde aber stattdessen vom Bundesstaat Nebraska ausprobiert, und zwar an Dean Carey Moore im August 2018. Mehrere Augenzeugen berichten, Moore habe nach der Fentanyl-Verabreichung zu husten begonnen, das Zwerchfell habe gezuckt, der Unterleib sei in die Höhe geschossen, sein Gesicht rot angelaufen. Die Vorhänge der Todeszelle seien daraufhin geschlossen und erst 15 Minuten später, nach Eintreten des Todes, wieder geöffnet worden. Über den Todeskampf des Hingerichteten kann nur spekuliert werden. Sandoz zog den Staat Nebraska für die illegale Verwendung ihres Muskelrelaxans vor Gericht. Das Verfahren läuft noch.

Neues Gesetz in der Schweiz

Könnten sich noch weitere Produkte aus der Schweiz in den amerikanischen Giftspritzen befinden? Die NGO Reprieve, die sich seit 2012 zusammen mit den Pharmaherstellern dem Thema widmet, behauptet, zurzeit produziere bloss eine Schweizer Firma Substanzen, die bei Hinrichtungen verwendet werden können, nämlich Sandoz. Auf Anfrage sagt das Mutterhaus Novartis, man habe spezielle Verträge abgeschlossen, die den Vertrieb von Sandoz-Produkten zum Einsatz bei Hinrichtungen untersagten. Novartis verbietet ihren Kunden zudem, die muskellähmende Substanz Cisatracurium Besilat an Haftanstalten oder andere Institutionen auszuliefern, die die Substanz zur Anwendung der Todesstrafe verwenden könnten.

Seit dem 1. Januar 2019 ist es offiziell verboten, Medikamente aus der Schweiz auszuführen, wenn davon auszugehen ist, dass sie zur Hinrichtung von Menschen vorgesehen sind. Die Arzneimittelbehörde Swissmedic wurde beauftragt, eine Liste der betroffenen Medikamente zu publizieren, für die sie allerdings ausserordentliche Exportbewilligungen erteilen kann.